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Der Shitstorm

Foto: LFW

Im Zuge des Seilbahnunfalls in Ratschings sieht sich die Liftgesellschaft mit Fakemeldungen und Shitstorms konfrontiert. Wie Josef Schölzhorn, Präsident der Gesellschaft, darauf reagiert.

Von Erna Egger

Am Samstag herrschte im Skigebiet Ratschings starker Wind – die Liftanlagen im oberen Bereich wurden folglich abgeschaltet.

Nur die Kabinenbahn und der Sessellift „Wasserfalleralm“ im unteren Bereich waren kurz nach 14.00 Uhr noch in Betrieb. Dann kam es zum Unvorhergesehenen:  Eine starke Windböe entwurzelte mehrere Bäume, die folglich auf das Tragseil des Sessellifts „Wasserfalleralm“ fielen.

Einer der Vierersessel wurde aus der Verankerung gerissen, dieser prallte auf die beiden Sessel dahinter, die glücklicherweise unbesetzt waren. Insgesamt befanden sich zum Zeitpunkt des Unglücks 65 Personen auf dem Sessellift. Die Rettungskette mit den Bergrettungsdiensten Sterzing, Ridnaun-Ratschings, der FeuerwehrRatschings, dem Weißen Kreuz, der Flugrettung und den Behörden startete: Die Bergrettung, unter der Einsatzleitung von Rettungsstellenleiter, Philipp Braunhofer, evakuierte die Wintersportler. Sieben Personen wurden verletzt, sechs davon erlitten leichte, eine Person mittelschwere Verletzungen. Die starken Windböen erschwerten die Rettungsaktion.

Die Liftgesellschaft feiert heuer ihr 50-jähriges Bestehen: Derartige Windböen hat man im Wipptaler Skigebiet noch nie verzeichnet.

Auch viele internationale Medien berichteten vom Ereignis. Josef Schölzhorn, Präsident der Liftgesellschaft Ratschings-Jaufen, zu den unerwarteten Windböen, über die Rettungsaktion – und über die Debatte zur Sicherheit und die Schuldzuweisungen in den sozialen Netzwerken.

Tageszeitung: Herr Schölzhorn, der Unfall in Ihrem Skigebiet hat auch international für Aufsehen gesorgt…

Josef Schölzhorn: Wir feiern heuer das 50-jährige Jubiläum des Skigebietes. Es ist das erste Mal, dass wir Wintersportler auf Liftanlagen abseilen mussten. Zum Glück absolvieren wir jährlich mit den Feuerwehren des Bezirks und der Bergrettung unsere Notfallübungen – und die Rettung hat sehr gut geklappt.

Am Samstag herrschte heftiger Wind. Warum waren die Lifte im oberen Bereich außer Betrieb, dieser aber nicht?

Am Berg wehte heftiger Wind, daher wurden die Lifte außer Betrieb gesetzt. Passiert ist es im mittleren Bereich. Die Liftnutzer im oberen und unteren Bereich haben die Ursache des Lift-Stillstandes nicht mal mitbekommen. Im unteren Bereich traten dann ganz vereinzelt heftige Windböen auf, und schon die erste dürfte die Bäume entwurzelt haben, die dann auf das Tragseil gefallen sind. Infolge traten noch zwei bis drei derartige Windböen auf. Und solche hat man in Ratschings noch nie erlebt – ein vollkommen neues Phänomen. Im Tal, an der Talstation, indes herrschte Windstille.

Wie viele Personen haben sich verletzt?

Insgesamt sieben Personen haben sich verletzt, sechs zogen sich leichte Verletzungen zu, eine Person wurde mittelschwer verletzt. Diese wurden alle während des Geschehens und nicht – wie anderweitig berichtet – während der Evakuierung verletzt. Während der Bergung wurde niemand verletzt. Alle befanden sich auf den Sesseln in einem Anstand von 200 Metern. Fast alle Patienten konnten mittlerweile das Krankenhaus wieder verlassen. Insgesamt mussten 65 Personen evakuiert werden, die Rettungsaktion dauerte knapp 2,5 Stunden. Wir haben indes alle anderen Skifahrer, die sich noch auf den Hütten befanden, aufgefordert, mit der Gondel zu Tal zu fahren – damit die Rettungsaktion nicht behindert wird. Wir haben dann alle Pisten gesperrt, weil auch der Hubschrauber auf der Piste landen musste. Einige Skifahrer wurden auch mit den Ski-Doos zu Tal gebracht.

Einige sollen von den Sesseln gesprungen sein?

Einige sind auf die Böschung hinabgesprungen, dort, wo sich der Sessellift rund 1,5 Meter oberhalb des Bodens befand. Sie haben sich dabei nicht verletzt.

Wann kann der Lift wieder in Betrieb genommen werden?

Es ist noch nicht geklärt, wann der Sessellift wieder in Betrieb geht. Hierzu nehmen wir uns die Zeit, jede Funktion und alle relevanten Elemente von professionellen Firmen eingehend prüfen zu lassen; auch die Lifttrasse wird mit Experten der Forstbehörde nochmals begutachtet. Nach Vorlage entsprechender Berichte und der Freigabe durch das zuständige Amt wird der Liftbetrieb wieder aufgenommen. Alle anderen Anlagen sind regulär in Betrieb.

Nun stellen sich viele die Frage: Wie sicher bin ich auf Südtirols Liften?

Man ist sicher. Alle strengen Sicherheitsvorkehrungen werden eingehalten. Aber gegen Unvorhergesehenes sind wir machtlos. Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nirgends.

Welche Maßnahmen ergreift die Liftgesellschaft, um ein weiteres solches Ereignis zu verhindern?

Wir werden uns mit den Ämtern und Meteorologen beraten. Sicherlich werden zwei weitere Windmessstationen errichtet. Ich bin mir aber sicher: Auch diese hätten dieses Ereignis nicht verhindern können. Solche plötzlichen Böen in dieser Stärke gab es bisher nicht.

Ist ein weiteres Roden der Bäume entlang der Lifttrasse notwendig?

In diesem Falle müsste man Schneisen bis zu 50 Metern schlagen. Das wird nicht möglich sein. Diese Windböen sind ein neues Phänomen, die unvorhersehbar sind.

Auf den sozialen Netzwerken ist ein Shitstorm entbrannt: Die Liftbetreiber werden als Deppen und geldgeil bezeichnet…

Es gab Falschmeldungen in den Medien und auch solche Kommentare, die ich als absolute Unverschämtheit und traurig empfinde: Von geldgeil kann nicht die Rede sein, da wir bestimmten Richtlinien zu 100 Prozent Folge leisten und wir Profit niemals über die Gefährdung unserer Gäste oder Mitarbeiter stellen würden. Jeder Lift wird sofort abgeschaltet, sobald eine Gefahr erkannt wird. Einen solchen Vorfall kann aber niemand voraussehen.

Wie reagieren die Kunden auf das Ereignis?

Es gab ein paar Anrufe: Diese Gäste informierten sich, wie es um den Skibetrieb bestellt ist und welche Lifte und Pisten in Betrieb sind. Ich selbst habe einen Hotelbetrieb. Auch acht unserer Hotelgäste befanden sich auf dem betroffenen Sessellift. Sie waren voll des Lobes für die Rettungs- und Informationskette. Sie fühlten sich immer sicher. Sehr erstaunt waren sie, dass das gesamte Rettungsteam aus Freiwilligen besteht. Und bei diesen Rettungskräften möchte ich mich herzlichst bedanken.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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