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„Könnte dramatische Folgen haben“

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Wildtiere leiden unter hohen Temperaturen. Heinrich Aukenthaler, ehemaliger Direktor im Südtiroler Jagdverband, befürchtet für heuer Schlimmes.

„Ich habe keine Kristallkugel, aber ich könnte mir sehr wohl vorstellen, dass sich dieser Hitzesommer auf die Wildtiere auswirken könnte – vor allem auf das Gams- und Steinwild“, sagt der Wildbiologie im Südtiroler Jagdverband, Josef Wieser.

Die Befürchtung: Aufgrund der heurigen Rekordtemperaturen könnte es zu einer starken Reduktion der Wildbestände kommen. Südtirols Wildtiere sind nämlich großteils nicht hitzeresistent.

Gefährdet sind unter anderem die Gämsen: „Herbei geht es vor allem um den Ausfall der Kitze. Die Gämsen sind ans kältere Klima im Gebirge angepasst. Die Nahrung ist zwar vorhanden, aber die Äsungszeit ist im Vergleich zu kälteren Sommern geringer. Bei Ausnahmetemperaturen, wie im heurigen Juli, legen sich diese Tiere in den Schatten, um Energie zu sparen. Folglich haben sie weniger Zeit, Nahrung aufzunehmen und die Muttertiere produzieren dadurch weniger Milch für den Nachwuchs. Dadurch gehen die Kitze geschwächt in den Winter“, schildert Wieser.

Wie groß der Ausfall sein wird, kann nicht vorhergesagt werden. „Noch haben wir keine Rückmeldungen von den Revieren erhalten, zumal die Folgen zeitverzögert und somit frühestens Ende des Winters sichtbar sein werden, sobald man das Fallwild findet“, so Wieser.

Heinrich Aukenthaler, ehemals Direktor im Südtiroler Jagdverband, erinnert sich an den Rekordsommer 2003 – mit ähnlich hohen Temperaturen. Selbige Konsequenzen drohen heuer.

Tageszeitung: Herr Aukenthaler, die heurige Hitze schlägt alle Rekorde. Wie kommen die Wildtiere mit den anhaltendend hohen Temperaturen zurecht?

Heinrich Aukenthaler: Es gab einen Hitzesommer im Jahr 2003. Diese damalige Hitzeperiode haben die Menschen schon vergessen. Damals wurden Spitzenwerte in Europa erzielt, die einmalig waren – wie heuer. Es besteht die große Befürchtung, dass wir heuer ähnliche Werte erreichen könnten.

Was würde das für die Wildtiere bedeuten?

Viele Wildtiere, die in den Alpen leben, sind nicht hitzeresistent – wie Gämsen, Schneehühner, Schneehasen und andere. Gerade deshalb leben sie in den Alpen, weil sie temperaturmäßig an das alpine Klima angepasst sind. Durch die Hitze im Jahr 2003 kam es zu einer dramatischen Verringerung der Schalenwildbestände. Die Rehe haben damals beispielsweise enorm gelitten, weil unter anderem auch die Futterqualität durch die Dürre und Trockenheit vermindert war. Das Rehwild ist beim Futter sehr heikel. Verdorrtes Gras und Kräuter kann es nicht verdauen, besonders wenn die Krautflora frühzeitig verholzt. Die Folge sind hohe Fallwildraten, also viele natürliche Todesfälle – und dass viele Tiere weniger oder keinen Nachwuchs haben. Die große Befürchtung besteht, dass sich diese Situation heuer wiederholen könnte. Die genauen Auswirkungen und ob es einen Einbruch beim Rehwild gegeben hat, wird erst nächstes Jahr ersichtlich sein. Dass die Gämsen sehr unter der Hitze leiden, weiß man hingegen jetzt schon. Sie brauchen im Sommer kühle Rückzugsgebiete und ziehen sich untertags auf die Schattenseiten oder in größere Höhen zurück.

Welche Tiere sind besonders betroffen?

Bei den Hühnervögeln ist es am dramatischsten. Durch die Klimaerwärmung steigt die Waldgrenze kontinuierlich an. Das ist evident und messbar. Der freie Lebensraum für die Tiere, die im alpinen Grasland oberhalb der Waldgrenze leben, wird zunehmend geringer. Gerade deshalb ist die Erhaltung der Almwirtschaft enorm wichtig. Die Almen sind nicht natürlich, sondern vor rund 1.000 Jahren durch menschliches Zutun entstanden. Dadurch wurde die Waldgrenze um 200 bis 300 Höhenmeter gesenkt. In der Folge dieser Rodungen und Entbuschungen wurden in Südtirol und generell im Alpenland großflächige Graslandschaften oberhalb der Waldgrenze geschaffen, die für viele Tiere lebenswichtig sind.

Um wie viel hat sich der Wildbestand im Jahr 2003 reduziert?

Ich kann hierzu keine Zahlen nennen. Aber es gab einen sehr deutlichen Rückgang, der sich sowohl in den Abschussstatistiken als auch in den Beobachtungen niedergeschlagen hat, und zwar in fast ganz Europa. Gerade in unserem Land, wo die Entwicklung rund um das Wild genau untersucht wird, wurde dieser Bestandseinbruch gut dokumentiert. Ein ähnlicher Rückgang ist auch heuer zu befürchten, wenn nicht gar zu erwarten, sofern die Hitze weiter anhält und die Nahrung knapp wird.

Interventionsmöglichkeiten gibt es keine?

Nein. Ich habe erst letzthin eine Aussage von Landesrat Arnold Schuler gelesen, der im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Borkenkäfers gesagt hat: „Wir können nur hoffen und beten.“

Der Borkenkäfer stellt eine weitere Gefahr für die Wildtiere dar?

Der Borkenkäfer zerstört den Schutzwald und somit auch das Habitat vieler Wildtiere. Die Wälder sind belastet. Nur durch anderes Wetter, wie durch Kälteeinbrüche, wird der Borkenkäfer blockiert. Andernfalls vermehren sich die Schädlinge rasant. Auch in der Gemeinde Freienfeld sieht man im Wald mittlerweile einige braune Nester. Vorwiegend befällt der Borkenkäfer die Fichten, die durch die Hitze weiter geschwächt werden. Dadurch kommt es zu einem Absterben dieser in Südtirol vorherrschenden Waldbäume.

Interview: Erna Egger

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