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Südtirol kann Oper

Operndirektor Matthias Lošek: Gott sei Dank macht er jetzt was Gscheits! (Foto: Jacopo Coen)

Seit 2016 leitet Matthias Lošek  die Opernsparte der Stiftung Haydn, die zeitgenössisches Musiktheater mit einem klassischem Repertoire verbindet. Jetzt geht er und inszeniert zum Abschied selbst Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“. Ein Gespräch über seinen Abschied aus Bozen, Sesselkleber in der Kunst, Herzattacken und seine Sorgen um die Kunstform Oper.

Tageszeitung: Herr Lošek, warum gehen Sie?

Matthias Lošek: Am Ende dieser Saison werde ich neun Jahre in Bozen gewesen sein. Solange hat es mich noch nirgends gehalten, nicht einmal in Bregenz. Ich bin schon ein treuer Mensch, aber ich möchte einfach kein alter weißer Mann sein, der sich permanent nur mehr wiederholt. Davon gibt es schon genug.

Ganz ehrlich: Hat Sie ein Ruf von woanders her ereilt?

Würde es ihn geben, würde ich es nicht ausplaudern. Tatsache ist, dass ich bei all meinen Jobwechseln in den vergangenen 30 Jahren nie eine Pause dazwischen eingelegt habe. Nicht einmal eine Woche. 2015, während meiner letzten Saison für Wien Modern, habe ich einen Herzinfarkt erlitten und meiner Frau geschworen, Pause zu machen. Dann kam der Ruf nach Bozen …

Wien Modern hat Ihnen einen Herzinfarkt beschert …

Na, da war ich schon selber schuld daran.

Bozen haben Sie ganz ohne Herzattacke überlebt?

Es gibt ja guten Rotwein hier. Ich gehe brav und regelmäßig zur Untersuchung, was ich nur jedem Mann raten kann. Es geht mir gut und ich bin hier frei zu gestalten, das ist die beste Medizin. Einschränkungen gibt es natürlich immer und überall, angefangen beim Budget, aber damit muss man pragmatisch umgehen. Den Großteil, nicht alles, habe ich gewusst, als ich hier unterschrieben habe …

Gab es Überraschungen, Sachen, die nicht so ausgemacht waren.

Nein, es läuft halt überall ein bisschen anders. Wien, Bregenz, Bozen, das sind andere Kulturen. Es gab aber keinen Moment, wo ich gesagt habe: Oh Gott, ich reise sofort ab!

Sie mögen Vergleiche aus der Fußballwelt. Braucht die Opersaison der Stiftung Haydn einen Trainerwechsel?

Oder der Trainer braucht eine andere Mannschaft. Im Ernst: Sesselkleber tun der Kunst nicht gut, davon bin ich überzeugt. Bevor ich selbst zu einem solchen werde, lass ich es lieber. Ich habe ein Studium begonnen, philosophische Praxis. Kunst und Philosophie stellen ja die gleichen Fragen: Wer bin ich, woher komme ich und was mache ich hier eigentlich?

Obligatorische Frage: Was macht man mit so einem Studium? Philosophische Beratung anbieten?

Ja, könnte man so sagen. Ich bin jetzt 54 Jahre alt, das bedeutet, ich habe wahrscheinlich weniger Jahre vor als hinter mir. Da fängt man schon mal an, sich zu befragen.

Was fragen Sie sich?

Ich sehe mit einiger Angst, dass die Fragen, die in der Kunst und vor allem auch in der Oper gestellt werden, verflachen. Das ist mir schon vor Corona aufgefallen und erst recht danach. Gott, jetzt machen wir was Einfaches und Unterhaltsames, weil die Leute haben alle so gelitten. Ich glaube das nicht. Die Menschen sind klüger als Politiker, aber auch viele verantwortliche Kulturschaffende glauben. Es geht immer um Fragen, Antworten kann ich eh nicht liefern. Jede Frage bringt uns zu fünf weiteren Fragen und genau deshalb mache ich den Job.

Mit Verflachung meinen Sie, dass die Veranstalter auf Nummer sicher gehen und nur mehr Bekanntes auf die Spielpläne setzen?

Man muss sich ja nur die Opernspielpläne anschauen. Ich habe das einmal gemacht und die Spielpläne eines Jahres von 30 Opernhäusern verglichen. Da findet man drei Komponisten und fünf Opern, die rauf und runter gespielt werden. Die zwei Tops sind Carmen und Zauberflöte. Die Wahrheit ist: Wenn man das Alleinstellungsmerkmal einer Oper sucht, findet man dieses mehr im Gebäude als auf der Bühne.

Das heißt.

Alle Opern leben von Subventionen. Das ist gut und recht, denn Oper ist ein Gut, das von Menschen für Menschen gemacht wird. Die Budgets sind immer zu wenig, aber es gibt sie noch. Nehmen wir das Weltgeschehen des Jahres 2023 und die Gedankenwelt von 18 – 22jährigen. Was wird diese Generation in 15 Jahren, wenn sie die Entscheidungen trifft, zur Subventionierung von Kultur sagen? Was ich sagen will: Die Mailänder Scala, die Wiener Oper und die Salzburger Festspiele brauchen sich keine Sorgen zu machen, ebenso wenig der Off-Bereich, weil der ist das Feigenblatt, das man gerne herzeigt. In Frage gestellt wird die berühmte Mittelschicht sein und die muss sich dann rechtfertigen können. Warum sind wir da, warum gibt es uns, warum sind wir relevant? Sind wir relevant, weil wir alle den gleichen Spielplan haben, weil wir alle so tun, als wären wir die kleine Scala? Oder haben wir etwas anzubieten, was wertig ist und nicht nur wichtig?

Klingt düster.

Nein, das ist weder zynisch, destruktiv oder überängstlich, es ist einfach eine pragmatische Analyse der Gegenwart. Die Oper tut gern so, als hätte sie mit der Welt draußen nichts zu tun. Ich hasse es, wenn Kollegen sagen, wir bieten kulturelle Wellness. Dann können wir uns gleich selbst ins Museum stellen. Oper und Kunst sind nicht Wellness.

Vor 24 Jahren haben Sie das letzte Mal selbst eine Oper inszeniert. Wo war das?

Das war die Zauberflöte bei den Österreichischen Donaufestwochen in der Wachau, die laufen jetzt unter einem anderen Namen. Oskar Werner hat dort 1985 als Prinz von Homburg seinen letzten Auftritt gehabt, bevor er dem Alkohol verfiel. Ganz theatralisch gesagt, habe ich meine Karriere dort begonnen, wo Oskar Werner auf der Bühne stand.

Sprechtheaterregie hat sie nie interessiert?

Ich habe einmal in Salzburg eine Regieassistenz gemacht und danach beschlossen: Nie wieder!

Jetzt also zum Abschluss des Bozner Zyklus wieder eine eigene Inszenierung. Warum?

Ich selbst hätte gerne den „Arlecchino“ von Busoni gemacht, aber der Wunsch der Direktion war ein Puccini. Jubiläen interessieren mich zwar nicht, aber La Bohème mit jungen Sängern hat mich gereizt und dazu hatte ich einige Ideen. Die Frage ist ja immer, was ist der Kern eines Stücks? Nach vielen Gesprächen mit meiner Frau, ist mir klar geworden: Wenn die Inszenierung so werden soll, wie ich es mir vorstelle, gibt nur einen Weg: selber machen.

Was ist für Matthias Lošek der Kern von Puccinis Künstleroper La Bohème?

 Es geht in erster Linie um junge Menschen, dass sie Künstler sind, kommt dazu. Es sind junge Menschen um die 20, die stehen an einem Scheideweg, an dem wir alle mal waren. Wir kennen das Gefühl, aus dem Traum, dass das Leben eine einzige Party ist, herausgerissen zu werden. Zwei Akte lang ist die Oper pure Lebensfreude, dann kommt die Erkenntnis, dass das Leben auch tragisch ist.

Warum nennen Sie es ein Requiem für Mimì?

 Mimì ist eine extrem starke Figur. Sie ist kein Opfer, keine Leidende …

Als solche wird sie meisten dargestellt.

Ja, aber falsch. Natürlich stirbt sie, sie weiß, dass sie stirbt und trotzdem ist sie bereit zu leben. Es ist eine Geschichte aus dem Leben, nichts Zeitgeistiges. Es geht ums Leben und Lieben, ums Leiden und Sterben. Ein junges Mädchen, schwerkrank, wird aus dem Leben gerissen. Und die Gesellschaft schaut zu. Das ist extrem aktuell.

Eigentlich stehen Sie ja für zeitgenössische Oper, haben zahlreiche Uraufführungen in Auftrag gegeben. Wollen Sie mit Puccini den Opernfreunden eine Herzensfreude machen.

Es wird nicht direkt gesagt, aber es ist schon so durchgeklungen: Gott sei Dank macht er jetzt was Gscheits, was Nettes, Unterhaltsames. Da frage ich mich schon: Wie kann man eine Oper, die so grausam endet, als schön und nett und unterhaltsam bezeichnen?

Letzte Frage nach neun Jahren Bozen; Kann Südtirol Oper?

Sicher, sonst hätte ich den Job nie übernommen. Einer meiner strengten Kritiker bei Wien Modern hat zu mir gesagt: Ich bin nicht immer glücklich mit dem was der Lošek macht, aber eines kann man ihm nicht vorwerfen: Dass er etwas macht, wovon er nicht überzeugt ist. Südtirol kann es, es muss sich halt fragen, was will es. Das muss sich aber jedes Haus, jedes Festival und jeder Heustadel fragen.

Interview: Heinrich Schwazer

 

Zur Person

Matthias Lošek wurde 1969 in St. Pölten geboren und hat Geschichte und Deutsche Philologie an der Universität Wien studiert. Er war als Film- und Kulturkritiker der Wochenzeitung Niederösterreichische Nachrichten tätig. Von 2000 bis 2007 zeichnete er als künstlerischer Leiter der Sparte „Kunst aus der Zeit“ der Bregenzer Festspiele verantwortlich. Von 2007 bis 2010 stand er dem Kulturstadtrat der Stadt Wien als kulturpolitischer Berater und persönlicher Referent zur Seite. Danach wurde er künstlerischer Leiter von Wien Modern, dem größten Festival für Neue Musik in Zentraleuropa. Seit 2016 ist er Operndirektor der Stiftung Haydn Orchester von Bozen und Trient.

 

La Bohème

 Das neue Opernprogramm der Stiftung Haydn von Bozen und Trient eröffnet mit einem der erfolgreichsten Melodramen aller Zeiten: Giacomo Puccinis La Bohème. Selbst über hundert Jahre nach ihrer Uraufführung vermag die Oper noch immer die Herzen des Publikums zu berühren. Die Stiftung Haydn zeigt Puccinis Meisterwerk am 19. und 21. November im Bozner Stadttheater und am 21. und 22. Februar am Teatro Sociale in Trient in einer halbszenischen Aufführung.

 

La Bohème (Probenfoto: Giulia Lenzi)

Das auf dem Roman Scènes de la vie de bohème von Henri Murger basierende Libretto erzählt vom Leben vier junger Bohemiens, Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline, die sich – hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Freiheit und der Notwendigkeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen – im pulsierenden Paris der Belle Époque als Künstler versuchen. Auf ihrem Weg begegnet ihnen nicht nur Liebe, sondern auch der Tod.

Verkörpert werden die Hauptfiguren von einem Cast aus jungen Talenten: Alexandra Grigoras (Mimì), Galina Benevich (Musetta) Alessandro Scotto di Luzio (Rodolfo), Matteo Loi (Marcello), Gianni Giuga (Schaunard), Matteo D’Apolito (Colline).

Lošeks schnörkellose, auf die tragische Dimension der Musik und der Erzählung fokussierte Bohème verdankt sich seiner Reflexion über die zahllosen Inszenierungen der Oper im Lauf der Zeit. Ein weiterer wichtiger Impulsgeber für seine Neuinszenierung waren verschiedene Kino- und Theateradaptionen, angefangen bei der Bohème-Umsetzung von Regisseur Baz Luhrmann (Sydney, 1993) als „Coming-of-Age-Drama“, die sowohl hinsichtlich Musik als auch Figurenzeichnung neue Maßstäbe setzte. 30 Jahre nach Luhrmanns Produktion lautet die Devise, jedes Klischee zu vermeiden und über ein aufs Wesentliche reduziertes Register zum Kern der Oper vorzustoßen. Im Bühnenbild und den Kostümen, entworfen von Oliver Mölter, verstecken sich popkulturelle Referenzen, das von Norbert Chmel entwickelte Lichtdesign verweist mit sparsam eingesetzten stilistischen Mitteln auf das unvermeidliche Werden und Vergehen des Lebens und der Natur. Der musikalische Leiter Timothy Redmond hat es sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam mit dem Haydn Orchester und dem Sängerensemble das einzigartige musikalische Kolorit eines jeden Bildes herauszuarbeiten und dem Publikum Klänge zu schenken, die das Seelenleben der Pariser Bohemiens widerspiegeln, für die Puccini in die Musikgeschichte eingegangene Melodien schuf.

 

 

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