Du befindest dich hier: Home » Gesellschaft » Die Wintermelancholie

Die Wintermelancholie

Foto: 123RF.com

Die Anrufe bei der Telefonseelsorge nehmen in den kalten Jahreszeiten merklich zu. Woran das liegt und was die Anrufer am meisten belastet.

von Christian Frank

Wie es für den Jahreswandel üblich ist, beendet das herabfallende Laubwerk laue Sommernächte und gewährt den kälteren Jahreszeiten, Herbst und Winter, ihren Einzug. Die Tage werden kürzer, das gesellschaftliche Treiben ruhiger, und man verweilt zusehends mehr in den eigenen vier Wänden. Für viele findet sich dort oftmals nichts weiter als ihre eigene Gesellschaft und somit machen sich Symptome wie Antriebslosigkeit, Trägheit und allgemeine Melancholie in diesen Jahreszeiten spärlichen Sonnenscheins und frostiger Nächte besonders bemerkbar.

Die Wintermelancholie oder auch umgangssprachlich auch Winterblues genannt ist ein saisonales, unter Umständen auch wiederkehrend auftretendes Phänomen, welches in seiner ausgeprägten Form auch als Krankheit anerkannt wird. Die medizinische Terminologie dafür lautet SAD, kurz für „Seasonal Affective Disorder“, auf Deutsch so viel bedeutend wie jahreszeitliche Störung der Gemütslage.

Dass das Stimmungsbild in diesen kälteren Zeiten schwankt, ist ein häufiges Vorkommnis, weiß die Zuständige der Telefonseelsorge der Caritas, Monika Steger: „Es ist eine natürliche Gegebenheit des Menschen, dass diese Jahreszeiten solche Gemütslagen zusehends hervorbringen. Wir haben gerade jetzt wieder festgestellt, dass sich merklich mehr Anrufer an uns wenden und wir eine Veränderung der Stimmungslagen vernehmen. Pauschal gesagt beginnt die Zunahme der Anrufer im Herbst, welcher eben eine Übergangsphase von den warmen Sommermonaten darstellt.“

Während im Sommer oft nur einzelne Telefonate die Woche eingehen, verzeichnet sich nun laut Steger ein quantitativer Anstieg. Auch die Uhrzeiten, in welchen die ersten Anrufe entgegengenommen werden, verfrühen sich in den Wintermonaten.

„Man merkt, dass die Leute früher und länger zu Hause sind. In den Sommermonaten klingeln die Anschlüsse erst zu späteren Stunden, zurzeit läutet bei uns das Telefon oft schon um fünf Uhr nachmittags“, berichtet Steger.

Einsamkeit ist dabei der Umstand, welcher nahezu immer bei der Inanspruchnahme der Telefonseelsorge mitschwingt, so Steger: „Ich wage zu behaupten, dass 80 Prozent unserer Anrufer aus Einsamkeit anrufen. Es ist zwar ein Vorkommnis, das sich über das ganze Jahr hinweg erstreckt, sich aber in diesen Jahreszeiten intensiviert.“

Dabei drückt sich Einsamkeit in vielen Facetten aus und zieht sich quer durch die Altersgruppen: „Das Alter der Anrufer lässt sich auf ungefähr 30 beziehungsweise 35 Jahre und aufwärts festlegen. Einsamkeit ist vielschichtig und kann nicht an einzelnen Ausprägungen festgemacht werden. Die Wenigsten rufen an und sagen frei heraus, dass sie einsam sind. Sie wenden sich mit symptomatischen Anliegen an uns, wie zum Beispiel einem Problem, dass sie niemand anderem mitteilen können, da sie keine Vertrauten in ihrem Umfeld haben“, berichtet die Telefonseelsorgerin.

Die kalte Jahreszeit und der damit verbundene längere Aufenthalt zu Hause sorgen laut Steger dafür, dass man leicht mit sich und seinen Gedanken alleine verweilt: „Einsamkeit begünstigt, dass man viel Zeit zum Nachdenken hat, und nur selten sind diese Reflexionen positiv. Es entwickelt sich eine Abwärtsspirale, und die gilt es zu unterbinden.“

Das Unterbinden gestaltet die Seelsorge durch Aufhorchen und Ausloten der Möglichkeiten: „Die Handhabe ist delikat, weil oft auch finanzielle Schwierigkeiten einhergehen, und der Ratschlag, beispielsweise einfach mal eine Pizza essen zu gehen, zwar hilfreich wäre, aber fehl am Platz ist. Wir versuchen, den Bekannten- und Vertrautenkreis zu erörtern, um eventuell trotzdem irgendwelche sozialen Kontakte zu finden, welche beansprucht werden können.“

Die winterlichen Feiertage nehmen in diesem Zusammenhang nochmals eine besondere Rolle ein, weiß Steger: „Festtage wie Weihnachten, welche üblicherweise im Familienkreis gefeiert werden, sind natürlich nochmal ein Kapitel für sich. Dort schaukeln sich Einsamkeitsgefühle besonders hoch.“

Manchmal genüge aber, Steger zufolge, auch ein simples Gespräch über Alltägliches, um schwierige Momente zu überbrücken und die Last der Wintermelancholie etwas zu entkräften.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen