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Zerrissene Familien

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Impfen, Masken und Corona-Maßnahmen: Warum die Corona-Politik Freundschaften zerbrechen lässt und Familien spaltet – und was man dagegen tun kann. 

Tageszeitung: Herr Eikemann, die Corona-Diskussionen gehen immer weiter in die Familien hinein. Maske – Ja oder Nein? Oder: Soll man sich impfen? Warum spalten diese Diskussionen plötzlich Familien und Freunde?

Stefan Eikemann (Psychologe und Psychotherapeut, Direktor der Familienberatung Fabe): Die Diskussionen über die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und über die Impfung haben sich nach der erste akuten Pandemie-Phase auf die Ebene der Werte verlagert, natürlich auch, weil diese Fragen die emotionale Ebene sehr stark berühren – und da geht es in erster Linie um Ängste. Wir haben auf der einen Seite Menschen, die sehr große Angst vor der Krankheit haben, und auf der anderen Seite jene, die die Pandemie nicht so schlimm sehen und von anderen Ängsten geplagt werden – wie der Angst, dass Autoritäten zu stark werden, ihrem Körper durch die Impfung irgendetwas angetan wird oder dass sie ihre Integrität verlieren.

Familien berichten von mehr als unangenehmen Situationen, wenn verschiedene Meinungen zum Thema Corona oder Impfungen aufeinanderprallen…

Es gibt Menschen, die lassen andere Familienmitglieder nicht mehr ins Haus, weil sie sagen, dass sie ungeimpft und damit eine Gefahr sind. Oder umgekehrt gibt es Personen, die ihre Familienangehörigen unter Druck setzen, sich ja nicht impfen zu lassen. Es gibt Spaltungen in den Familien und an diesen Fragen sind auch schon Freundschaften zerbrochen. Es ist aber schon interessant, dass das so stark gefühlt wird.

Weil jeder das Beste für den anderen oder alle anderen will? 

Das würde ich vielleicht nicht so sagen, aber viele diskutieren sehr emotional über dieses Thema.

Vielfach kommt das Gefühl auf: Ich oder die Impfung?

Es gibt eine sehr große Ausschließlichkeit und diese wird auch sehr absolut gelebt. Und nachdem es in den letzten Wochen wieder etwas ruhiger um dieses Thema geworden ist, weil viele versucht haben, es bewusst nicht anzusprechen, um Diskussionen zu vermeiden, ist es jetzt mit der Green Pass-Pflicht am Arbeitsplatz natürlich wieder sehr stark präsent.

In einigen Familien hat sich ein regelrechter Riss aufgetan und vertraute Menschen erscheinen plötzlich fremd und unsympathisch. Kannte man sich zuvor nicht gut genug oder hat Corona alles verändert?

Wie wir selbst reagieren, wissen wir erst, wenn die Situation da ist. Man glaubt sich selbst oder den anderen zu kennen, aber wenn eine konkrete Situation kommt, reagiert man oft anders als erwartet. Und auch wenn Menschen einer Familie oft dieselben Werte teilen, dann geht dieses Thema emotional einfach noch viel tiefer, dass man es oft nicht schafft, sich an diese „Vereinbarungen“ zu halten. Bei diesem Thema geht es für viele um Leben und Tod, es geht um Krankheit und die Möglichkeit zu sterben – und das erleben einige im Bezug auf Covid-19 und andere bezogen auf die Impfung. Und diese sehr große Bedrohung geht einfach viel tiefer, für beide Seiten, weshalb es hier trotz der vielen anderen Gemeinsamkeiten zu Differenzen kommen kann, weil uns dieses Thema auf einer ganz anderen Ebene berührt.

Und Kompromisse sind meist nicht möglich, man kann sich ja nicht ein bisschen impfen… 

Das geht nicht und damit lässt diese Frage auch keine Kompromisse zu. In der Regel passt sich dann meist ein Teil dem anderen an – und das funktioniert oft auch recht lange – aber es kann auch sein, dass sich keine Seite der anderen anpassen will und dann…

… wird es zerbrechen. 

Ja. Ein Problem dieser Schwarz-Weiß-Diskussion ist sicher, dass die Positionen sehr hart sind und oft die vielen Positionen dazwischen nicht richtig wahrgenommen werden. Jeder hat seine eigenen Gründe, warum er sich impfen oder nicht impfen lassen will – und da schaut man oft nicht genug hin.

Es diskutieren aber nicht nur Erwachsene untereinander, es geht auch immer häufiger um die Kinder und die Frage, ob sie geimpft werden sollen. Was soll man tun, wenn sich die Kinder impfen lassen möchten, um mit Freunden z.B. ins Kino gehen zu können, ohne ständig testen zu müssen, die Eltern oder ein Elternteil aber dagegen sind? 

Das ist ja nicht das erste Mal, dass Eltern vor diesem Problem stehen. Es gibt ja bereits eine Impfpflicht für andere Impfstoffe und es gibt durchaus Elternpaare, die wir betreuen, eben weil sie angesichts dieser Impfpflicht unterschiedlicher Meinung sind. Und jetzt kommt noch dazu, dass auch die Jugendlichen eine eigene Meinung haben. Aus psychologischer Sicht ist es in jedem Fall aber empfehlenswert, spätestens ab 16 Jahren die Jugendlichen selbst entscheiden zu lassen.

Sind Familienkonflikte da praktisch vorprogrammiert? 

Es gibt wie schon angesprochen verschiedene Motive für die eine oder andere Meinung, aber irgendwann muss man zum Handeln übergehen – also impfen oder nicht impfen. Und an dieser Stelle setzt sich in der Regel eine Seite durch und bei Gleichstand wird sich derjenige durchsetzen, der auf der Rechtsebene die stärkere Macht hat – und das sind in diesem Moment die Impfgegner, weil es für eine Impfung die Zustimmung beider Eltern braucht. Und wenn die Fronten einmal so verhärtet sind, braucht es meiner Erfahrung nach drei bis vier Jahre und intensive Gespräche, um aus dieser Situation wieder herauszukommen und auch Zugang zu den Ängsten des jeweils anderen zu bekommen.

Spüren Sie bei der Familienberatung eine Zunahme der Hilfesuchenden eben wegen dieser Corona-Problematiken? 

Ja, allerdings kommen die Leute nicht und sagen: Löst uns das Problem, unser Kind zu impfen. Sehr viele Eltern kommen zuerst allein in die Familienberatung, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Sie möchten in ihrer Position verstanden werden und nicht sofort die Antwort hören, dass sie alles falsch sehen. Und allein dieses Interesse führt oft dazu, dass der innere Stress weniger wird und man vielleicht auch mit dem Partner noch einmal in Ruhe darüber reden kann.

Interview: Lisi Lang

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Kommentare (18)

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  • andreas

    Den Medien die Schuld für die eigene Unzulänglichkeit, Zusammenhänge zu verstehen, zu geben, ist auch ein kurioses Argument.
    Es gab noch nie so viele Möglichkeiten sich zu informieren, einerseits ein Segen, andererseits bringt es Typen wie batman hervor.
    Einige scheinen bei der Fülle an Informationen etwas überfordert zu sein und suchen die Schuld bei anderen.

    • joe

      @Andreas , durch die täglichen „Horrormeldungen “ der Fallzahlen , nur negative Berichte , kaum positive Erkenntnisse , kritische Meinungen als Fakenews , oder gar ins Eck der Schwurbler , Aluhut darstellen , oder einfach nicht davon berichten …doch ich würde den Mainstreammedien , schon eine erhebliche Schuld an der ganzen Situation geben . Da sie einfach ihre Aufgabe als 4. Macht , der Politik auf die Finger schauen , versagt haben . Aus welchen Gründen auch immer .

    • devils_son

      wenn das Haus Athesia über 3 Mio´s an Kohle reingeschoben bekommt – dan wird das sehr vermutlich mit Bedingungen verbunden sein. Allerdings merkt das ja niemnd, und etwas hinterfragen ist sowieso das Letzte!

  • joe

    @franz1 , warum wird so gut wie gar nicht über die Demonstrationen in ganz Italien gegen den GP berichtet ? Glauben Sie es ist nicht der Rede wert ? Dann suchen Sie mal ein paar Videos auf Youtube …achja ich vergaß…ist ja ne Schwurblerplattform .

  • joe

    @devils_son , ich werde mich bemühen , aber versprechen kann ichs nicht 😉

  • joe

    Sehr gut getroffen @ checker . Bravo !

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