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„Die Gettonari haben gewonnen“

Der Bozner Gemeinderat beschließt nach denkwürdiger Debatte die Verlängerung der Online-Sitzungen bis Frühjahr 2025. Gerade neun Räte stimmten gegen eine Änderung der Geschäftsordnung.

 Von Thomas Vikoler

„Die Pandemie hat uns zur Distanz gezwungen, die Demokratie verpflichtet uns zur Präsenz“. Das erklärte Rudi Benedikter (Grüne) am Dienstagabend während einer in seiner Absurdität denkwürdigen Debatte des Bozner Gemeinderates: Die knapp drei Stunden dauernde Debatte über die Fortsetzung des sogenannten Mischbetriebs, also die Abhaltung der Sitzungen im Online-Modus wie während der Corona-Pandemie und in Präsenz.

„Hier geht es darum, ob wir den Wählerauftrag ernst nehmen. Und es geht um die Würde der Institution Gemeinderat“, fügte Benedikter hinzu.

Er befand sich mit dieser Position weit in der Minderheit. Denn die Abstimmung gegen 22.00 Uhr brachte ein überraschend eindeutiges Ergebnis: 29 Räte votierten für einen Beschlussantrag von Gabriele Giovannetti (Liste Zanin) zur Beibehaltung der Online-Teilnahme bis zum Ende der Amtsperiode im Frühjahr 2025, gerade zwölf dagegen.

Dabei zeigten sich auch innerhalb der einzelnen Ratsfraktionen Risse: Während die Grünen und die Lega geschlossen gegen Giovannettis Antrag stimmten, waren es bei der SVP vier Räte: Gemeinderatsvizepräsident Stephan Konder, Fraktionssprecher Christoph Buratti, Wirtschaftsstadträtin Johanna Ramoser und Gemeinderat Andreas Berger. Hannes Unterhofer und Peter Warasin votierten mit Ja, Vizebürgermeister Luis Walcher nahm nicht an der Abstimmung teil. Anders als Bürgermeister Renzo Caramaschi, der – wie die übrigen Räte seiner Liste – die vorgeschlagene Änderung der Geschäftsordnung zusammen mit den übrigen Ratsparteien und -Listen guthieß: PD, Fratelli d`Italia, Team K, Liste Zanin.

„Das ist eine Schande. Die Gettonari haben gewonnen. Jetzt können sie die Sitzungen nicht nur von zu Hause aus oder beim Abendessen verfolgen, sondern im Urlaub, beim Spaziergang, beim Autofahren“, ärgert sich Lega-Gemeinderat Kurt Pancheri, der die Verlängerungs-Pläne für die Online zuletzt wiederholt kritisiert hatte.

Mit „Gettonari“ werden Mandatare bezeichnet, denen es in erster Linie um das Sitzungsgeld geht, das im Bozner Gemeinderat 120 Euro brutto beträgt.

Oltre/Weiter-Fraktionssprecher Giovannetti verteidigte hingegen seinen Vorschlag zur Abänderung der Geschäftsordnung. Mit einer Frage: „Ist es ethisch korrekter eine Sitzung von zu Hause aus aufmerksam verfolgen, oder im Rathaus während der Sitzung in die Bar zu gehen?“. Er führte ein Gutachten des Regionalrates von Friaul-Julisch-Venetien an, wonach es jeder Lokalkörperschaft auch nach Ende der Pandemie freistehe, Sitzungen auch online abzuhalten.

„Dafür gibt es keine gesetzliche Grundlage mehr“, ist hingegen Rudi Benedikter überzeugt. Er hat zusammen mit Stephan Konder, wie berichtet, eine Anfrage an das Rechtsamt über die finanziellen Folgen des Beschlusses gestellt, die aber ohne eindeutige Antwort blieb.

Konder und Benedikter weisen darauf hin, dass eine Sitzung im Online-Modus der Gemeinde 1.500 Euro kostet – rund 100.000 Euro im Jahr -, der Beschluss also nicht, wie angegeben, keine Ausgabe mit sich bringe.

Die Befürworter (die auch mit einer besseren Vereinbarkeit zwischen Familie und Ratsmandat argumentierten) regten an, eine günstigere Variante als das bisher verwendete Concilium-Programm zu suchen. „Sollten sich die Online-Sitzungen als Fehlschlag herausstellen, können wir die Geschäftsordnung ja wieder abändern“, meinte Einbringer Giovannetti.

„Eine Geschäftsordnung kann man nicht einfach so nach Belieben ändern“, retournierte Oppositionskollege Pancheri von der Lega.

Der Bozner Gemeinderat hat seine Geschäftsordnung erst vor einem halben Jahr grundlegend überarbeitet. Seine Sitzungen wird er aus technischen Gründen weiter im großen Versammlungssaal im Parterre abhalten. „Viele der neuen Gemeinderäte waren bisher nicht einmal in unserem schönen Ratssaal“, erinnerte die grüne Stadträtin Chiara Pasquali.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (3)

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  • brutus

    …was kommt als Nächstes?
    …ein Online Arztbesuch?
    Kassieren ja!
    Arbeiten nein?

  • ich

    Bin entsetzt. Demokratie als Melkmaschine.

  • sougeatsnet

    Bin entsetzt, wie wenig Menschen aus der Pandemiekrise gelernt haben. Online-Sitzungen können genau so produktiv sein (oder auch nicht) wie jene in Präsenz. Es geht darum, wie man diskutiert und welche Beschlüsse (Entscheidungen) letztlich getroffen werden. Selbst ein Online-Arztbesuch kann in vielen Fällen erfolgreich sein. Für manche inhaltslose Schwätzer mag dies ein Alptraum sein, da dann einfach niemand zuhört bzw. applaudiert, aber Kosten, Zeit und Umwelt werden geschont. Wenn die Bozner teure Programme verwenden, ist das ihr Problem.

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