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„Bedenkliches System“

Eine Almfläche in Pfitsch

Die Fremdverpachtung der Almwiesen ist auch in Südtirol ein verbreitetes Phänomen. Vor fünf Jahren hat die Forststation Sterzing umfangreiche Kontrollen zu illegal kassierten Alpungsprämien durchgeführt. Die Konsequenzen.

von Erna Egger

Fremdverpachtete Almen und illegal kassierte Alpungsprämien von der EU: Immer wieder werden in Italien seitens der Ordnungshüter Verstöße aufgedeckt, erst letzthin wieder. Hierbei soll auch die Mafia die Finger mit im Spiel haben – und zwei Südtiroler sollen unter Ermittlung stehen.

Die Fremdverpachtung ist auch in Südtirol ein stark kritisiertes Phänomen. Vor fünf Jahren hat die Forststation Sterzing deswegen umfangreiche Ermittlungen in den Gemeinden Pfitsch, Sterzing und Brenner durchgeführt. Und effektiv: Zahlreiche Verstöße wurden zur Anzeige gebracht.

Die ersten Unregelmäßigkeiten wurden in Pfitsch, in den Folgejahren auch in den anderen Gemeinden festgestellt. Die Pächter der Almen waren in den drei Gemeinden vielfach dieselben, teilweise untereinander verwandt.

Übertretungen und Kürzungen wurden bei insgesamt acht verschiedenen Grundbesitzern festgestellt und vorgenommen, wobei die Grundbesitzer nur am Rande davon betroffen sind, da sie ja „nur“ den Pachtzins und nicht die Förderung kassieren, und somit die Verantwortung an die Pächter weitergeben.

Der Leiter der Forststation Sterzing, Bruno Brandelli, sagt: „Nur das Gröbste wurde geahndet.“

Welche rechtlichen Konsequenzen haben diese Anzeigen nun nach sich gezogen?

Laut Brandelli war die Kontrolltätigkeit der Forststation Sterzing bezüglich Almförderungen in zwei Richtungen orientiert: „Einerseits wurde die gleichzeitige Verwendung derselben Ohrmarken auf österreichischen und italienischen Almflächen während derselben Weidesaison überprüft – und nachgewiesen, andererseits wurde die Nichtnutzung der im Beitragsantrag enthaltenen Weideflächen geprüft und nachgewiesen. Die festgestellten Missstände hatten sowohl verwaltungsrechtliche als auch strafrechtliche Relevanz.“

Die verwaltungsrechtlichen Auswirkungen:

Die AMA (Agrar Markt Austria), die in Österreich zuständigen Aufsichtsbehörde, hat nach einer Vor-Ort-Kontrolle die Förderung für die Alpungssaison 2018 unverzüglich eingestellt. Der daraus resultierende Rechtsstreit landete schlussendlich vor dem Bundesverwaltungsgericht in Wien und auch hier wurde mit Urteil vom 25. Oktober 2019 der Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen, und die von der Agrar Markt Austria verhängten Sanktionen bestätigt.

„Die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts Wien sind online veröffentlicht“, sagt Brandelli und ergänzt: „Erwähnenswert ist eine kuriose, vom Beschwerdeführer vorgebrachte Verteidigungsaussage: Dieser zufolge waren die im italienischen Almregister von Juni bis 30. September eingetragenen Rinder  – also offiziell in Italien auf der Weide –  laut seiner Berichterstattung nur 8 bis 12 Tage auf italienischem Territorium, und zudem nur wenige Stunden am Tag, da sie der Hirte jeden Abend zurück nach Österreich gebracht hätte. Nach der Kontrolle der AMA Mitte August wurde das Almregister des italienischen Pächters abgeändert, und einige Rinder – ca. 20 von über 100, darunter 13 des Rekurrenten – rückwirkend mit Datum 30. Juni vom Register gelöscht.“

Exemplarisch sei laut Brandelli ebenfalls die Effizienz der AVEPA aus Padua (Agenzia Veneta per i pagamenti in agricoltura – venezianische Zahlungsagentur) einzustufen: „Deren Beamte haben nach einer Inspektion die von unserem Personal vorgenommene Kürzung der Flächen vollständig bestätigt und sogar um einiges erhöht.“

Zusammenfassend wurden aus administrativer Sicht folgende Ergebnisse erzielt:

 

  1. Mit dem Jahr 2018 erfolgte das Ende der doppelten Verwendung derselben Ohrmarken in österreichischen und italienischen Förderanträgen. Seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gibt es zwei Herden, von denen eine nur im italienischen Almregister und die andere im österreichischen geführt wird.

 

  1. Die Streichung von beträchtlichen, ungenutzten Weideflächen aus den Förderanträgen.

 

  1. Seit dem Datum der Kontrollen wurden vier Almen, die im Zuständigkeitsbereich der Forststation Sterzing liegen, nicht mehr an oberitalienische Unternehmen verpachtet.

 

  1. In wirtschaftlicher Hinsicht entspricht dieses Ergebnis einer jährlichen Einsparung von mindestens 100.000 Euro an öffentlichen Zuwendungen – in diesen sechs Weidesaisonen von 2018 bis heute also eine Summe von 600.000 Euro.

 

 

Strafrechtliche Auswirkungen:

Der oben genannte Sachverhalt wurde gleichzeitig der Staatsanwaltschaft Bozen gemeldet, die die Mitteilungen an die zuständigen Staatsanwaltschaften Padua und Trient weiterleitete, da sich die Ermittlungen in erster Linie gegen die Unternehmen richteten, die die Finanzierungsanträge gestellt haben.

Der Ausgang aller eingeleiteten Verfahren ist noch unklar. „Es ist jedoch bekannt, dass einige Verfahren eingestellt wurden“, so Brandelli.

Als Begründung hierfür wurde teils die Wahrung der „Verteidigungsgarantien“ für die unter Ermittlungen stehenden Personen angeführt. „Eine fotodokumentierte Kontrolle eines Polizeibeamten reicht nämlich als Beweiselement nicht aus, wenn nicht gleichzeitig alle von der Strafprozessordnung vorgesehenen Verteidigungsgarantien gewährt werden“, berichtet Brandelli.

Ein Beispiel: „In einem untersuchten Fall wurden die im Weideregister und im Förderungsantrag eingetragenen Kühe den ganzen Sommer lang nie auf der Alm, sehr wohl aber bei einer darauffolgenden Stallkontrolle angetroffen. Es handelte sich um Melkkühe in Laktation, die zweimal am Tag gemolken wurden, und sicherlich keinen einzigen Tag auf der Alm verbracht hatten. Die mit Fotos dokumentierte Zeugenaussage des Beamten reichte aber für eine strafrechtliche Verfolgung des Vorfalls nicht aus. Man hätte mindestens eine weitere Inspektion durchführen müssen, im Idealfall samt Einberufung eines Verteidigers für den Angeklagten, damit dieser sein Recht zur Verteidigung ausüben hätte können“, so Brandelli.

Der Leiter der Forststation Sterzing spricht generell von einem bedenklichen System: „Diese Almverpachtungen sind eine regelrechte Augenauswischerei. Generell ist die Praxis der Pacht von Almflächen in ganz Norditalien weit verbreitet. Es wird regelmäßig über getätigte Ermittlungen, Inspektionen, Abhörmaßnahmen, Beschlagnahmen und auch über Gerichtsverfahren berichtet, aber bis es konkret in einem Urteil bzw. zum Schuldspruch kommt, ist der Weg sehr weit. In unseren Reihen – im ‚System Südtirol‘ – sind indes solche Kontrolltätigkeiten unerwünscht. Keine negativen Schlagzeilen im ländlichen Raum lautet die Devise, und wer sich trotzdem ins ‚Verbotene‘ hineinwagt, muss sich den Rücken ordentlich vor Eigenbeschuss decken.“

Diese seine Aussagen untermauert der Stationsleiter mit einem Beispiel: „Die AMA hat nach einer einzigen Kontrolle, bei der festgestellt wurde, dass sich die Hälfte der Herde in Italien und nicht am angegebenen Ort befindet, die Förderung für die gesamte Herde sofort gestrichen, und nicht nur für die laut Register abwesenden Rinder. Im Gegenzug dazu haben wir in Südtiroler öfters eine Schafherde irgendwo, auch in sechs Kilometer Entfernung von den geförderten Almflächen auf Grund der Landesdomäne aufgefunden. Die ausgestellten Übertretungsprotokolle wurden uns von der Zentrale in Bozen annulliert, mit der wirklich lächerlichen Begründung, dass auf Domänen-Grundstücken das Landesforst- und Weidegesetz keine Anwendung findet, sondern ein Dekret des Amtsdirektors für Domänenverwaltung. Ein absoluter Witz“, so Brandelli.

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (8)

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  • tirolersepp

    Hier ist endlich Recht und Ordnung einzuführen !!!

  • rumer

    @tirolersepp
    hast du verstanden worum es geht? Ich tu mich schwer dabei…
    1. Punkt: 20 von 100 Rinder waren weniger auf der Weide als sie hätten sollen. Okay, ein kleines Vergehen, rechtfertigt eine kleine Strafe
    2. Punkt: Almverpachtungen sind nicht illegal, sondern ein ganz normaler Vorgang!
    3. die Pächter aus Restitalien haben um zu hohe Prämien angesucht. Dass ihnen diese gestrichen wurden, ist absolut richtig.
    4. eine Herde Schafe weidete auf Grund der Landesdomäne anstatt auf ihrer Alm. Na ja, ist komisch, man sollte mal den Hirten ins Gebet nehmen. Die Annullierung der Strafbefehle durch die Zentrale in Bozen finde ich gut.
    WARUM ÜBERHAUPT DIESE POLEMIK ?
    Der Grund dafür ist interessant. Die Südtiroler bekommen weniger als 100 Euro pro Hektar Förderungen. Die Sizilianer aber über 1000 Euro. Pachten die Sizilianer in Südtirol, so können sie auch 1000 Euro von der EU abcashen.

  • morgenstern

    Wenn es um die Landwirtschaft geht dann geht es in der Regel immer nur um Beiträge u. Subventionen. Für mich stellt sich langsam die Frage wie lange wir uns diesen Luxus noch leisten wollen bzw. können.

  • dn

    Genau, teurere Lebensmittel statt Subventionen. Diese bezahlt der Steuerzahler und absahnen tun die Schlauen. Unterm Strich wärs für den Steuerzahler billiger. Fragen Sie die Eurokraten und Lobbyisten in Brüssel, was denn daran so toll ist?

  • robby

    Dieser Leiter der Forststation wird sich wohl um einen neuen Job umsehen müssen.

  • @alice.it

    Für Vieh, welches zeitweilig auf fremden Almen weidet, sollte den Bauern auch eine ordentliche Mehrsprachigkeitszulage ausbezahlt werden.

  • tirolersepp

    Ordentlicher Beitrag vom Land, dann braucht’s die walschen furbi nicht !!!

    Recht und Ordnung ist wiederherzustellen !

  • bettina75

    Kontrollen und Strafen ausstellen für die nimmersatten Bauern.

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