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„Er war zurechnungsfähig“

Psychiatrische Gutachten zur Schuldfähigkeit von Angeklagten müssen von Richtern nicht zwangsläufig übernommen werden. Wie es dazu kam, dass Lorys Daniel Caciula wegen Tötung seiner Tante Nicoleta zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde.

von Thomas Vikoler

Es ist das letzte Urteil ihrer langen Richterkarriere, das Carla Scheidle in diesen Tagen – wenige Tage nach ihrer Pensionierung – hinterlegt hat. Das Urteil zu einem umkämpften, juristisch hochinteressanten Mordfall. Es schien zunächst, als würde Lorys Daniel Caciula, heute 24 zum Tatzeitpunkt 21, für die Tötung seiner Tante Nicoleta Caciula, 45, am 17. Juli 2018 mit einer Haftstrafe von vier Jahren und zehn Monaten davonkommen.

Auf dieses Strafmaß einigten sich 2019 Anklage und Verteidigung. Die Tat wurde als Körperverletzung mit Todesfolge eingestuft, die Kassation hob das Vergleichsurteil des Bozner Landesgerichts allerdings auf.

Es folgte eine erneute Anklage und ein verkürztes Verfahren, diesmal unter dem Vorsitz von Richterin Scheidle.

Vor rund einem Monat verkündete sie ihr Urteil:

Zehn Jahre Haft wegen vorsätzlicher Tötung mit Zuerkennung von allgemein mildernden Umständen wegen des Geständnisses, des guten Prozessverhaltens und schwieriger familiärer Umstände. Die Staatsanwaltschaft hatte, ausgehend von einer teilweisen Schuldfähigkeit, 14 Jahre und zwei Monate Haft für Lorys Daniel Caciula gefordert.

Bemerkenswert ist an dem Urteil, dass sich die Richterin vom Amtsgutachten des Psychiaters Luciano Magotti distanzierte. Dieser hatte dem Angeklagten eine Reihe von psychischen Problemen attestiert und deshalb für teilweise zurechnungsfähig erklärt. Damit hätte dieser Anspruch auf bis zu einem Drittel Strafnachlass gehabt.

Scheidle wählte einen anderen Weg bei der Bemessung der Strafe:

Sie stellte sich, um es indirekt zu formulieren, gegen die „Mode der Unzurechnungsfähigkeit“, die in Mordfällen mittlerweile zur Regel geworden ist.

Wer einen Mord begeht, so die Einschätzung der meisten Gutachter, muss zwangsläufig eine psychische Beeinträchtigung haben, die seine Schuldfähigkeit zumindest einschränkt. Amtsgutachten werden von Richtern im Normalfall übernommen, es ist aber nicht zwingend.

Laut der nun vorliegenden Urteilsbegründung war Lorys Daniel Caciula zu jeglichem Zeitpunkt im Klaren, was er mit seiner Tante anstellte, die ihn laut seiner Aussage sexuell bedrängt hatte. „Es gibt keine Zweifel an der vollen Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten, seine eigene Beschreibung des Tatablaufs ist auch mit einer eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit nicht vereinbar“, heißt es im Urteil. Auch das Verhalten nach der Tat lasse keinen anderen Schluss zu.

Nicoleta Caciula war nach übereinstimmender Meinung der medizinischen Gutachter nach einem starken Druck auf ihren Kehlkopf an einem Herzinfarkt verstorben. Ihr Neffe hatte laut eigener Aussage bei ihr den Selbstverteidigungsgriff Krav Maga angewandt. In der Urteilsbegründung wird betont, dass Lorys Daniel Caciula über zwei Meter groß sei, während seine Tante gerade 1,45 Meter maß. Als Hinausschmeißer in einer Diskothek hatte der Brunecker, wie Zeugen berichteten, einmal einen Besucher mit einem Fausthieb niedergestreckt, ohne ihn dabei zu verletzen.

Er sei also sehr wohl in der Lage, seine Impulse zu kontrollieren – was an jenem 17. Juli 2018 offensichtlich nicht gelang.

Als Hinweis auf eine volle Zurechnungsfähigkeit wertet Scheidle auch, dass der Neffe nach der Tat ein Verteilerkabel um den Hals der Tante zusammenzog, um einen Selbstmord vorzutäuschen und anschließend einen Brand in ihrer Wohnung in der St.-Lorenzner-Straße in Bruneck legte.

Auch die falsche Beschuldigung gegenüber den Ermittlern, der eigene Vater habe Nicoleta Caciula ermordet (angeblich im Auftrag seiner Partnerin), wertet die Richterin als Indiz für berechnendes Bewusstsein des Täters. Ebenso wie sein unauffälliges Verhalten am Tag nach der Tat bei einem Vorstellungsgespräch beim Brunecker Autozulieferer GKN Driveline SpA und die Falschanzeige vom 19. Juli 2018 über eine widerfahrene Aggression in der Tatnacht.

Mit dem Fall Caciula wird sich gegen Ende dieses Jahres wohl auch das Oberlandesgericht Bozen befassen müssen. Die Verteidigung hat nach dem Urteilsspruch Berufung angekündigt.

 

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