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Darf Kunst schön sein?

Günther Oberhollenzer: Der ganze Kunstzirkus kann manchmal schon ungemein nerven. (Foto: Irina Pozdorovkina)

Der Pfalzner Kunsthistoriker, Kurator und Autor Günther Oberhollenzer hat im vergangenen Herbst die Leitung des Künstlerhauses Wien übernommen.  Ein Gespräch über seine neue Herausforderung, die „Systemrelevanz“ der Kunst und sein Ziel, die Kunst vom Sockel zu holen.

Tageszeitung: Herr Oberhollenzer, nach der Sammlung Essl in Klosterneuburg und der Landesgalerie Niederösterreich in Krems leiten Sie seit Herbst vergangenen Jahres das Künstlerhaus Wien. Das prächtige Haus am Karlsplatz kennt man von außen, was sich drinnen abspielt, ist schon weniger bekannt. Was ist das Künstlerhaus?

Günther Oberhollenzer: Das Künstlerhaus wurde 1868 eröffnet und ist ein wunderbarer Ort für Kunst im historischen Zentrum von Wien. Die Gesellschaft bildender Künstlerinnen und Künstler Österreichs ist eine autonome, gemeinnützige Künstler*innenvereinigung, die das Kulturleben der Stadt mitgestaltet und bereichert. Wir fördern die Produktion, den Austausch und die Vermittlung von zeitgenössischer Kunst und stehen für ein offenes und diskursives, interdisziplinäres und auch spartenübergreifendes Ausstellungs- wie Veranstaltungsprogramm, das in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt ist und sich mit drängenden Fragen unserer Zeit auseinandersetzt.

Die 1861 gegründete Künstlerhaus Vereinigung umfasst 500 Mitglieder. Ist die Institution in etwa dem Südtiroler Künstlerbund vergleichbar?

Ja, es gibt durchaus Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede.

Sie sind nach Tim Voss, der die Vereinigung von 2018 bis 2020 leitete, erst der zweite künstlerische Leiter des Künstlerhauses. Wie wurde das bis dahin gehandhabt?

Bisher wurde durch interne Gremien wie etwa dem Programmausschuss – in Absprache mit dem Vereinsvorstand – die inhaltliche Ausrichtung bestimmt, wie auch die einzelnen Ausstellungsprojekte definiert. Ich habe aber schon seit einigen Jahren – auch unabhängig von meiner Person – dafür plädiert, dass es hier eine kompetente Person braucht, die in leitender Funktion eine stärkere Fokussierung des Programms ermöglicht und inhaltlich das Haus und die Vereinigung repräsentiert. Ich betrachte mich dabei als Kurator aber auch Kommunikator: nach innen gegenüber den Mitgliedern des Künstlerhausvereins und dem Team, ebenso wie nach außen gegenüber externen Künstler*innen, Kurator*innen, Fördergebern und Partnern – wie der Albertina Modern. Und ich sehe mich als Kunstvermittler gegenüber unserem Publikum. 

Im Erd- und Untergeschoss residiert seit 2020 die Albertina Modern. Deren Chef Albrecht Schröder, liest man, ist mit der Nachbarschaft nicht wirklich glücklich. Warum nicht?

Ich habe mit Albertina Direktor Klaus Albrecht Schröder und mit der Direktorin der Albertina Modern Angela Stief einen guten inhaltlichen Austausch. Ich sehe hier einiges Verbindendes: die gemeinsame Leidenschaft für die Kunst wie auch für die Sammlung Essl – sie ist ja nun Teil der Sammlung Albertina. Natürlich, wir haben andere Zugänge zur zeitgenössischen Kunst, aber wir machen beide gutes Programm. Es ist kein Geheimnis, dass es hier von der Albertina noch einige Vorbehalte gibt. Meine Aufgabe ist es, durch meine Person und qualitätsvolles Programm diese zu zerstreuen. Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass wir hier stärker zusammenarbeiten. Von meiner Seite besteht dafür große Bereitschaft.

Sich neben der Albertina Modern zu behaupten, ist eine Herkulesaufgabe. Wie wollen Sie der Künstlerhaus-Vereinigung das nötige Selbstbewusstsein dafür einhauchen?

Ach, ich bin da optimistisch. Ja, ein zentrales Anliegen ist es mir, die Sichtbarkeit des Künstlerhauses wie auch der Vereinigung der bildenden Künstlerinnen und Künstler zu stärken und durch eine klare inhaltliche Positionierung und Handschrift die Relevanz in der österreichischen Kunstszene zu erhöhen. Ich möchte den positiven Schwung, die gute Stimmung, die seit dem Wiedereinzug hier im Haus und auch durch viel neue Mitglieder sowie neubesetzte Funktionen spürbar ist, stärken und weiterverbreiten. Ich habe ein tolles Team, es gibt ungemein viele wunderbare Künstler*innen, die Kunsträume sind toll, und ich habe viele Ideen für schöne Ausstellungsprojekte…

Das Künstlerhaus hatte, wie Sie selbst sagen, lange Zeit „Imageprobleme“, es fehle ihm an „Sichtbarkeit“. Hat das mit der Nachbarschaft der großen Museen oder mit der eher unklaren inhaltlichen Ausrichtung zu tun?

Ich habe gesagt, dass das Künstlerhaus in Vergangenheit Imageprobleme hatte, aber auch, dass sich hier schon den vergangenen Jahren und Monaten vieles zum Positiven gewandelt hat. Über lange Zeit war nur eine bedingte Sichtbarkeit gegeben, da das Haus hinter einem Baugerüst versteckt war (und das vor der eigentlichen Renovierung), oder es mussten aufgrund der budgetären Notlage viele Vermietungen durchgeführt werden, wodurch das eigene Programm verwässert wurde. Die bauliche Sichtbarkeit ist nun wieder da – ein wunderschönes Gebäude (die Museen im Umraum empfinde ich in diesem Zusammenhang als eine Bereicherung), für die inhaltliche Sichtbarkeit muss ich sorgen. Wesentlich ist, dass nun, unter den neuen Rahmenbedingungen, gemeinsam aufgetreten und besser kommuniziert wird. Dies ist in der Vergangenheit nicht immer geglückt. Unser Publikum muss wissen, wofür das Haus steht, was sie erwartet.

Ihre erste Ausstellung ist eine Gruppenschau mit dem Titel „Systemrelevant“. Der Begriff brachte es in der Corona-Krise zu einiger Berühmtheit, als Kunst und Kultur von der Politik als nicht systemrelevant abgetan wurden. Was verstehen Sie unter „Systemrelevanz“?

Mich reizen Wortschöpfungen, die viel Interpretationsspielraum zulassen. Ich empfinde den Begriff als interessant und problematisch zugleich. In dieser sehr persönlichen wie programmatischen Schau möchte ich nicht beantworten, was er bedeutet, sondern ihn vielmehr zur Diskussion stellen. Ich präsentiere künstlerische Positionen, die in ihren Arbeiten bewusst Anspruch auf gesellschaftliche Relevanz erheben, aber ich fragt auch bei Kunstschaffenden nach, wie sie ihre Rolle sehen, welche Themen sie aktuell diskutieren. Einige Künstler*innen werden mit neuem Arbeiten beauftragt, in denen sie sich sehr frei mit Systemrelevanz auseinandersetzen. Es wird ist ein selbstbewusstes Statement für die Kunst, Kunstschaffende und den Kunstraum, ohne aber in eine Rechtfertigungsdynamik verfallen.

Viele Künstler, Musiker und Literaten reagierten damals beleidigt auf die Aussagen aus der Politik, andere hingegen behaupteten, die Aufgabe der Kunst bestehe eben genau darin, nicht systemrelevant, sondern systemkritisch und subversiv zu sein. Was will sie denn sein, die Kunst?

Die Kunst ist Teil unseres Seins. Was macht uns zu Menschen? Kunst, Wissenschaft, Religion. Es entspricht unserem Charakter, sich durch kreative Äußerungen unseres Selbst zu vergewissern, sich über Gott und die Welt Gedanken zu machen und diese Erfahrungen mit anderen zu teilen. Vorsichtig sollten wir sein, wenn der Kunst dezidiert Aufgaben zugesprochen werden. Sie kann alles, muss aber nicht.  Und ich möchte ihr keinesfalls vorschreiben, was sie tun soll. Nach meinem Empfinden kann die Relevanz der Kunst aber schon darin liegen, nicht systemkompatibel zu sein, etwa indem sie den Finger in die Wunde gesellschaftliche Missstände legt. Aber das ist eine Sichtweise von mehreren, die in der Ausstellung verhandelt werden…

Zu Ihren erklärten Zielen gehört es, Kunst vom Sockel holen. Auf welchem Sockel steht sie denn?

Ich erlebe den Umgang mit und das Betrachten von zeitgenössischer Kunst oft wie in einem elitären Zirkel, dem nur Kenner*innen und Wissende angehören können – eine kleine, eingeschworene Gruppe, die Kunst einen intellektuellen Überbau und so auch die Aura des Bedeutsamen, des Unantastbaren verleiht, bestehend aus Inhalten, die nur für dies kleine Minderheit erschließbar ist. Liest man z.B. manche Ausstellungstexte oder Katalogessays, beschleicht einem das Gefühl, hier wird nicht den Lesenden Kunst vermittelt, sondern entrückt – weit weg in eine andere Sphäre mit exklusivem Zugang. Wir müssen weg von diesem Elfenbeinturm-Denken. Wie von einer Panoramawarte aus betrachten wir das künstlerische Schaffen, teilen ein, kategorisieren, bewerten und analysieren und das natürlich mit größtmöglicher Distanz und sprachlicher Nüchternheit. Dabei handelt es sich bei der Kunst doch um ein visuelles Medium, das unsere Sinne anspricht und, nachdem es als Bild auf die Netzhaut getroffen ist, sich seinen Weg in unseren Geist, Verstand und ja, auch unser Herz bahnen soll.

Der Sockel abgehobener Intellektualität ist ein Vorwurf an die zeitgenössische Kunst, das größere Problem ist der fatale Eindruck, dass sie ein Spielzug von Ultrareichen geworden ist. Was kann man dagegen tun?

Das ist wahrlich ein Problem, gerade auch für mich, da ich Kunst als Grundnahrungsmittel betrachte. Vieles hat hier auch mit verzerrten Wahrnehmungen zu tun.  Die hochpreisigen Werke machen rein prozentuell nur einen sehr geringen Teil des Kunstmarktes aus. Wenn Kunst in den Medien vorkommt, dann muss es eine Meldung wert sein. Das ist scheinbar dann der Fall, wenn Picasso um über 100 Millionen verkauft wurde, oder ein geschredderter Banksy massiv an monetären Wert zugelegt hat. Der banale Kunst(markt)alltag kommt natürlich nicht vor. Ich kann als Kunstliebhaber heute um bereits wenige hundert Euro eine kleine Zeichnung, vielleicht sogar eine Malerei einer jungen aufstrebenden künstlerischen Position kaufen. Das ist auch viel Geld, aber da kann man ehrlich überlegen: kaufe ich mir das neue Handy, die Felgen fürs Auto oder einen bleibenden Wert?  Und hier meine ich vor allem auch den immateriellen.

Sogenannte einfache Menschen möchten, dass Kunst einfach schön ist. Völlig zu Recht, oder?

Darf Kunst schön sein? Ja sie darf. Es ist nicht nachvollziehbar, warum in der zeitgenössischen Kunst der Begriff Schönheit manchmal fast wie ein Schimpfwort gebracht wird. Kanonisierte Werke der Kunstgeschichte dürfen als schön empfunden werden, aber in der Gegenwart soll Schönheit keine Rolle mehr spielen? Gleichzeitig sollte man zwischen schön als ästhetisch ansprechend und schön als kitschig unterscheiden. Kitsch ist affirmativ und keine Herausforderung für Sinne und Geist, sondern nur deren Ruhestellung. Die „schöne“ Kunst hingegen ist auch fordernd und nicht nur schön im herkömmlichen Sinn. Es ist gerade der schonungslos offene Blick auf das ganze Spektrum der Wirklichkeit, der die Kunst wahr machen kann. Und ja hier hat auch das Hässliche und Unharmonische, das Irritierende und Verstörende seinen Platz.

Was muss man denn tun, um die Leute zu erreichen? Genügt es, in verständlicher Sprache darüber zu reden und den elitären Kunstsprech der Kuratoren zu vermeiden?

Mit meiner offen gezeigten Leidenschaft für die Kunst erreiche ich die Menschen mehr als mit einem kunsttheoretischen Vortrag, bei dem ich Foucault und Derrida zitiere. Ich möchte Kunst nahbarer machen, eine Sprache sprechen, die verstanden wird und sinnliche Ausstellungen gestalten, die die Menschen in ihrer Alltagsrealität abholt – fundiert und mit gesellschaftsrelevanten Themen, aber lebensnah umgesetzt und ohne Scheu vor Emotion.

„Ich mache keine Ausstellungen, damit mir meine Kuratorenkolleginnen auf die Schulter klopfen“ haben Sie in einem Interview gesagt. Mit dieser Haltung stehen Sie ziemlich allein da. Ist das ein Problem oder eine Auszeichnung für Sie?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich stelle aber fest, dass nach Corona viele Museen sich Strategien überlegen, um mehr und diverseres Publikum anzulocken. Das ist gut so, aber ich muss auch etwa schmunzeln. Bei mir ist das keine Strategie, sondern eine Charaktereigenschaft. Ich habe meine Projekte immer schon für unser Publikum und nicht zur Selbstbeweihräucherung gemacht.

Ihr Buch „Von der Liebe zur Kunst“ ist jüngst in zweiter Auflage erschienen. Nervt Kunst Sie auch manchmal, können Sie Kunst auch mal hassen, stellen Sie sie auch mal grundsätzlich infrage? Wenn ja, wann?

Es ist die dritte überarbeitete und erweiterte Auflage. Ach, manche zeitgenössische künstlerische Positionen (durchaus auch bekannte) finde ich fürchterlich. Und der ganze Kunstzirkus kann manchmal schon ungemein nerven. Aber die Liebe zur Kunst ist wohl eine lebenslange Beziehung – verbunden mit dem Wunsch, diese mit interessierten und neugierigen Menschen zu teilen.

Interview: Heinrich Schwazer

 

Zur Person

Günther Oberhollenzer, geboren 1976 in Brixen, ist Kunsthistoriker, Kurator und Autor und lebt und arbeitet in Wien. Er studierte Geschichte und Kunstgeschichte in Innsbruck und Venedig sowie Kulturmanagement in Wien. Von 2006 bis 2015 war er Kurator am Essl Museum in Klosterneuburg bei Wien, davor arbeitete er am Referat für Bildende Kunst in der Kulturabteilung der Stadt Wien. Von 2016 bis 2022 war er leitender Kurator der Landesgalerie Niederösterreich in Krems und von 2014 bis 2018 Mitglied des Südtiroler Kulturbeirates. Seit 2014 ist er Lehrbeauftragter am Institut für Kulturmanagement und Gender Studies (IKM) an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Mit Oktober 2022 übernahm er die Künstlerische Leitung des Künstlerhauses in Wien. Im Herbst 2022 erschien in dritter erweiterter und aktualisierter Auflage sein Buch „Von der Liebe zur Kunst“ (Limbus Verlag, Innsbruck). www.liebezurkunst.com

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