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„Das wäre fatal“

Tierschützer streben per Referendum zwei Gesetzesänderungen an, die de facto einer Abschaffung der Jagd in Italien gleichkommen. In Südtirol ist man alarmiert, wie Benedikt Terzer vom Jagdverband im Interview betont.

Tageszeitung: Herr Terzer, italienische Tierschützer sammeln aktuell Unterschriften zwecks Abhaltung eines Referendums zur Jagd. Worum geht es genau? 

Benedikt Terzer: Mit dem angestrebten Referendum sollen zwei Gesetzesartikel abgeschafft werden: Artikel 19-ter im staatlichen Rahmengesetz zur Jagd, der ein Regulierungssystem für Wildtiere enthält. Dieser Punkt betrifft Südtirol nur marginal, da das Land hier primäre Gesetzgebungskompetenz und seit 1987 auch ein eigenes Jagdgesetz hat. Sorge bereitet uns dagegen die zweite angestrebte Fragestellung.

Was besagt diese?

Die Promotoren des Referendums möchten Art. 842 des Zivilgesetzbuches streichen. Dieser besagt, dass ein Jäger in Ausübung seiner Tätigkeit fremden Grund und Boden betreten darf, ohne vorher den Besitzer um Erlaubnis zu fragen. Dies deshalb, da er sonst seinen Auftrag der Wildbestand-Regulierung nicht erfüllen könnte. Konkret: Ein Waldeigentümer darf einen Jäger nicht daran hindern, auf seinem Grund zu jagen. Wird dieser Artikel abgeschafft, würde es de facto einem Verbot der Jagd in Italien gleichkommen.

Die Promotoren müssen 500.000 Unterschriften sammeln, damit das abschaffende Referendum durchgeführt werden kann. Wie realistisch ist es, dass es dazu kommt?

Es ist davon auszugehen, dass diese Unterschriften zusammenkommen. Das heißt jedoch noch nicht, dass die Volksbefragung tatsächlich stattfindet, weil die Fragestellung noch vom Verfassungsgericht auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz geprüft werden muss. Und selbst wenn es zum Referendum kommt: Das Quorum von 50 Prozent plus 1 der Wahlberechtigten stellt eine relativ hohe Hürde dar. Dennoch sind wir auf der Hut.

Der letzte Vorstoß der Jagdgegner geht auf 2021 zurück. Damals scheiterten die Promotoren bereits an der Unterschriftensammlung. Warum sollte es diesmal anders sein?

Vor zwei Jahren konnten nur 119.000 gültige Unterschriften gesammelt werden, 256.000 waren ungültig. Doch damals galten die Erschwernisse der Pandemie, jetzt ist die Situation ernster zu nehmen.

Häufig ist im Zusammenhang mit dem Tierschutz von einer paradoxen Situation die Rede. Warum?

Einerseits haben wir relativ hohe Schalenwilddichten in Italien, und generell in Mitteleuropa, die nach wie vor steigen. Wir alle kennen die Bilder aus Rom, wo beispielsweise Wildschweine mittlerweile sogar durch die Straßen streifen. Diese Tiere richten große Schäden in der Landwirtschaft an. Das Verfassungsgericht hat deshalb 2021 per Urteil eingeräumt, dass die Situation in einigen Gebieten nicht mehr tragbar ist.

Und auf der anderen Seite?

Auf der anderen Seite haben wir radikale Tierschützer, die in den Städten zuhause sind und keinen Bezug zum Landleben haben. Sie argumentieren damit, dass sich die Natur von selbst regelt und dass es daher keine Jagd braucht. In Wirklichkeit haben wir einige wunderbare Beispiele dafür, dass dem nicht so ist.

Welche?

Blicken wir in den städtisch geprägten Schweizer Kanton Genf. Hier wurde die Jagd 1974 per Volksbefragung abgeschafft. Nach einigen Jahren ist die Wildtierpopulation explodiert, große Schäden waren die Folge. Die Kantonsverwaltung geriet daraufhin unter Zugzwang und es mussten verbeamtete Jäger eingestellt werden, die mit Steuergeld das taten, was zuvor Ehrenamtliche erledigten. Das kostet den Bürgern jährlich mehrere Mio. Franken. Mittlerweile erlegen die Beamten mehr Wild als vorher die Jäger. Die Promotoren haben also genau das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich ihre Absicht war.

In den 1980er Jahren kam es auch im Nationalpark Stilfserjoch zu einem Jagdverbot. Was waren damals die Folgen?

1983 setzte die Tierschutzorganisation WWF im Nationalpark ein Jagdverbot durch. Auch hier hat sich das Rotwild nach wenigen Jahren schon so stark vermehrt, dass große Schäden am Waldbestand verzeichnet wurden. Zudem trat mit der Paratuberkulose eine Seuche im Wildbestand auf.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Jagd in Italien per Referendum abgeschafft werden soll?

Es gab mehrere Anläufe. 1981 und 1987 hat das Verfassungsgericht die Fragestellung abgelehnt, da sie nicht mit dem Grundgesetz vereinbar war. Im Juni 1990 hingegen kam es zu einem Jagd-Referendum, das nur haarscharf scheiterte, weil das Quorum nicht erreicht wurde. Damals stimmten 92 Prozent der Referendumsteilnehmer gegen die Jagd.

Agrarlandesrat Arnold Schuler sagt, dass ihm der neuerliche Anlauf der Tierschützer Sorge bereitet. Gerade die aktuelle Diskussion um Bär und Wolf würde zeigen, dass die Stadtbevölkerung sehr emotional reagiert und eine Bejagung von Wildtieren generell ablehnt. Wie ist Ihre Meinung?

Ich denke, dass die Einstellung der Menschen unterschiedlich ist. In der Stadt verfallen viele Bewohner der irreführenden Propaganda radikaler Tierschützer. Völlig anders ist die Situation auf dem Land. Und zu guter Letzt darf man die Bürger nicht unterschätzen. Ich verweise hier wiederum auf die Schweiz: 2018 hat Zürich ein Jagdverbot mit 84 Prozent der Abstimmenden abgelehnt. Die Bevölkerung wollte die Genfer Erfahrungen nicht auf ihren Kanton übertragen.

Was hätte eine Abschaffung der Jagd für Folgen?

Es käme zu merkbaren Auswirkungen auf unsere Ökosysteme, zu vermehrten Schäden in Forst- und Landwirtschaft sowie häufiger zu Wildunfällen. Überhöhte Wildtierdichten bergen zudem ein erhöhtes Gefahrenpotenzial für Seuchen. Weiters gilt es auch den finanziellen Aspekt zu betrachten. Gemäß einer österreichischen Studie werden die Kosten bei einer Abschaffung der Jagd auf eine Mrd. Euro pro Jahr geschätzt. Abschließend ist noch anzumerken, dass laut Weltnaturschutzorganisation IUCN die nachhaltige Jagd ein Instrument zum Erhalt der Naturvielfalt darstellt.

Interview: Karin Gamper

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (8)

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  • heracleummantegazziani

    Es ist klar, dass es eine Regulierung der Wildtiere braucht, aber es ist schon interessant, dass die Jäger eine Gefahr darin sehen, wenn man – hauptsächlich Schalenwild, das für Verbissschäden verantwortlich ist – nicht reguliert und auf der anderen Seite die natürlichen Feinde ausrotten wollen. Eine Konkurrenz für ihre Leidenschaft sind Wolf und Bär sicher nicht.
    Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Jagd, wenn sie nicht aus „sportlichen“ Gründen erfolgt, aber das Argument der Wildtierunfälle ist eher schwach. Ein Verbot der Jagd würde nämlich auf der anderen Seite Jagdunfälle verhindern und ich bin mir nicht sicher ob sich nicht mehr Jäger über den Haufen schießen, als Rehe vor ein Fahrzeug laufen.

    • 2xnachgedacht

      @ heracl
      laut offiziellen daten, (südtirol) wurden im jahre 2014 686 unfälle mit rehwild u 90 mit rotwild gemeldet. soviel zu ihrem schlußsatz.
      anhand dieser daten, hab ich davon abgesehen nach *übern haufen geschossen jägern* zu suchen…

      • heracleummantegazziani

        Ironie scheint für Sie ein Fremdwort zu sein. Es gab in der Jagdsaison 21/22 90 gemeldete Zwischenfälle unter Jägern, 24 davon tödlich. Nicht so ohne, wenn man den verschiedenen Stellenwert auch berücksichtigt.
        Das ändert jedoch nichts daran, dass Wildtierunfälle eine eher schwache Begründung dafür ist, die Jagd nicht abzuschaffen.

        • andreas1234567

          Hallo @heracleummantegazziani

          darf man die Statistik mit den 24 getöteten Jägern in der Jagdsaison 21/22 irgendwo nachlesen? Beziehen sich diese Zahlen auf Südtirol, Italien, Europa oder weltweit?
          Ich hoffe es werden da nicht irgendwelche Horrornachrichten von PETA und Konsorten verbreitet die freudig auf diesen „Jagd verbieten“-Zug aufspringen um Spenden einzuheimsen.
          Verlinken darf man seine gefundenen Weisheiten hier schon wenn man sich nicht dafür schämt..

          Gruss nach Südtirol

        • 2xnachgedacht

          @heracl
          zum thema beibehaltung oder abschaffung der jagd, habe ich mich nicht geäussert.

  • robby

    Wo kann ich unterschreiben?

  • karel

    Das nächste Jahr verspricht eine Fülle von Aufrufen zum Urnengang.
    Wenn alle Unterschriftensammlungen für bestimmte Anschaffungsreferenden Italiens weit die erforderliche Mindestzahl erreicht haben und einige von ihnen für zulässig erklärt werden, ist ein weiteres Jahr voller Wahlaufrufe zu erwarten.

    Es gibt insgesamt fünf Referenden, die zur Unterschrift vorgeschlagen werden, zwei davon zielen auf die Abschaffung der Jagd ab (sicher problematisch für die Südtiroler Grünen, dass im Promotorenkomitee gegen die Jagd eine Abgeordnet-in sitzt, die im Wahlkreis Emilia Romagna 02 auf der Liste Alleanza Verdi e Sinistra gewählt wurde), zwei gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und eines gegen die private Gesundheitsversorgung.

    Zusätzlich, wenn tatsächlich einige Bürgermeister für den Landtag kandidieren, wird es einige Kommunalwahlen geben und nicht zu vergessen die Wahlen zum Europäischen Parlament.

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