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„Viel Panikmache“

(Foto: Walter Wiedenhofer)

Das erhöhte Vorkommen der Prozessionsspinner in Südtirol bereitet vielen Menschen Sorge. Alessandro Andriolo, vom Landesamt für Forstplanung und teaching assistant an der Universität Bozen, gibt jedoch Entwarnung.

Tageszeitung: Herr Andriolo, was sind Prozessionsspinner?

Alessandro Andriolo: Prozessionsspinner sind eigentlich relativ unauffällige Schmetterlinge, die am Ende des Sommers die Eier auf die Nadel der Kieferarten legen. Daraus schlüpfen bald die jungen Larven, die die Blätter fressen und sich dadurch entwickeln. Erst bauen sie kleinere Nester, dann bilden sie zahlreichere Gruppen und bauen somit die bekannten seidenartigen Nester. Am Ende der Larvenentwicklung ziehen sie als reife Raupen in Form von Prozessionen vom Baum zum Bodenstreu, wo sie sich zur Verpuppung eingraben. Das passiert gegen Ende des Winters, wenn’s wärmer wird. Die Mehrheit schlüpft als Adultfalter schon gegen Ende August des Jahres. Die restlichen Puppen bleiben mindestens ein Jahr länger im Boden, um das Überleben der Art zu sichern, wenn sich die Vermehrungsbedingungen in diesem Jahr als nicht ideal herausstellen. Diese sogenannte Diapause kann bis zu neun Jahre andauern und macht den Prozessionsspinner sehr widerstandsfähig gegen äußere Einflüsse.

Wo kommen sie vor?

Ihr Verteilungsareal liegt um das Mittelmeer herum. Wir in Südtirol befinden uns eher an der nördlichen Grenze, ihr Lebensraum erstreckt sich in etwa bis nach Brixen. Nördlich davon ist das Klima zu kontinental und die Winter sind zu kalt für die Entwicklung der Prozessionsspinner.

Wie beeinflussen die Prozessionsspinner die Umwelt?

Der Prozessionsspinner ist ein Blattfresser, jedoch werden eigentlich nur verschiedene Kiefernarten von ihm als Wirtsbaum genutzt. Er ernährt sich von den Kiefernblättern und ist sogar im Stande, diese radikal abzufressen. Aber Kiefern sind sehr rustikale Baumarten und können daher neue Blätter austreiben, weshalb der Prozessionsspinner für den Wirtsbaum an und für sich nicht tödlich ist. Er gilt als Primärschädling, denn er schwächt den Baum ab und in Konsequenz haben andere Schädlinge es leichter, sich im betroffenen Baum einzunisten und ihn zu töten.

Wie gefährlich sind sie für Mensch und Tier?

Die Raupen sind ab der zweiten Häutung auf dem Rücken mit Brennhaaren ausgestattet, die durch einen Muskelreflex in die Luft gefeuert werden können. Dies passiert jedoch nur, wenn die Prozessionsspinner sich bedroht fühlen. Vor allem für Hunde sind die Prozessionsspinner gefährlich, weshalb man sie in betroffenen Gebieten möglichst an der Leine halten sollte. Sie halten ihre Schnauzen immer sehr nahe am Boden und ihre Nasen sind sehr empfindlich, da sich dort direkt Schleimhäute und sensible Organe befinden.

Was passiert, wenn man mit Prozessionsspinnern in Kontakt gekommen ist?

Kommt man mit den beidseitig gespitzten Brennhaaren und ihrem proteischen Inhalt in Kontakt wirken sie reizend und irritieren unsere Haut, Schleimhäute und Augen. Die Symptome sind unangenehm, klingen im Normalfall aber von allein wieder ab. Bei Kontakt mit vielen Raupen auf einmal oder bei Allergikern kann eine solche Begegnung aber auch in der Ersten Hilfe enden.  Auch für Kinder ist der Kontakt eher gefährlich.

Wie kann man den Kontakt vermeiden?

Tatsächlich besteht die Gefahr des Kontaktes mit Prozessionsspinnern nur für ca. zwei bis drei Wochen im Jahr. Die restliche Zeit über befinden sich die Tiere entweder als nachtaktive Raupen auf den Kronen, die sie in der Regel nie verlassen, oder im Bodenstreu als Puppen. Die Falter sind harmlos. In der besagten Zeitspanne muss man eben etwas darauf achten, wohin man tritt und man sollte nicht unbedingt Kieferbestände als Ort zum Spazierengehen auswählen, überhaupt wenn man empfindlich ist.

Wie werden sie bekämpft?

Bis vor drei Jahren waren die Prozessionsspinner per Gesetz bekämpfungspflichtig, bis auch der Gesetzgeber eingesehen hat, dass das Ganze nichts bringt. Bei extremer Verbreitung werden sie in seltenen Fällen noch über biologische Luftbehandlungen eingedämmt, die eine Sondergenehmigung benötigen, aber in Europa hat man eher Abstand davon genommen. Meiner Ansicht nach ist das beste Mittel für die Bekämpfung die Information. Rund um den Prozessionsspinner gab es eine Menge Panikmache, denn die Tiere sind weder für den Wirtsbaum noch für uns Menschen sonderlich gefährlich. Auch präventiv kann man nicht wirklich viel gegen die Ausbreitung unternehmen. In besiedelten Gebieten, z. B. Spielplätze od. Gärten, können bei Einzelbäumen Maßnahmen getroffen werden, um den Kontakt mit den Raupen zu verhindern; dazu zählen die Fallen gegen die Verpuppung oder das Abschneiden der Nester, aber die Wirksamkeit beschränkt sich aufs laufende Jahr. Hingegen sind die Menschen gegen die Verbreitung der beflügelten Falter ziemlich machtlos.

Welche Auswirkungen haben die höheren Temperaturen auf ihre Verbreitung?

Kalte Winterverläufe sind für den Prozessionsspinner nicht günstig, daher haben die milden Winter in den letzten zwei Jahren die Verbreitung des Insekts gefördert. Ebenso sind viele der Puppen, die noch von früheren Jahren in der Erde geblieben waren, aufgrund des warmen Sommers ausgeschlüpft. Durch die warmen Temperaturen gab es also einen Anstieg der Prozessionsspinnerpopulationen.

Wird sich der Prozessionsspinner künftig noch weiter in Südtirol ausbreiten?

Auch das hängt mit den Temperaturen zusammen. Wenn diese weiter steigen, dann kann die Insektenart weitere Kiefernbestände kolonisieren und sich somit weiter ausbreiten. Dafür braucht es aber auch die Wirtsbäume, die landesweit nicht so stark ausgebreitet sind.

Interview: Kristin Bonazzo

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (6)

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  • nobodyistperfect

    Der Experte vom Landesamt – am besten die Füße stillhalten, nixtun, abwarten, frei nach dem Motto: Beamtenmikado, wer sich bewegt – hat verloren. Mit solchen Experten sind wir verloren und die Landesregierung und das Forstamt träumt weiter, na dann gute Nacht.

  • robby

    Diesem „Fachmann“ Andriolo lade ich gerne ein, einen Spaziergang an der Westseite des Gardasees oder auch im Montiggler Wald zu machen. Die allergischen Reaktionen sind nicht nur äußerst schmerzhaft – sie sind für Mensch und Tier medizinisch durchaus bedenklich und können zu Blindheit führen.
    Dass unsere Waldbestände in Südtirol in dem jetzigen Zustand sind ist sicher auch Schuld solcher „Experten“.

  • vinsch

    Einerseits harmlos und andererseits gefährlich? Was nun Herr Experte? Seit Jahren nimmt das Problem im Vinschgau zu und nicht ab, die Landesregierung hat zwar jährlich ein paar Hubschrauber losgeschickt aber nichts erreicht. Die Situation ist heuer außer Kontrolle aber vor den Wahlen müssen unsere Experten natürlich Entwarnung geben.

  • paul1

    Wir brauchen nicht an den Gardasee zu fahren um Prozessionsspinner zu sehen, fahren sie einfach von Mühlbach nach Meransen oder Vals, auch dort sind links und rechts von der Strasse die Bäume von Prorzessionsspinner übersät die auch vom absterben bedroht sind.
    Diese Experten vom Landesamt für Forstplanung haben schon beim Borkenkäfer Befall versagt. Vom Büro wurden X- Presseaussendungen verschickt um die Waldbesitzer zu beruhigen, während in unserem Lande X-tausende Kubikmeter Holz befallen ist. All diese Wälder versucht man jetzt abzuholzen und hofft diesen Befall aufzuhalten. Weit verfehlt, der Borkenkäfer stirbt wegen dem Abholzen nicht aus, im Gegenteil, durch das Abholzen, entasten und entrinden der abgestorbenen Bäume fällt der Borkenkäfer zu Boden und nistet sich wiiederum bei den gesunden Bäumen ein, die wiederum befallen werden, so ist die Realität.

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