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„Sehr gefährliches Spiel“

Foto: 123/rf

Der Schweizer Förster Meinrad Lüthi ist über die Ausmaße der Borkenkäfer-Plage in Südtirol entsetzt. Es gebe nur mehr einen Ausweg: Den landesweiten Waldnotstand auszurufen – und alle befallenen Fichten sofort zu entfernen.

von Artur Oberhofer

Meinrad Lüthi ist ein absoluter Südtirol-Fan- „Wann immer ich mit meiner Frau durch Südtirol fahre, sage ich zu ihr: ,Wenn ich nicht in Büren an der Aare Förster wäre, würde ich mich hier in Südtirol als Förster bewerben.“

Meinrad Lüthi ist Betriebsleiter und Revierförster in Büren an der Aare, einer Gemeinde im Kanton Bern.

Er steht kurz vor seiner Pensionierung.

In der vergangenen Woche verbrachten Lüthi und seine Frau eine Ferienwoche in Südtirol, wobei der Förster ein, wie er sagt, „heimliches Ziel“ hatte: Er wollte die Spuren des Jahrhundertsturms Vaia verfolgen, der zwischen 29. und 30. Oktober in Südtirol gewütet und große Schäden angerichtet hat.

Meinrad Lüthi erinnert sich:

„Im Verlauf des Jahres 2018 gab es europaweit sehr große Waldschäden durch den Sturm Burglind, die Trockenheit und den Borkenkäfer, daher entstand eine sehr große Holzschwemme mit historisch tiefen Holzpreisen, von denen auch wir stark betroffen waren. Ich sagte damals zu meinen Försterkollegen: ,Jetzt auch noch dieser Sturm Vaia in Südtirol, wieso muss das sein?‘“

Foto: lpa/Marco Pierogiovanna

Als Meinrad Lüthi in der vorvergangenen Woche Richtung Welschnofen-Karerpass-Lavazèjoch fuhr, kamen die Waldschäden des Sturmes recht schnell zum Vorschein. „Als ich dann aber genau hinschaute, musste ich leider feststellen, dass nun auch der Borkenkäfer massiv wütet“, so der Schweizer Förster.

Die von Lüthi gesehen Vaia-Windfallflächen seien mit ganz kleinen Ausnahmen vollumfänglich geräumt worden, lobt der Schweizer Förster und sagt: „Bravo für diese Superleistung bei diesen damals himmeltraurigen Holzpreisen.“

Der Chef im Welschnofener Hotel, in dem Meinrad Lüthi mit seiner Gattin nächtigte, erklärte dem Gast, dass „der Borkenkäfer sich auch wegen des liegengebliebenen Schneedruckholzes im November 2019 sehr stark vermehren“ habe können.

Doch nie und nimmer hätte sich Meinrad Lüthi gedacht, dass die Borkenkäfer-Plage in Südtirol so massiv grassiert – und dass man das Borkenkäfer-Problem hierzulande wohl noch immer unterschätzt.

Der Schweizer Förster erzählt weiter:

„Bei der Weiterfahrt durch das Fleimstal, Canazei, Fedaia-Pass, Sellajoch, St. Christina, St. Magdalena, Würzjoch, Untermoi und Lüsen musste ich mit Schrecken feststellen, dass überall der Borkenkäfer wütet.

Zum Teil sind ganze Fichtenwälder befallen, häufig sah ich auch überall kleinere und größere noch begrenzte Käfernester.

Leider musste ich aber auch auf unserer ganzen Rundtour feststellen, dass ich selten eine Motorsäge surren hörte, keine arbeitenden Holzergruppen, keine Holzerntemaschinen (Harvester/Forwarder), keine installierten Holzseilbahnen, keinen einzigen Helikopter, der Käferholz rausflog, sah.“

Meinrad Lüthi war über das Gesehene entsetzt, so dass er jetzt fragt: „Liebe Südtirolerinnen, liebe Südtiroler Waldverantwortliche, was ist los? Haben Sie den Kampf gegen den Borkenkäfer nie angefangen oder bereits aufgegeben?“

Der Schweizer Förster sagt denn auch in Richtung politische Verantwortungsträger und Forstbehörde:

„Das ist ein sehr gefährliches Spiel, was Sie hier machen, wenn Ihnen die Natur – Nässe-Kälte im Sommer – im nächsten und übernächsten Jahr nicht hilft, sind alle wunderschönen Fichtenwälder vom Borkenkäfer aufgefressen. Nach meiner Erfahrung macht er auch vor der Lärche nicht halt.“

Meinrad Lüthi will, er wie selbst sagt, „nicht daran denken, was das für negative Auswirkungen auf Südtirols Zukunft hat“. Er nennt den Tourismus, die Sicherheit (Lawinen, Überschwemmungen, Verklausungen, Murgänge, Rutschungen, usw.), das regionales Klima, die längerfristige Holzversorgung usw.

Meinrad Lüthi (Foto: Privat)

Ihm gehe das Borkenkäfer-Problem auch deswegen so nahe, weil er immer vom „traumhaften Südtirol, von seinen wunderschönen Bergen, Wiesen, Seen und Wäldern“ schwärme.

Meinrad Lüthi weiter:

„Ich machte schon als 9-jähriger Bauernsohn die Bekanntschaft mit dem Borkenkäfer, als mein Vater im Windfall-, Hitze- und Trockenjahr 1967 mit mir im Sommer in den Wald ging und frische, vom Borkenkäfer befallene Fichten fällte, den Stamm auf Tüchern rollte und von Hand entrindete, danach die vom Borkenkäfer befallene Rinde und das Astmaterial sofort verbrannte.

 Als nun langjähriger Förster/Betriebsleiter war die Borkenkäferbekämpfung immer eine Hauptaufgabe meiner Tätigkeit.

Ich habe es trotz diverser Sturmereignisse (vor allem Orkan Lothar), der immer stärker werdenden Klimaerwärmung (Trockenheit/Hitze) geschafft, in den mir anvertrauten Wäldern den Borkenkäfer immer wieder erfolgreich zu bekämpfen.

Ausrotten kann man ihn nicht, aber man kann ihn bekämpfen.

Meine Mitarbeiter und ich arbeiteten nach dem Borkenkäferbekämpfungssystem: ,Heute gesehen/aufgespürt, morgen gefällt/aufgerüstet und übermorgen aus dem Wald abgeführt (direkt in die Sägerei unters Wasser oder ans Trockenlager, mind. 800 bis 1000m vom nächsten Fichtenbestand weg).“

Was heißt das für Südtirol?

Meinrad Lüthi zeichnet ein dramatisches Szenenbild:

„Im jetzigen Zustand Ihrer Wälder haben Sie von mir aus nur noch eine Möglichkeit (→ zwei, falls Sie Kontakt zum Wettergott haben), und zwar den landesweiten Waldnotstand zu verfügen: in den Wäldern mit Käfernestern mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln sofort alle vom Borkenkäfer befallenen Fichten zu entfernen oder unschädlich zu machen (Entrindung mit Eder oder Biber).

Die noch restlichen grünen Fichtenwälder in den Talschaften mit jetzt schon sehr ausgedehntem Käferbefall sind von mir aus praktisch nicht mehr zu retten.“

Meinrad Lüthi erinnert sich noch, wie im November 1983, als es in seiner Region Jurabogen große Windfallschäden gab, viele Forstarbeiter aus Südtirol im Einsatz waren. „Nun hoffe ich, dass Sie für Ihren wunderschönen noch gesunden Wald doch noch gegen den Borkenkäfer zu kämpfen beginnen oder weiterhin kämpfen, denn es ist noch nicht alles verloren und es lohnt sich für Ihre Zukunft und Sicherheit“, schließt Lüthi.

 

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (10)

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  • fakt60ist

    Sehr geehrter Herr Lüthi, vielen Dank das Sie in Südtirol mit offenen Augen durch unser Land gereist sind. Man kann Ihnen nur danke sagen, wenn von einem Fachmann erkannt wird, welch großes Problem zur Zeit in unserem Land wütet. Wir in Südtirol haben aber ein weit aus noch größeres Problem. Hier in Südtirol werden Millionen an Geldern dort hin verschleudert, wo wir sie am wenigsten brauchen. Für die Lebensnotwendigsten Dinge in Südtirol, fehlt das Geld schon seit Jahrzehnten. Das landet vielfach in den Brieftaschen von privaten Problemen, und das ist in Südtirol das gefährlichste Spiel und die allergrößte Plage. Diese kann man an den Wäldern sehen. Unsere Förster kennen das Problem unserer Wälder, ihnen sind aber auch die Hände gebunden, wenn Eigeninteressen wichtiger sind, als die lebensnotwendigsten Dinge für die gesamte Befölkerung.

  • brutus

    Woher die Holzarbeiter nehmen????

    • tiroler

      es gibt genug sesselwärmer in den landhäusern und gemeindestuben, bezahlt von steuergeld und chronisch unterbeschäftigt. dort lassen sich genug leute rekrutieren um die wälder zu säubern. fachausbildung braucht es dazu keine, die förster geben die anweisungen

  • criticus

    Den landesweiten Waldnotstand auszurufen und alle befallenen Fichten sofort zu entfernen und die Forstverantwortlichen samt zuständigen Politiker dazu!

  • robby

    Die Forstbeamten haben keine Schuld. Sie mussten wegen Corona ja im Wald und auf den Almen auf Menschen Jagd machen. Da blieb keine Zeit auch noch den Borkenkäfer zu bekämpfen. An der Borkenkäfer Plage tragen also Kompatscher und Schuler die Schuld.

  • tirolersepp

    Guter Vorschlag, leider praktisch nicht umsetzbar, es fehlen die Holzarbeiter und der Wille der Waldbesitzer !!!

  • dn

    Kann man ausgebildete Waldarbeiter nicht auch aus dem Ausland anheuern? Wenn die Allgemeinheit Schaden erfährt (Bannwald, Trinkwasserspeicher, …), sollte die Allgemeinheit auch mithelfen, dieses Problem zu lösen (mit Steuergeld, gebrachtes Holz abrechnen). Die Aufforstung sollte dann gut durchdacht sein (Klimaerwärmung mitberücksichtigen).

  • nobodyistperfect

    Unseren Politikern und Landesbeamten wünschen wir einen gesegneten Schlaf, möge Gott ihnen die Augen öffnen.

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