„Die Amtssprache des Hardrock“
Der Osttiroler Komponist Bernhard Gander hat mit seinem Werk „Oozing Earth“ das Transart-Festival eröffnet. Ein Gespräch mit einem, dem zu einer Blumenwiese nichts einfällt, zur Apokalypse aber sehr viel.
Tageszeitung: Herr Gander, wenn man Ihre Homepage (www.bernhardgander.at) anklickt, sieht man eine Wüstenlandschaft und einen antiken Kriegerhelm. Ist schon Endzeit?
Bernhard Gander: Ich glaube nicht, dass die Welt untergeht, überhaupt nicht, und ich halte die Menschheit auch nicht für abgrundtief schlecht, aber apokalyptische Stimmungen zelebriere ich schon öfters in meinen Arbeiten. Eine Blumenwiese ist schön, aber dazu fällt mir beim besten Willen nichts ein. Bei Endzeitthemen habe ich hingegen gleich einen Soundtrack im Kopf.
Weil die Apokalypse ästhetisch einfach mehr hergibt?
Auf jeden Fall. Wahrscheinlich fehlt mir einfach die Begabung, schöne Musik zu schreiben.
Halten Sie Ihre eigene Musik nicht für schön?
Ich finde sie schön. Mir wird nur immer wieder gesagt, dass sie nicht schön ist. Für einen Metal-Fan ist eine verzerrte E-Gitarre nicht schiach, sondern ein harmonischer Klang. Für Nicht-Fans ist es ein Geräusch. Aber nichts ist von Natur aus schön oder hässlich. Das sind Klischees.
Heavy Metal war Ihre erste Liebe. Ein ziemlich weiter Sprung zur zeitgenössischen Musik.
Als Zehnjähriger habe ich die Deep Purple Kassetten meines älteren Bruders rauf und runter gehört und gleich darauf von meinem Taschengeld Platten von Iron Maiden und Judas Priest gekauft. Danach habe ich einige Instrumente gelernt: Gitarre, Schlagzeug, Saxophon und viel Klavier. Mit Klavier kommt man automatisch mit Klassik in Berührung, aber als Kind denkt man noch nicht in Kategorien wie Rock oder Klassik, U- oder E-Musik, das kommt alles erst später. Für mich war ein Schlager bei einem Feuerwehrfest genauso interessant wie eine Sonate von Beethoven. Es war in aller kindlichen Unschuld einfach alles Musik.
Heavy Metal aber war die erste musikalische Offenbarung.
Ja. Vor allem die schnellen Nummern von Deep Purple, Speed King und Highway Star. Und die Monster auf den Covers von Iron Maiden und Judas Priest waren besser wie jeder Film.
Auf dem Innsbrucker Konservatorium haben Sie sehr klassisch Klavier und Chorleitung studiert.
Hauptsächlich Klassik, aber meine Klavierlehrerin hat es geduldet, dass ich auch zeitgenössische Musik spiele. Im Konservatorium war ich damit ein Außenseiter, das hat niemand interessiert und ich habe auch nie Studenten bei zeitgenössischen Konzerten gesehen. Im Internat in Absam gab es eine koreanische Studentin, die Schönberg und Hindemith gespielt hat. Das hat mich fasziniert. Mein erstes richtiges Aha-Erlebnis hatte ich bei einem Xenakis-Konzert in der Galerie St. Barbara. Ich hatte keine Ahnung, um was es da geht, aber es war unfassbar gut.
Die Grenzüberschreitung, das Nichtakzeptieren von Kategorien haben Sie seit Ihren Kindheitstagen beibehalten.
Kann man so sagen. Natürlich gibt es Musik zu verschiedenen Anlässen. Im Konzertsaal hat man eine ganz andere Aufmerksamkeit als in der Disko. Dort will ich nicht Xenakis hören, sondern tanzen. Grundsätzlich ist es genauso schwierig, einen guten Popsong, ein Techno-Stück oder ein Orchesterwerk zu komponieren.
Auch von der Komplexität her?
Ja. Ich habe mich eine Zeitlang mit Drum and Bass beschäftigt und kann sagen, dass man wirklich lange tüfteln muss, biss man einen guten Bass-Sound zusammenkriegt.
Von ihren Verächtern wird Rockmusik gern als unterkomplex definiert.
Komplexität ist überbewertet. Es kann einfacher sein, etwas Komplexes als etwas Einfaches zu schreiben. Mit Komplexität kann man leicht schwindeln. Man stopft viele Töne hinein, schreibt komplizierte Partituren und schon hat man den Eindruck, etwas Tolles und Durchdachtes geschaffen zu haben. Aber was ist der Inhalt?
Komplexität als Selbstzweck.
Und Selbstbeweihräucherung.
Die in der zeitgenössischen Musik keinen schlechten Ruf hat.
Man schreibt nicht fürs Publikum, nur für sich selbst, es ist genug, wenn ich es verstehe – all diese Dinge, bei denen aus der Not eine Tugend gemacht wird, kaufe ich ja niemandem ab. Ich schreibe fürs Publikum und ich bin ja selber Publikum, ich bin mein erstes Publikum, warum sollte ich also gegen mich schreiben? Musik ist für mich Kommunikation, nicht Autismus. Ich will, dass meine Musik jemandem taugt, was nicht bedeutet, dass sie anbiedernd sein will.
Sehen Sie sich als Avantgardist?
Avantgarde, nein, da würde ich mich nicht einreihen wollen. Ich bediene mich bei musikalischen Elementen, die es alle schon gibt. Die müssen nicht neu erfunden werden. Ich bringe ein paar Sachen zusammen, die vielleicht noch niemand zusammengebracht hat, aber bin ich deswegen schon ein Vorreiter? Avantgarde ist ein Etikett. Ich kann darauf verzichten.
Für die Münchner Biennale für Neues Musiktheater haben Sie jüngst die Flüchtlingsoper „Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr“ mit dem ukrainischen Schriftsteller und Rocksongtexter Serhij Zhadan komponiert. Wie läuft so ein Kompositionsprozess ab?
Das Thema hat die Biennale vorgegeben und ich nehme an, Zhadan hat mich als Komponisten für sein Libretto vorgeschlagen, weil er selbst aus der Punkszene kommt. Ich habe es manchmal sehr gern, wenn mir ein Thema vorgeschrieben wird, weil ich sonst ewig mit meinen Lieblingsthemen weitermachen würde. Zwischendurch ist es angenehm, musikalischer Dienstleister zu sein. Zu Beginn einer Komposition gilt es einfach sehr viele pragmatische, logistische und finanzielle Entscheidungen zu fällen: wie groß das Ensemble sein darf, wie viele Darsteller sind vorgesehen, gibt es einen Chor und so weiter. Ich hatte für das Werk schon einiges komponiert, bevor ich den Text zur Hand hatte. Ein Vorteil, weil ich die Musik dann nicht so Wort für Wort den Text entlang komponieren kann. Das wird dann leicht lautmalerisch. Ende 2021 war ich fertig, kurz darauf hat der Krieg begonnen.
Das Werk, das Sie beim Transart-Festival aufführen, heißt „Oozing Earth“, die eiternde, verwundete Erde. Ein Umweltthema.
Die Idee des Ensemble Modern dazu gibt es schon länger, ist aber immer wieder verschoben worden, weil der Schlagzeuger Flo Munier ständig auf Tour war. Den Sänger Attila Csihar kannte ich vorher gar nicht, aber dachte, dass der für so etwa offen sein könnte. Im Grund stand da eine Schnapsidee am Anfang, aber das sind ja oft die besten. Ich stelle mir beim Komponieren das Ensemble gerne als einen Körper vor.
Zum Beispiel …
Zum Beispiel als Superhelden, oder, im Fall von „Ooozing Earth“, als Erde, die jammert und klagt und verwundet ist.
Attila Csihar kann unglaublich viel mit der Stimme machen. Er ist kein grölender Metaler.
Überhaupt nicht. Er ist sehr vielseitig, kann in allen Höhenlagen singen und kann sich sehr gut in ein Ensemble einfügen.
Die Texte stammen aus der Apokalypse der Offenbarung des Johannes.
Die habe ich ausgesucht, Attila hat einige eigene Text beigesteuert. Die Apokalypse ist ja auch sein Lieblingsthema, da kann er aus dem Stegreif etwas machen.
Wie wichtig ist Lautstärke?
Lautstärke ist die Amtssprache des Hardrock, so wie in der Oper der Gesang, aber sie ist nicht der Inhalt. Metal ist Verstärkung, mit unplugged Metal kann man mich ins Grab bringen.
Metal war Ihre erste Liebe und die vergeht bekanntlich nicht.
Die vergeht nie.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Bernhard Gander, 1969 in Lienz geboren, studierte am Tiroler Landeskonservatorium (Klavier, Tonsatz, Dirigieren), danach in Graz bei Beat Furer, am Studio UPIC/Paris und am Schweizerischen Zentrum für Computermusik/Zürich. Er wurde unter anderem mit dem Musikförderungspreis der Stadt Wien, dem Staatsstipendium für Komposition und dem Ernst Krenek Preis ausgezeichnet. Zusammenarbeit mit: Klangforum Wien, Ensemble Modern, Ensemble Intercontemporain, Ensemble Intégrales, Talea Ensemble, Arditti Quartett, Ensemble Phace, Neue Vocalsolisten Stuttgart…RSO Wien u.a. Beim Festival Transart führte das Ensemble Modern gemeinsam mit zwei internationalen Stars der Extreme Metal Szene – Flo Mounier, u. a. Drummer der Bands Cryptosy und Vltimas, und Attila Csihar, Mayhem Sänger und Stimme der Kultband Sunn O))) – „Oozing Earth“ auf.
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