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„Er war kein Heiliger“

Für Alt-Senator Karl Zeller war Silvio Berlusconi der Erfinder des neuen Populismus. Der Forza-Italia-Chef habe es geschafft, die ItalienerInnen davon zu überzeugen, dass sie alle reich werden können.

TAGESZEITUNG: Herr Senator, Silvio Berlusconi ist tot. Was bleibt?

Karl Zeller: Silvio Berlusconi war eine schillernde Persönlichkeit, die weit über Italien hinaus bekannt geworden ist, auch wegen seiner unorthodoxen Lebensweise. Er war der Erfinder, der Vorläufer des neuen Populismus à la Trump, aber nicht so extrem. Als Mensch war er sympathisch und lustig. Er war großzügig. Seine politischen Leistungen waren nicht so großartig, er ist in die Politik gegangen, um seinen Firmen zu retten.

Bleiben wir beim Politiker Berlusconi …

Er hat fragwürdige Botschaften ausgesandt wie zum Beispiel: Steuerhinterziehung ist Notwehr. Oder seine Kämpfe gegen die Justiz. Es gab sicher Staatsanwälte, die so manches Verfahren gegen Berlusconi an den Haaren herbeigezogen haben. Aber viele dieser Verfahren sind nicht zum Urteil gelangt, weil Berlusconi seine Ad-personam-Gesetze im Parlament durchgeboxt hat, etwa mit der Verkürzung der Verjährungsfristen. Die Vermutung ist also da, dass er bestimmte Dinge begangen hat. Die politische Bilanz des Silvio Berlusconi ist eine zwiespältige. Heiliger war er keiner, darin sind wir uns alle einig.

Berlusconi hat Italien jahrzehntelang geprägt?

Er hat eine neue Epoche, er hat die Zweite Republik geprägt. Er war der erste Politiker in Italien, der sich eine eigene Partei gehalten hat. In Grillo, Renzi und Meloni hat er später Nachahmer gefunden. Er hat aus den Trümmern der Ersten Republik eine neue Kraft installiert. Jetzt stellt sich das Problem: Wenn nicht eines seiner Kinder Forza Italia übernimmt, wir die Marke Berlusconi nicht erhalten bleiben – und Forza Italia wird zerbröseln.

Was fällt Ihnen zu Berlusconi und Südtirol ein?

Südtirol war Berlusconi schnurzpiepegal. Südtirol war ihm völlig Wurscht. Berlusconis Fehler war, eine Michaela Biancofiore schalten und walten zu lassen – mit den hinlänglich bekannten Effekten …

Nämlich?

Forza Italia ist in Südtirol verschwunden, auch weil Biancofiore in der Hochphase des Berlusconismus die Zügel in den Händen gehalten hat. Jetzt haben Biancofiore & Co. Kreise gefressen, damals waren sie die Scharfmacher.

Berlusconis Fehler in Bezug auf Südtirol war also …

… die Frau Biancofiore gewähren zu lassen. Berlusconis einziger Bezug zu Südtirol war – neben Biancofiore – der Kur-Aufenthalt bei Henri Chenot.

Erinnern Sie sich noch an Berlusconis Stinkefinger?

Natürlich, das ist alles auf Biancofiores Mist gewachsen, die Aktion hat Forza Italia sehr geschadet. Was die Durchführungsbestimmungen und die Angriffe auf die Südtirol-Autonomie angeht, war Berlusconi nach Mario Monti der Ministerpräsident, der Südtirol am meisten geschadet hat. Berlusconi hat Leute wie Frattini und Fini einfach gewähren lassen. Auch war vor 15 Jahren bereits mit Berlusconi ausgemacht, dass Biancofiore abgelöst werde, am Ende ist sie geblieben. Lieber als mit Biancofiore zu streiten, hat Berlusconi Forza Italia in Südtirol eingehen lassen.

Eine Entmachtung Biancofiores wäre der Preis für eine Annäherung der SVP mit Forza Italia gewesen?

Ja, Berlusconi war ja der Alleinherrscher. Aber Biancofiore auszutauschen, war ihm zu lästig. Das bedeutet im Umkehrschluss: Südtirol war für Berlusconi nichts, für das es sich gelohnt hätte zu streiten.

Berlusconi wird auch als Politiker in die Geschichte eingehen, der keine Berührungsängste zu Diktatoren und Despoten hatte. Putin. Ghadaffi …

In diesem Kreis hat er sich offenbar wohlgefühlt. Auch Putin und Ghadaffi sind bzw. waren machomäßig unterwegs.

Silvio Berlusconi in Meran (2018)

Warum sind die ItalienerInnen dem Charme Berlusconis erlegen? Was verkörperte er für die ItalienerInnen?

Er hat es geschafft, den ItalierInnen zu erklären, dass sie alle reich werden können. Er selbst hat es ja auch vom Tellerwäscher zum Millionär gebracht. Berlusconi war der erste Politiker, der den Populismus salonfähig gemacht hat, indem er, zum Beispiel, durchgesetzt hat, dass die Erstwohnung für alle steuerfrei bleibt – egal, ob es sich um eine 50-Quadratmeter-Wohnung oder um eine Villa handelt. Berlusconis Botschaft an das Individuum lautete: Der Staat ist dein Feind …

… so wie die Mafia?

Das will nicht sagen. Aber Berlusconis Botschaft war: Es ist legitim den Staat zu betrügen, weil er betrügt dich ja auch. Mit seiner Politik hat Berlusconi den Institutionen schwer geschadet. Berlusconi hat den ItalienerInnen das gesagt, was sie gern gehört haben. Einmal gewählt, hat er seine Versprechen nicht unbedingt umgesetzt …

Somit unterscheidet er sich gar nicht so sehr von vielen anderen PolitikerInnen …

Mit Hilfe seiner drei Fernsehsender hat sich Berlusconi perfekt inszeniert. Im Parlament war er kaum anwesend, außer dann, wenn es um seine Ad-personam-Gesetze ging. Wenn es um Gesetze gegen die Justiz und wenn es darum ging, seine Firmen zu retten, waren alle von Forza Italia da.

Legendär ist Berlusconis Vertrag mit den Italienern …

De facto hat Berlusconi lieber das Gesundheits- und das Schulwesen in Italien ausbluten lassen, als das Gemeinwesen zukunftsfit zu machen. Lieber hat er versucht, Steuersenkungen durchzusetzen.

Hätte Berlusconi es auch ohne seine Fernsehsender geschafft, so weit zu kommen?

Nein. Wenn er nicht Millionär gewesen wäre, hätte er nie eine Partei gründen können. Die Partei hat er aus eigener Tasche bezahlt. Für ihn war klar: Wenn mir der Staat einen Fernsehsender wegnimmt, dann kostet dies mich mehr als wenn ich mir eine Partei gründe.

Auch über den Fußball hat Berlusconi Politik gemacht …

Auch die Kombination Politik-Fußball entsprach einer neuen Art Politik zu machen. Als Milan-Präsident wurde Berlusconi vergöttert. Sein Leitmotiv war: Brot und Spiele. Ich gebe den Leuten Brot und Spiele und sie wählen mich.

Über die Fernsehsender hat Berlusconi seine Macht aufgebaut …

Ja, genau deswegen hatte er ja bei den Hausfrauen die größte Zustimmung. Er verstand es, die Hausfrauen mit den Soap Operas zu berieseln, er gab sich als der perfekte Schwiegersohn, er versprach Mindestrenten von einer Million Lire. Kurzum: Berlusconi war der erste Politiker, der mit Marketingmethoden Politik gemacht hat, und zwar nach der Midas-Methode: Alles, was ich angreife, mache ich zu Gold. Ich bin der Gewinnertyp.

Hat der Bunga-Bunga-Skandal Berlusconi geschadet?

Was das internationale Ansehen angeht, hat ihm der Skandal geschadet, in Italien aber nicht weiß Gott wie. Für viele Italiener war das eine lässliche Sünde. Berlusconi hat den Traum vieler Italiener verkörpert, nämlich: erfolgreich bei Frauen und im Geschäft zu sein. Und noch dazu beschützt er uns vor der Invadenz des Staates, der uns zu viele Steuern abverlangt. Hinzu kommt Berlusconis Nähe zum Vatikan.

Woran kann man diese Nähe festmachen?

Nehmen wir die künstliche Befruchtung: Berlusconi war immer nahe am Vatikan, Er selbst hat genau das Gegenteil von dem gelebt, was die Kirche sagt. Mit anderen Worten: Er kann sich privat aufführen wie eine Wildsau, aber politisch tut er das, was die Kirche will.

Wie interpretieren Sie Berlusconis verzweifelten Kampf gegen das Altern?

Es war ja lächerlich, zuletzt hat er wie eine Wachsfigur ausgesehen. Es war brutal zu sehen, wie er geschminkt war. Aber er war halt ein Narziss. Er war klein, deswegen hat er nicht nur hohe Absätze getragen, sondern am Rednerpult wurde immer ein Hocker angebracht, damit er größer ausschaut. Wie viele kleinwüchsige Menschen hatte auch Berlusconi ein großes Geltungsbedürfnis. Und er wollte nicht alt werden, auch deswegen hat er sich jedes Mal eine jüngere Freundin ausgesucht.

Was bleibt?

Berlusconi ist jetzt doch überraschend gestorben. Er geht in die Geschichte ein als Politiker, der die letzten 25 Jahre dominant war. Er war weltberühmt. Den Berlusconi kennt jeder. Er bleibt als schillernde Figur in Erinnerung, weniger wegen seiner politischen Leistungen, sondern als Charakter, als Typ.

Interview: Artur Oberhofer

 

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