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„Alles wird enger und kleiner“

Georg Oberhollenzer (Foto: Wisthaler)

Steigende Zinsen für Häuslebauer und Betriebe, die investiert haben. Die Verarmung der Mittelschicht. Inflation und explodierende Kosten. Georg Oberhollenzer, Direktor der Raika Bruneck, analysiert die rasante Entwicklung der Geldwirtschaft und die Folgen für die Südtiroler.

TAGESZEITUNG: Herr Oberhollenzer, Banken haben in Vergangenheit kaum fixe Zinssätze angeboten. Rächt sich das jetzt? Wie geht es den Häuslebauern, die Kredite aufgenommen haben?

Georg Oberhollenzer: Es hängt ganz stark davon ab, ob sich die Wohnbaukunden fix oder variabel finanziert haben. Die Raiffeisenkasse Bruneck hat durchaus sehr viele Wohnbaufinanzierungen mit fixen Zinsen oder mit einer Zinsobergrenze vergeben. Wir haben diese Entscheidung bewusst getroffen, um die Kunden vom historischen Tiefpunkt der Zinsen profitieren zu lassen.  Was nun den Kunden sehr zugute kommt, geht jetzt natürlich zulasten der Bank. Wir betrachten dies als Teil unseres Förderauftrages als genossenschaftliche Lokalbank. Wer sich hingegen variabel finanziert hat, spürt die Erhöhung nun deutlich. Vor allem mit der nächsten Zinsanpassung zu Beginn des neuen Jahres kann der Zins schon mal auf das Dreifache des bisherigen Satzes ansteigen.

Haben Sie Fälle, in denen sich Privathaushalte diesbezüglich übernommen haben?

Es gibt eine Schicht an Wohnbaukunden, die Schwierigkeiten bekommen könnte, nämlich jene, die noch in der Vorfinanzierung stecken und nun in die Phase der Umschuldung und Endfinanzierung kommen. Sie sind betroffen von unerwarteten Kostenüberschreitungen und sehen sich mit einem völlig neuen Zinsniveau konfrontiert, mit dem vor einem Jahr wohl noch kaum jemand gerechnet hatte. Um die Rate noch schultern zu können, fordern Kunden immer längere Laufzeiten oder Tilgungspläne mit einer hohen Endrate. Aber wer soll diese dann bezahlen, wenn die Wohnung längst schon wieder renovierungsbedürftig ist? Bei manchen sind die herkömmlichen Finanzierungsmodelle ausgereizt. Einige stecken zurück. Auch manche Wohnbaugenossenschaft hat Schwierigkeiten zu starten, weil einige der Mitglieder sich zurückziehen (müssen). Auch zum Schutz unserer Kunden haben wir uns immer an folgende Parameter gehalten: Der Kunde muss 25 Prozent Eigenmittel einbringen. Die Darlehensrate darf maximal 40 Prozent des Familieneinkommens ausmachen. Die Laufzeit soll 25 Jahre bis höchstens 30 Jahre nicht überschreiten, wobei das Alter des Kunden zu berücksichtigen ist. Bei den heutigen Wohnungspreisen und Baukosten ist dieses Modell aber schnell ausgereizt. Wir müssen uns fragen, ob es für die Zukunft neue Finanzierungsmodelle braucht, vielleicht sogar generationsüberschreitende Finanzierungen oder sehr langfristige Mietkaufmodelle. Entsprechend müssen sich aber auch Lebensformen und Gebäudeformen wieder ändern. Hat die Single-Wohnung Zukunft, oder brauchen wir Gebäude mit Ausbaumöglichkeiten?

Gleichbleibende Löhne, steigende Kosten: Stellen Sie eine Verarmung der so genannten Mittelschicht fest oder sind die allermeisten finanziell ausreichend gepolstert?

Auch die Kosten für das tägliche Leben sind gestiegen. Jeder muss mehr Prozent seines Einkommens für Lebensmittel, Mobilität, Bildung, Freizeit aufwenden. Die bestehenden Ausgabenpläne sind oft nicht mehr gedeckt. Eine Anpassung der Löhne und Gehälter wird notwendig werden. Die von Ihnen angesprochene Polsterung ist oft gering. Viele waren gewohnt, viele gezwungen, an die Grenze der finanziellen Belastbarkeit zu gehen. Der hohe Anspruch an die eigenen vier Wände ist bei uns sehr ausgeprägt. Durch das tiefe Zinsniveau haben sich viele für einen Bau oder Kauf entschieden, da die Darlehensraten oft nur unwesentlich höher lagen als die Miete. Was ich am meisten befürchte ist, dass der sogenannte Generationenvertrag ausbleibt. So haben wir selbst vielleicht noch eine tolle Starthilfe von unseren Eltern bekommen oder konnten einen Teil des bestehenden Hauses ausbauen. Nun wird alles enger und kleiner. Vor allem sind durch lange Laufzeiten die Wohnungen der Eltern noch nicht abbezahlt, wenn die Kinder schon um Starthilfe für ihre eigenen viel Wände bitten. Anstelle von finanzieller Starthilfe sehen wir letzthin immer häufiger, dass Eltern im fortgeschrittenen Alter noch Teilbürgschaften für ihre Kinder leisten. Neben der allgemeinen Teuerungsrate haben sich vor allem die Wohnungspreise noch einmal extrem nach oben bewegt. Daran ist nicht nur die Grundknappheit in Südtirol Schuld. Ein neues Phänomen ist, dass Gastbetriebe und vor allem auch die Industrie immer mehr auf auswärtige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen sind, die eben untergebracht werden müssen. Unsere Bürger stehen im Wettbewerb mit vielen zahlungskräftigen, auswärtigen Käufern aus der EU und darüber hinaus, die sich bei uns eine Ferienwohnung, aber auch eine Bleibe für den Lebensabend sichern. Dabei ist Wohnraum ohnehin schon knapp. Im Wohnbau gönnen sich viele oft nur das Beste vom Besten und gehen dafür an die Grenzen. Wir bauen nach teuersten Standards in Europa. Dazu hat auch das „Klimahaus“ beigetragen. Die „Förderung 110 Prozent“ war nicht immer nur gesund…

Nicht nur Privatleute, auch viele Betriebe haben in den vergangenen Jahren viel investiert: Schaffen diese Betriebe nach Corona auch noch diese Krise?

Erfahrungsgemäß sind Krisen in Südtirol immer etwas abgeschwächt. Dies ist wohl auf viele Faktoren zurückzuführen, wie auf sehr fleißige Menschen, eine gute Mischung von Branchen und Sektoren, eine kleinstrukturierte Wirtschaft mit vielen Familienbetrieben aber auch einige große Player mit internationalem Standing, auf Größe und Stabilität im Landeshaushalt, auf viele Vorzüge wie Landschaft, kultureller Mix usw. Dies alles macht den Wirtschaftsstandort sehr stark. Dass wir sehr gesucht sind, treibt aber auch die Preise, sei es im täglichen Konsum als auch und vor allem bei den Immobilien.

Insgesamt sind unsere Betriebe gesund, und es gab erstaunlich wenige, die aufgeben mussten. Wer aber bisher in Watte gebettet war mit Stundungen und Förderungen und damit noch recht knapp über die Runden kam, sieht sich jetzt mit steigenden Kosten nicht nur bei Energie, Löhnen und Zinsen konfrontiert. Überall scheinen Arbeitskräfte zu fehlen. Ich bleibe grundsätzlich positiv, aber zeitverzögert wird es die eine oder andere Bereinigung doch noch geben. Gerade Firmenkunden haben sich weit weniger zu Fixzinsen finanziert. Es gibt sicher eine Abkühlung in der Bauwirtschaft, die wieder nach Aufträgen sucht. Der Bettenstopp und auslaufende Förderungen werden ihre Wirkung zeigen. Die Situation war aber auch echt überhitzt. Im Tiefbau gibt es noch viele Aufträge der öffentlichen Hand bis hin zur bevorstehenden Olympiade, die auch Investitionsimpulse bringt. Der Tourismus läuft gut, sucht aber händeringend nach Arbeitskräften. Handel und Landwirtschaft haben es momentan etwas schwieriger.

Welche Entwicklungen können Sie für die nähere Zukunft in der Geldwirtschaft erkennen?

Vor mehr als 20 Jahren wurde der Euro als europäische Einheitswährung eingeführt. Damals ist man mit einem EZB-Leitzins von drei Prozent gestartet. Nach den üblichen Auf und Abs haben wir auch einmal 4,75 Prozent gesehen. Historisch betrachtet sind wir mit dem Zinsniveau also eigentlich immer noch recht tief, wenngleich wir nach einer viele Jahre andauernden Null-Zinsphase beziehungsweise Negativzinsphase nun bei zwei bis drei Prozent schon stöhnen. Die Inflation hat sich nun erstmals wieder etwas reduziert, was beileibe nicht heißt, dass die Preise zurück gehen, sondern nur, dass sie etwas weniger stark ansteigen.

Lohnt sich Sparen tatsächlich wieder?

Immerhin, die Zinsen sind in die Wirtschaft zurückgekehrt und das ist die Normalität. Ja, Sparen lohnt sich wieder, weil Banken wieder angemessene Zinsen für veranlagtes Geld zahlen.

Interview: Silke Hinterwaldner

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