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„Verfehlte Geldpolitik“

Stefan Schubert, Wirtschaftsprofessor an der Uni Bozen, erwartet, dass die Inflation jahrelang hoch bleiben wird. Man zahle damit den Preis für die massive Geldschwemme der Europäischen Zentralbank.

Tageszeitung: Herr Professor Schubert, die Inflation kratzt in Südtirol an der 8-Prozent-Marke, das Geld entwertet zunehmend und immer mehr Haushalte müssen schauen, über die Runden zu kommen. Erwarten Sie eine baldige Entspannung der Situation?

Stefan Schubert: Nein, im Gegenteil: Ich befürchte, dass die Inflationsrate über einen längeren Zeitraum deutlich über der als Preisstabilität definierten Marke von zwei Prozent liegen wird. Mit anderen Worten: Die Inflation ist da.

Wo sehen die Gründe dafür?

Die Inflation hat viele Gründe. Momentan sind es in erster Linie die Folgen der Pandemie mit gestörten Lieferketten und Engpässen auf der Angebotsseite. Jetzt kommt der Ukraine-Krieg dazu. Und es gibt eine angespannte Situation auf den Rohstoff- und Energiemärkten mit Preissteigerungen von teilweise über 100 Prozent, die sich relativ kurzfristig auf die Endverbraucherpreise durchschlagen werden. Denn im Endeffekt gibt es kein Produkt und kein Lebensmittel, für dessen Produktion nicht Energie und Treibstoff gebraucht wird. Die höheren Produktionskosten führen zu höheren Preisen für die Verbraucher. Das schlägt sich auf breiter Front durch und führt zu – aus unserer europäischen, modernen Sicht – hohen Inflationsraten von sieben Prozent und mehr. Aber längerfristig ist das Problem in der verfehlten Geldpolitik der Europäischen Zentralbank zu finden.

Inwiefern?

Die Zentralbankgeldmenge hat sich innerhalb der letzten sieben Jahre versechsfacht. Das muss man sich einmal vorstellen: Die Zentralbankgeldmenge ist sechsmal so hoch wie 2015. Und selbstverständlich ist in dieser kurzen Zeitspanne von sieben Jahren die Produktion nicht auch um das Sechsfache angestiegen. Das heißt, die Zunahme der Geldmenge ist viel größer als die Zunahme der Gütermenge. Das führt langfristig natürlich zu höheren Preisen. Man kann sich fragen, warum die Preise nicht schon früher angestiegen sind. Dazu ist anzuführen, dass die Wirtschaftssubjekte momentan Geld horten, weil die Zinsen bei null Prozent liegen und Wertpapieranlagen somit keine Rendite bringen. Das ändert sich in dem Moment, in dem die Zinsen positiv werden: Die Leute wollen ihr überflüssiges Geld wieder loswerden, weil eine renditebringende Anlage attraktiver wäre. Das schlägt sich über diverse Transmissions-Mechanismen dann letztlich auf die Preise nieder.

Zahlen wir jetzt also den Preis für die massive Geldschwemme der EZB in den letzten Jahren?

Ja, den werden wir noch zahlen. Da führt kein Weg daran vorbei. Die EZB hat sich in ein Dilemma hineinmanövriert. Natürlich weiß sie, welche langfristigen Konsequenzen durch diese Geldflut drohen. Eigentlich müsste sie jetzt das überflüssige Geld wieder einziehen, was aber schwer möglich ist, weil die EZB mit diesem Geld in riesengroßem Umfang Staatsanleihen gekauft hat. Wenn sie die Staatsanleihen wieder verkauft, würden die Zinsen für diese Anleihen steigen, wodurch viele hochverschuldete Staaten im Euro-Raum in extreme Schwierigkeiten geraten würden. Das weiß die EZB – sie steckt in einem Dilemma. Sie will etwas tun, kann aber nicht wirklich, weil sie damit ein anderes riesengroßes Problem schaffen würde.

War es denn nicht absehbar, dass die enorme Ausweitung der Geldmenge irgendwann zu einer hohen Inflation führen wird und die Ersparnisse der Bürger somit entwertet werden?

Für mich war das immer schon absehbar, und ich verstehe die Politik der EZB nicht. Vor allem nicht die Beschwichtigungsversuche im letzten Jahr, wonach die damals schon höheren Preise ein Einmaleffekt seien. Die EZB hat alle möglichen Gründe angeführt, aber ich fürchte fast, dass man die wahren Gründe nicht wahrhaben wollte. Ich bin ein Gegner der EZB-Politik der letzten Jahre, aber jetzt sind wir nun einmal in dieser Situation und müssen leider alle den Preis dafür bezahlen. Die höheren Preise sind nicht nur auf Corona und Ukraine-Krieg zurückzuführen. Denn die Preise zogen schon letztes Jahr ohne Krieg deutlich an – insbesondere bei Industrieprodukten. Und seit einigen Jahren ist ein deutliches Ansteigen der Immobilienpreise festzustellen. Den Effekt, dass einfach zu viel Geld in der Wirtschaft im Umlauf ist, konnte man schon in den Vorjahren ablesen.

Was muss die EZB jetzt tun, die bislang an der Null-Zins-Politik festhält?

Sie müsste die Zinsen erhöhen und versuchen, das viele Zentralbankgeld wieder aus der Wirtschaft herauszunehmen. Das hätte aber die unangenehme Konsequenz, dass hochverschuldete Staaten in die Bredouille kommen, weil sie dann höhere Zinszahlungen leisten müssten. Momentan können sich Staaten ja fast ohne Kosten verschulden, aber wenn die EZB die Zinsen erhöht, schlägt sich das auf die Zinsen für Staatsanleihen nieder. Wer hohe Schulden hat, müsste einen großen Teil seines Budgets für Zinszahlungen auf ausstehende Staatsschulden verwenden – und sich eventuell sogar neu verschulden, um die Zinsen bezahlen zu können, was die Staatsschulden wiederum erhöht. Eine sehr komplizierte Lage, denn die EZB müsste etwas tun, um die Inflation zu bekämpfen, was andererseits aber wieder gravierende Folgen hätte.

Wie könnte ein Zwischenweg aussehen?

Das ist schwierig. Die EZB ist einfach zu spät dran. Ich fürchte, dass die EZB die aktuelle Situation laufen lässt. Wir können uns deshalb auf höhere Inflationsraten in den nächsten Jahren einstellen, die deutlich über den angestrebten zwei Prozent liegen. Für die Staaten hat die Inflation den positiven Effekt, dass auch die Staatsschulden entwertet werden.

In welchem Prozent-Bereich könnte sich die Inflation mittel- und langfristig einpendeln?

Das kann man so genau nicht vorhersagen. Man muss auch berücksichtigen: Jetzt steigen die Preise auf breiter Front, sodass die Gewerkschaften bei den nächsten Lohnrunden deutlich höhere Löhne verlangen werden, um den Kaufkraftverlust auszugleichen. Aber wenn die Löhne steigen, steigen wiederum die Kosten für die Betriebe. Man gerät in die sogenannte Lohn-Preis-Spirale: Höhere Preise führen zu höheren Löhnen, höhere Löhne führen wiederum zu höheren Kosten, diese höheren Kosten müssen die Betriebe wieder über höhere Preise abwälzen – und dann steigen wieder die Löhne. Diese Spirale zu durchbrechen, ist nicht einfach. Die EZB kann zwar versuchen zu vermitteln, die Inflation bekämpfen zu wollen, aber wenn das Vertrauen in die Geldpolitik einmal weg ist, kann man es nur sehr schwer wiederherstellen. Und meiner Meinung nach ist das Vertrauen in die EZB erschüttert.

Wie müsste grundsätzlich eine sinnvolle, nachhaltige Geldpolitik aussehen?

Man muss vermeiden, dass die Geldmenge zu stark expandiert. Damit hat man schon einmal die langfristige Inflation gebannt. Geldmengen-Wachstum sollte sich am Wirtschaftswachstum orientieren. Damit verbunden braucht es eine normalisierte Zinspolitik. Denn momentan schaut man als Sparer – salopp gesagt – mit dem Ofenrohr ins Gebirge, weil man keine Zinsen bekommt. Sparen bringt nichts, und jetzt haben wir auch noch die Inflation. Das heißt, der Realzins ist negativ: Selbst wenn man Geld auf dem Sparbuch hat, ist man ein Verlierer. Es kommt zu gewaltigen Vermögensumverteilungen und Verzerrungen in der Wirtschaft: Gläubiger wie etwa Sparer verlieren, Schuldner gewinnen. Und wenn die Verlierer immer ärmer werden und sich immer schwerer tun, ihre Lebenshaltungskosten zu bezahlen, kann das durchaus Potenzial für soziale Konflikte in sich bergen.

Mit der bisherigen Geldpolitik und dem ständigen Schulden-Machen, verbindet man auch Spekulation, endloses Wachstum, Überkonsum, eine immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich sowie bestrafte Sparer durch die Geldentwertung. Sehen Sie das auch so?

Ich würde es anders formulieren: Sparer werden nicht bestraft – Sparen bringt einfach nichts. Man erhält keinen Ertrag mehr für Konsumverzicht. Man spart ja auch aus Vorsichtsgründen, wenn die Zukunft unsicher ist wie derzeit. Gleichzeitig weiß man, dass man damit derzeit keine Rendite erwirtschaftet und man wegen der Inflation später sogar weniger Geld hat.

Trägt eine expansive Geldpolitik mit Null-Zinsen nicht auch negativ zum Klimawandel bei? Die Haushalte werden durch das billige Geld grundsätzlich ja nicht zum Sparen und vorsichtigem Umgang animiert, sondern geben es für alle möglichen Dinge aus, die sie vielleicht gar nicht brauchen oder sich eigentlich nicht leisten können. Und die Unternehmen müssen nicht unbedingt effizient sein, sondern können einfach weiter neue Schulden machen, wenn es ihnen an Geld mangelt…

Unternehmen müssen immer bedacht darauf sein, ihre Mittel effizient einzusetzen, sonst werden sie über kurz oder lang vom Markt verschwinden. Und zudem ist es nicht die Aufgabe der Notenbank, sich in die Klimapolitik einzumischen. Aufgabe der EZB ist es, für Preisstabilität zu sorgen. Vielmehr muss der Staat Anreize setzen oder etwa CO2-Zertifikate einführen, um das Klima zu schützen.

Ich meinte eher, ob billiges Geld nicht zu Überkonsum und Ineffizienz in der Wirtschaft beiträgt, was sich negativ auf das Klima auswirkt…

Das würde ich so nicht unterschreiben. Billiges Geld ja, aber man kann nur das kaufen, was produziert worden ist. Geld ist das eine, aber Einkommen und damit Bruttoinlandsprodukt das andere. Was aber ein Problem ist – und da haben Sie so gesehen schon Recht –: Wenn der Zins auf Null ist, fehlt ein wichtiger Anreiz, in effiziente Projekte zu investieren. Denn der Zins ist ja auch ein Preissignal und sorgt dafür, dass das knappe Kapital in seine besten Verwendungen gelenkt wird. Und wenn der Zins auf Null ist, kann man in alles investieren, weil ein Projekt dann keine Rendite erwirtschaften muss. Das führt zu einer ineffizienten Allokation von knappem Kapital und trägt dazu bei, dass sogenannte Zombiefirmen weiterhin überleben können, die längst nicht mehr den Markttest bestanden hätten. Ich würde aber nicht mit Überkonsum argumentieren, sondern damit, dass ein nicht-vorhandener Zins ein wichtiges Preissignal in der Wirtschaft ausschaltet, das das Kapital in die besten Verwendungen lenkt.

Jetzt taucht immer öfter der Begriff der Stagflation auf, also eine hohe Inflation bei gleichzeitig stagnierender Wirtschaft mit steigender Arbeitslosigkeit. Sehen Sie die Gefahr einer Stagflation?

Diese Gefahr sehe ich durchaus. Wir haben eine hohe Inflation und ein gebremstes Wachstum hauptsächlich wegen des Ukraine-Krieges und wegen Covid-19. Wenn die EZB doch irgendwann die Zügel anziehen würde, müsste sie die Wirtschaft abwürgen, um die Inflation zu bekämpfen. Die Gefahr der Stagflation besteht also sehr wohl.

Abseits von der Geldpolitik: Was kann die Politik beitragen, um die Inflation in den Griff zu kriegen?

Die Politik selbst hat nicht die Aufgabe, die Inflation zu bekämpfen. Das ist die vornehmste Aufgabe der Zentralbank. Da die Inflation momentan nicht von der Nachfrageseite getrieben wird, sondern wir eine Kosteninflation haben, kann der Staat wenig tun. Er kann natürlich den Haushalten mit niedrigen Einkommen mit Zuschüssen helfen. Das ist aber keine Dauerlösung. Im Großen und Ganzen haben wir gerade eine sehr verfahrene und schwierige Situation. Wir „dürfen“ uns darauf einstellen, dass wir über die nächsten Jahre mit einer höheren Inflation werden leben müssen.

Interview: Heinrich Schwarz

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (19)

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  • steve

    Wenn ich in den letzten Jahren was gelernt hab, dann ist es keinem deutschen Wirtschaftswissenschaftler zu vertrauen.
    Die scheinen alle noch einen Schaden von der deutschen Hyperinflation 1923 zu haben und es geht hauptsächlich darum die eigenen Interessen zu vertreten.
    Interviewt das nächstemal,was weiß ich, einen Franzosen oder Amerikaner, aber keinen Deutschen.
    Das deutsche Gejammer von der erwarteten angeblichen Rieseninflation gibt es schon seit Jahren vor allem in der Bildzeitung.

  • foerschtna

    Wer geglaubt hat die hemmungslose Gelddruckerei der letzten 15 Jahre würde ohne heftige Nebenwirkungen bleiben glaubt wohl auch auch an den Weihnachtsmann und den Osterhasen. Und an die Lügen der Zentralbanker von der „vorübergehenden“ Inflation.

  • artimar

    Da sagt Stefan Schubert da ja nichts Neues. Alle die auf Schulden finanzierten Pakte werden entsprechend entwertet. Das kennt Italien ja in seiner Vergangenheit mit seiner Hyperinflation.
    Dass Inflation Vermögensumverteilung von unten nach oben heißt, ist bekannt. Ebenso, dass Geld längst kein Aufbewahrungmittel mehr ist und wohl auch nicht sein soll.

  • andreas

    Die FED hatte jahrelang eine ähnliche Geldpolitik gefahren und die, welche jetzt schlau daherreden, dass die 0 Zinspolitik und der Ankauf von Staatsanleihen falsch war, sollten erklären, wie man das Problem sonst hätte lösen können.

    Wobei die Techaktien in den letzten Tagen durchaus zur Geldvernichtung beigetragen haben und wenn die mit Geld weiter NFTs oder Grundstücke bei Meta für Millionen kaufen, ist die Geldmenge nicht das Problem.

  • dn

    Eben, Geld und Aktien sind bedrucktes Papier, wobei das meiste Geld in Form von Aktien und Krediten bloß als Binärcodes existieren.
    Die Deutschen mit Vermögen (um es nicht Geld zu nennen) wissen, warum sie uns zu viele Immobilien wegschnappen.

    • klum

      Die „ITALIENER“ waren vor der Wirtschaftskrise 2009 doppelt so vermögend wie die DEUTSCHEN. Heute sind wir Italiener immer noch gleich REICH wie die vermögenden Deutschen.
      Die noch reicheren SÜDTIROLER schnappen sich schon seit vielen Jahren in Innsbruck, Osttirol, Salzburg, Kärnten und selbst in Wien „zu viele Immobilien (oder sogar ganze Landstriche) weg“. Danach folgen Berlin, Kenia, Kambodscha, New York oder sogar Brasilien und landwirtschaftliche Gründe im gesamten Ostblock, im Veneto, Toskana …

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