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„Es ist fünf vor zwölf“

Foto: lpa

Weil in den nächsten zehn Jahren bis zu 20 Nutztierärzte in Pension gehen und immer weniger nachkommen, droht Südtirol ein Tierarztmangel. Was dagegen unternommen werden muss.

Tageszeitung: Herr Hintner, der Südtiroler Bauernbund hat kürzlich auf einen drohenden Tierärztemangel hingewiesen. Wie steht es derzeit um die Tierärzte in Südtirol?

Franz Matthäus Hintner: Das Problem des drohenden Tierärztemangels ist sehr vielschichtig. Generell ist ein Mangel eigentlich nicht ersichtlich, denn sehr viele Personen studieren Veterinärmedizin und schließen das Studium auch ab. Dennoch zeigen sich viele Gebiete besorgt, weil es in Zukunft keine Großtierpraktiker gibt, die sich um die Tiere kümmern. In erster Linie geht es dabei um Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen. Pferde und Kleintiere sind für sich ein eigenständiger Bereich.

Es gibt also eigentlich genug Südtiroler Veterinärmedizin-Studenten?

Ja, es handelt sich aber um ein schwieriges Studium, das mit viel Prüfungsstress verbunden ist. Die Aufnahmeprüfungen verlangen zudem viel ab. In der Großtierpraxis brauchen wir aber keinen hochintelligenten Philologen oder Philosophen, sondern Praktiker. Wir brauchen Menschen, die Bezug zur Landwirtschaft haben und bereit sind, dort zu arbeiten. Durch die Aufnahmeprüfungen schaffen es diese „Bauernbuben“ – wenn man es einfach ausdrücken will – leider weniger oft Tierarzt zu werden. Glücklicherweise ist man dabei, das zu ändern, da man die Fehlentwicklung erkannt hat.

Das harte Studium führt also dazu, dass es vor allem bei Nutztierärzten an Nachwuchs fehlt. Der Bauernbund spricht aber auch von zahlreichen Pensionierungen…

Das stimmt auch. Es gibt einen Generationswechsel. Die klassischen Großtierpraktiker gehen langsam in Pension. Sie sind allesamt über 50, einige Tierärzte sind sogar 70 Jahre alt und arbeiten so lange, bis sie es nicht mehr schaffen. Das kann aber morgen bereits zu Ende sein.

Welche Gebiete sind aktuell besonders bedroht?

Vor 40 bis 50 Jahren gab es in jedem Gebiet in Südtirol Nutztier-Landwirtschaft. Nun gibt es zumindest im Etschtal, Unterland, im unteren Eisacktal sowie in großen Teilen des Vinschgaus in den Tälern ausschließlich Obst- und Weinbau. Tierhaltung gibt es nur mehr im Berggebiet. Das bedeutet auch, dass sich die Tätigkeit für die Tierärzte in diesen Gebieten deutlich geändert hat. Visiten sind heute aufgrund der schmalen und kurvigen Bergstraßen mit Gefahren, Aufwand und viel Zeit verbunden. Die Rentabilität ist für Tierärzte in diesen Gebieten oftmals nicht gesichert, dabei ist vor allem jungen Tierärzten wichtig, dass sie nach einem langen Studium etwas verdienen, um sich etwas aufzubauen. Für eine Visite in einer Bergfraktion, müsste man rund 250 Euro verlangen. Das ist aber für viele Bauern nicht mehr finanzierbar. In Vergangenheit wurden dem Tierarzt daher viele Tätigkeiten wie die Besamung abgenommen. Der Tierarzt ist in diesen Gebieten also nur der 14. Nothelfer, der nur dann kommt, wenn nichts mehr geht. Das ist aber zu wenig. In Gunstlagen wie dem Tschöggelberg, Deutschnofen, Wipptal oder Pustertal ist es hingegen noch attraktiv, Nutztierarzt zu sein. Doch auch dort gibt es immer weniger Bauernhöfe.

Es bräuchte also mehr Tierhaltungs-Betriebe in Südtirol?

Ja, leider hat sich die wirtschaftliche Situation reduziert, so dass vor allem kleine Bauern, die für uns wichtige Kunden waren, aufgegeben haben.

Inwiefern hat sich dadurch die Arbeit des Tierarztes verändert?

Die Arbeit hat sich ganz grundsätzlich verändert. Der klassische Tierarzt war bislang immer erreichbar und hat sein Leben dem Beruf gewidmet. Für die Generation Z hat sich das aber geändert – das gilt für alle Berufe. Junge Menschen streben eine Work-Life-Balance an. Das gilt ganz speziell für Frauen, die häufig eine Familie gründen wollen. 80 bis 90 Prozent der Veterinärmedizin-Studenten an den deutschsprachigen Universitäten sind Frauen. Der Tierarzt-Beruf wird also in Zukunft weiblich. Das ist insofern ein Problem, dass die Frauen häufig bei der Familie bleiben wollen. Früher konnte der Mann sich auf die Arbeit konzentrieren, während die Frau nahezu alles andere abgenommen hat. Dass sich der Mann zu Hause um alles kümmert, hat sich noch nicht durchgesetzt. Doch auch bei jungen Männern haben sich die Prioritäten verschoben. Das belegen verschiedene Studien.

Worauf achten junge Tierärzte?

Eine Umfrage unter jungen Kollegen, die an Universitäten durchgeführt wurde, hat gezeigt, dass sie vor allem auf einem medizinisch hohen Niveau und in Gemeinschaftspraxen arbeiten wollen. So können sie sich fachlich und zeitlich austauschen und müssen nicht rund um die Uhr erreichbar sein. Sie haben so auch eine geregelte Freizeit. Zudem muss die Besoldung angemessen sein.

Wie viel verdient ein Tierarzt in Südtirol?

In Italien haben Tierärzte offiziell ein geringes Bruttoeinkommen von rund 21.000 Euro, in Deutschland und Österreich verdient man wesentlich mehr. In Frankreich verdient ein Tierarzt im Durchschnitt sogar 54.000 Euro brutto. Es kann nicht sein, dass ein Tierarzt gleich viel verdient wie ein Handwerker oder eine Sekretärin. Hier ist die Politik gefragt, das Gehalt zu erhöhen, selbst wenn das Gehalt nicht am wichtigsten ist. Am wichtigsten ist jungen Kollegen die Freizeit, weshalb auch Gemeinschaftspraxen gefördert werden müssen.

Gibt es solche Gemeinschaftspraxen in Südtirol bereits?

Kleintierpraktiker haben sich bereits seit längerem zu Gemeinschaftspraxen zusammengeschlossen, in der Nutztierbehandlung gibt es das dagegen nicht. Insbesondere die älteren Tierärzte sind Einzelkämpfer, einige Kollegen arbeiten zwar zusammen und teilen sich beispielsweise die Bereitschaftsdienste auf, richtige Gemeinschaftspraxen gibt es aber nicht. Dabei würde das große Vorteile mit sich bringen. Der Bauer würde nicht mehr den Tierarzt direkt, sondern in der Klinik anrufen. Dort wird dann derjenige geschickt, der gerade Zeit hat. Das würde eine enorme Entlastung mit sich bringen. Diese Praxen müssen auch finanziell von Seiten des Landes mit einem Sockelbeitrag finanziert werden. Tierärzte können sich so besser entwickeln, ihre Freizeit besser gestalten und das Einkommen besser aufteilen.

Beschränkt sich der abzeichnende Mangel nur auf Südtirol?

Zwar zeichnet sich ein Tierärztemangel auch in Bayern und Österreich ab, der große Unterschied besteht aber darin, dass die Rahmenbedingungen jenseits des Brenners besser sind. Auch wenn es also genügend Südtiroler Studenten gibt, bleiben viele draußen, weil man mehr verdient, aber auch weil es weniger Bürokratie gibt. Italien erhöht die Bürokratie, das gilt vor allem für den Medikamentenbereich. Zudem gibt es mit der Hausapotheke eine wichtige zusätzliche Einnahmequelle. Diese gibt es in Italien nicht.

Es besteht also großer Handlungsbedarf. Wie schnell muss reagiert werden?

Der Mangel zeichnet sich bereits ab. In den nächsten zehn Jahren gehen rund 15 bis 20 Kollegen in Pension, die man ersetzen muss. Wir müssen aber jetzt etwas tun, denn es ist fünf vor zwölf. Wir hatten beispielsweise im letzten Jahr große Probleme eine Kollegin im Mittelvinschgau zu ersetzen, die in Mutterschaft gegangen ist. Die Nachbarkollegen konnten ihre Bauern nicht übernehmen, weil sie für eine Visite einen halben Tag verloren hätten. Die Bauern sind Sturm gelaufen, weil sie plötzlich ohne Tierärztin dastanden. Nur durch eine Notlösung konnten wir diese sechs Monate überbrücken. Wenn in den nächsten Jahren dann noch mehr Kollegen aufhören, wird das nicht mehr möglich sein.

Interview: Markus Rufin

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (5)

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  • andreas

    Zu verlangen, dass eine Kaste, welche teilweise mehr Eingangs- als Ausgangsrechnungen beim Steuerberater vorlegt, mit Steuergeldern unterstützt werden soll, ist wohl etwas dreist.

    Und wenn man für die 50 Euro, um eine Katze zu entsorgen, eine Rechnung möchte, schauen sie einen schief an als würde er und seine Frau deshalb am Abend nichts zum Essen haben.

  • cosifantutte

    „Junge Menschen streben eine Work-Life-Balance an.“ Das ist u.A. das Problem, ein Abkoppeln zwischen Wohlstandsansprüchen und dafür zu erbringender Leistung. Ich erinnere mich an einen chinesischen Taxidriver in Singapur. der auf dem Weg in die Stadt erklärte: I need to make money. If holiday, no money. So wird es wieder kommen, wie in den 50ern, als ein Angestellter 8 Tage Urlaub im Jahr hatte und 1 mal in der Saison am Vigljoch zum Skien ging. Nix mit 150 Skitouren im Jahr.

  • na12

    Der Tenor ist immer derselbe: Qualifiziertes Personal fehlt, (da) die Bezahlung gering und das Arbeitpensum hoch, was tun also? Einfach irgendjemanden einstellen. Wird schon gut gehen!

  • klum

    „In Italien haben Tierärzte offiziell ein geringes Bruttoeinkommen von rund 21.000 Euro“
    UND INOFFIZIELL?

    UND NETTO? (21.000 brutto sind zum Glück eh fast netto)

    Außerdem könnten die Leistungsempfänger ja einige Euro drauflegen. Dann kämen die Ärzte zu einem etwas höheren Einkommen. Warum sollte das schon wieder die öffentliche Hand tun?

    Und was für eine Frechheit ist denn das? „gleich viel verdient wie ein Handwerker“. Wäre er einer, ginge es dem Viech-Doktor ja gar nicht so schlecht. Es gibt in Südtirol nämlich schon seit Jahren keinen Handwerker mehr der nur 21.000 Euro Brutto verdient. Eher gehts da offiziell in Richtung 23 und inoffiziell in Richtung 30.000 – NETTO.

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