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Wie verwundbar wir sind

Foto: Institut für Allgemeinmedizin/pixabay

Gereiztheit, Schlafprobleme, psychosomatische Beschwerden und Angstzustände: Die Corona-Pandemie hat laut der COPSY“-Studie zu einer Zunahme der psychosozialen Belastungen bei Eltern, Kindern und Jugendlichen geführt.

von Artur Oberhofer

Verena Barbieri fasst die Ergebnisse der neuen Studie so zusammen: „Im Vergleich zur COPSY1-Erhebung haben psychosomatische Beschwerden bei Südtirols Jugend zugenommen“, so die Biostatistikerin und Leiterin der Südtiroler COPSY-Studien, „mehr oder weniger gleich geblieben sind Verhaltensstörungen mit Gleichaltrigen und Angstzustände.“

Um was geht es?

,COPSY’ steht für COrona und PSYche: An der anonymen Online-Umfrage konnten im März 2022 alle Südtiroler Familien mit mindestens einem schulpflichtigen Kind, das das laufende Schuljahr besucht, teilnehmen.

Nun liegen die mit Spannung erwarteten Ergebnisse vor.

Die größten Probleme im Überblick

  • Bei der ersten COPSY-Umfrage 2021 konnte eine pandemiebedingte Verdoppelung von psychischen und psychosomatischen Beschwerden der Kinder und Jugendlichen festgestellt werden. Die zweite Umfrage erlaubt es nun, Rückschlüsse auf die Langzeitfolgen der Pandemie zu ziehen.
  • Psychosomatische Beschwerden haben bei Kindern und Jugendlichen zugenommen. Mit zunehmendem Alter gibt es mehr Probleme dieser Art.
  • Die Doppelbelastung der Eltern (Beruf und Homeschooling) hat sich stark auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ausgewirkt: Hauptsächlich Gereiztheit und schlechte Laune sind laut Eltern und Schüler:innen mindestens einmal pro Woche aufgetreten.
  • Laut Eltern sind Grundschüler am meisten von Gereiztheit und schlechter Laune (54%) betroffen, gefolgt von Nervosität (34%), Einschlafproblemen und Niedergeschlagenheit (29%).
  • Bei Mittelschülern sind Gereiztheit und Einschlafprobleme laut Eltern im Vergleich zur COPSY1-Erhebung 2021 leicht rückläufig, doch Niedergeschlagenheit (von 32,9% auf 36,5%) und Kopfschmerzen (von 29,4% auf 36,5%) wurden vermehrt verzeichnet.
  • Auch bei Oberschüler:innen gab es bei der Niedergeschlagenheit (von 34,5% auf fast 43%) und den Kopfschmerzen (von 28,7% auf 42%) im Gegensatz zum Jahr 2021 deutliche Zunahmen. Die Gereiztheit ist laut Eltern hingegen von 65% im Vorjahr auf 51% zurückgegangen.
  • 17% der Schüler:innen wurden von ihren Eltern als grenzwertig/auffällig in ihrem Verhalten eingestuft, bei der Untersuchung 2021 betrug der Wert noch 21%.
  • Mehr oder minder gleich geblieben – im Vergleich zu 2021 – sind Verhaltensstörungen mit Gleichaltrigen sowie Angstzustände.
  • Verhaltensauffälligkeiten jedweder Art verzeichnen mit zunehmendem Alter der Schüler:innen eine Zunahme, während Angstzustände und emotionale Probleme und Depressionen zunehmen bzw. gleich bleiben.
  • Mädchen sind vor allem von emotionalen Problemen, Angststörungen und Depressionen betroffen, Jungen hingen vor allem von Verhaltensstörungen und Hyperaktivität.
  • Die Lebensqualität, die Hyperaktivität, emotionale Probleme und allgemeine Verhaltensstörungen haben sich im Vergleich zur COPSY1-Erhebung verbessert.

Giuliano Piccoliori, der wissenschaftliche Leiter am Institut für Allgemeinmedizin, resümiert: „Wir Allgemeinmediziner:innen stellten seit Beginn der Pandemie eine Zunahme psychischer Beschwerden bei Kindern und Jugendlichen fest, die sich vor allem durch Kopfschmerzen, Schwindel, Bauchschmerzen und Atemnot, aber auch in Form von Angststörungen bis hin zu Panikattacken äußerten. Seltener haben wir neu auftretende depressvie Syndrome gesehen, eher eine Intensivierung von Vorerkrankungen.“

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Südtirols Familien

  • Rund 30% der Studienteilnehmer:innen gaben bei COPSY2 an, dass sich die Familienstimmung seit Beginn der Pandemie im März 2020 verschlechtert hat.
  • Vor allem Familien, in denen die Eltern coronabedingt stark beruflich belastet waren oder alleinerziehend sind, waren besonders starken Belastungen ausgesetzt (z.B. Abnahme der Lebensqualität, Zunahme von emotionalen Problemen und Depressionen).
  • In den offenen Antworten der COPSY2-Umfrage beklagen Eltern hauptsächlich, dass sich Schulisches und Soziales pandemiebedingt sehr stark in die Familien verlagert haben.
  • Ungefähr 70% der Eltern von Grundschüler:innen, 57% der Eltern von Mittelschüler:innen und 30% der Eltern von Oberschüler:innen gaben an, ihrem Kind oft oder immer bei schulischen Angelegenheiten und Problemen geholfen zu haben. Im Vergleich zur COPSY1-Studie aus dem Jahr 2021 sind diese Prozentsätze deutlich angestiegen.
  • Bei Kindern und Jugendlichen, deren Eltern beruflich unter schweren Belastungen litten, traten verstärkt Verhaltensprobleme auf. Eine Zunahme der Hyperaktivität konnte hingegen nicht festgestellt werden.
  • Im Vergleich zur COPSY1-Studie gaben die Schüler:innen die Familie noch mehr als ersten Bezugspunkt in ihrem Leben an.

„Familien von Kindern in der ladinischen Schule waren am wenigsten von den psychosozialen Auswirkungen der Pandemie betroffen“, erläutert Studienleiterin  Verena Barbieri. „Auch der Bildungsstand der Eltern zeigte keinen Einfluss. Kinder von Alleinerziehenden waren hingegen sehr stark betroffen, Kinder mit Migrationshintergrund der Eltern vor allem von Verhaltensstörungen. Besonders gelitten haben Kinder, die nicht in Italien geboren wurden. Sie zeigen vor allem Auffälligkeiten bei Angstzuständen und Depressionen. Allerdings muss man hier berücksichtigen, dass sie in der Umfrage keine repräsentative Gruppe darstellen“, analysiert Barbieri.

Foto: Institut für Allgemeinmedizin/pixabay

Gesundheit und Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen

  • 80% aller Eltern beschreiben die Gesundheit ihrer Kinder als „sehr gut“ bis „ausgezeichnet“. Diese Zahl deckt sich mit jener der COPSY1-Untersuchung von 2021. Eltern von Schüler:innen der ladinischsprachigen Schulen bewerten den gesundheitlichen Zustand ihrer Kinder am besten, Eltern der italienischsprachigen Schulen hingegen am schlechtesten.
  • 20% der Eltern bezeichnen die Lebensqualität ihrer Kinder als „niedrig“. Dieser Wert beträgt bei Grundschüler:innen 15%, bei Mittelschüler:innen bei 23% und bei Oberschüler:innen bei 28%.
  • Was die Selbstreports der Oberschüler:innen anbelangt, so klagten in erster Linie Mädchen über eine niedrige Lebensqualität (40%).

Schwierigkeiten mit dem „realen“ Leben

  • 60% aller Jugendlichen und 59% aller Eltern gaben an, dass mehr Zeit vor den digitalen Medien (z.B. Computer, Smartphone, Spielkonsole etc.) als vor Beginn der Pandemie verbracht wurde.
  • Gerade bei Mittelschüler:innen konnte eine deutliche Zunahme des Konsums digitaler Medien festgestellt werden.
  • 9% der Schüler:innen konsumieren zu schulischen Zwecken mehr als 3 Stunden täglich digitale Medien, 2021 (COPSY1) waren es noch 22% der Schüler:innen.
  • Im privaten Bereich verbringen 25% der Jugendlichen mehr als 3 Stunden pro Tag mit digitalen Medien, 2021 betrug der Wert 29%.
  • Es wurden weniger Sozialkontakte als in der Vergangenheit gepflegt. Die Rückkehr in ein „reales“ Leben fällt vielen Schüler:innen schwer.

„Die Corona-Pandemie hat das Bewusstsein für unsere eigene Verwundbarkeit und die unserer Kinder geschärft, aber sie hat uns auch ermutigt, unsere Grundwerte zu überdenken, das Leben und unsere Stärken zu schätzen und Familie und Freunde näher zusammenzubringen“, analysiert  Christian Wiedermann, Koordinator der Forschungsprojekte am Institut für Allgemeinmedizin und Public Health.

„Klar ist, dass die COVID-19-Pandemie bei bestimmten vulnerablen Bevölkerungsgruppen einen unverhältnismäßig negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Kindern hatte. Studien zeigen, dass dies auch mit eingeschränkten familiären Unterstützungsmöglichkeiten zu tun hatte. Es wird deswegen besonders wichtig sein, davon betroffenen Kindern und Familien jene Hilfe zukommen zu lassen, die sie im Einzelfall benötigen“, stellt Wiedermann fest.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (2)

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  • foerschtna

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