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Der Nasenbohrer-Streit

Nach der Schließung der Testzentren bleibt der Sanitätsbetrieb auf den angekauften Nasenbohrertests sitzen. „So war das nicht abgemacht“, kritisiert Waltraud Deeg ihren Kollegen Thomas Widmann.

von Matthias Kofler

Die Landesregierung sucht fieberhaft nach einer geeigneten Strategie, mit der sie der drohenden vierten Corona-Welle begegnen kann. Das EU-Zertifikat soll, wie in Frankreich, Voraussetzung für den Zugang zu Bars und Restaurants sowie für die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln werden. LH-Stellvertreterin Waltraud Deeg blickt mit Sorge auf die jüngsten Entwicklungen in Spanien, Portugal und den Niederladen, wo wegen der hoch ansteckenden Delta-Variante die Zahl der Neuinfektionen in die Höhe schnellt. Experten rechnen damit, dass die zuerst in Indien entdeckte Variante im August auch in Italien dominieren wird.

„Mit steigenden Infektionszahlen müssen wir Methoden andenken, um erneute Schließungen und eine Überlastung des Sanitätsbetriebs zu verhindern“, betont Deeg. Laut der Soziallandesrätin muss es das oberste Ziel des Landes sein, möglichst viele Menschen zu einer Impfung zu bewegen.

Diese Meinung teilt auch Thomas Widmann, wiewohl auch Geimpfte das Virus weitergeben können: „Die Geimpften bereiten uns keine Sorgen, da diese nicht im Krankenhaus landen werden. Wenn 30.000 Leute wie bei der Influenza daheim im Bett liegen, wird unser Gesundheitssystem nicht belastet. Und es werden auch nicht die Freiheiten der anderen eingeschränkt. Wenn alle Menschen geimpft wären, bräuchte es keinen Lockdown mehr. Das Problem sind die Nicht-Geimpften“, ist der Sanitätslandesrat überzeugt. In England oder Israel sehe man, dass trotz hoher Infektionslage die Situation in den Spitälern ruhig sei – dank des Vakzins. Laut Widmann hat Südtirol die Delta-Variante derzeit unter Kontrolle, man könne die Fälle gut eingrenzen. Zudem habe man bei den vollständig Geimpften eine Quote von 44,2 Prozent und bei den Erstgeimpften eine Quote von 52 Prozent erreicht, die vergleichbar mit jenen in Israel und höher als jene in Deutschland oder Österreich seien. Bei den über 70-Jährigen seien schon über 80 Prozent geimpft, was einer Herdenimmunität gleichkomme. Auch eine zu erwartende dritte Impfung bei Älteren und Risikopatienten stelle den Sanitätsbetrieb vor keine allzu großen Schwierigkeiten. „Wir können die 100.000 Betroffenen innerhalb von zwei Wochen noch einmal impfen“, verspricht Widmann.

Das EU-Zertifikat für Geimpfte, Getestete und Genesene soll der zuletzt ins Stocken geratenen Impfkampagne neuen Auftrieb geben. Anfang Juli hat die Landesregierung die Testzentren in den Gemeinden, in denen sich BürgerInnen kostenlos einem Nasenflügel-Schnelltest unterziehen konnten, schließen lassen. Seitdem müssen Nicht-Geimpfte, die aufs Wiesenfest oder ins voll besetzte Theater gehen wollen, den Test selbst bezahlen. Waltraud Deeg und Arnold Schuler stehen voll hinter der Schließung der Testzentren: „Die Nasenflügeltests werden fürs EU-Zertifikat nicht anerkannt. Wenn wir eines aus der ersten, zweiten und dritten Welle gelernt haben sollten, dann: Dass es einheitliche, verlässliche und klare Regeln – und keine Parallelismen braucht“, drängt die Soziallandesrätin auf eine europaweite Regelung der Corona-Tests. Hinzu komme der Umstand, dass der italienische Datenschutzbeauftragte den Südtiroler Corona-Pass, der im April und im Mai zum Einsatz kam, in der Zwischenzeit gekippt habe, da er – der Pass – gegen die Bestimmungen zur Verwaltung von Gesundheitsdaten verstoßen habe.

Sanitätslandesrat Widmann hingegen erachtet die Schließung der Testzentren für eine übereilte Entscheidung. In seinem Umfeld fällt das Wort „Bauchweh“. „Die Epidemiologen und Virologen sagen uns, dass weit und breit getestet werden muss, um die Lage im Überblick zu behalten und eine Verschlechterung der Situation in den Spitälern vorzeitig zu unterbinden. Denn wenn wir warten, bis die Krankenhäuser überfüllt sind, sind wir wieder drei Wochen zu spät.“

Der SVP-Politiker bestätigt, dass der Sanitätsbetrieb noch genügend Nasenbohrertests auf Halde hat, um Nicht-Geimpfte zu testen. Dadurch, dass jeder die Tests aus der eigenen Tasche bezahlen müsse, laufe man Gefahr, dass sich fast niemand mehr testen lasse. Deeg kontert: „So war das nicht abgemacht. Wir haben uns in der Landesregierung auf Ausschreibungen mit Kaufoption verständigt. Der Sanitätsbetrieb sollte bis zum Ende des Schuljahres so viele Tests wie nötig einkaufen. Die Testmöglichkeiten entwickeln sich schließlich weiter – wir wollen die Tests der neuesten Generation einsetzen, sofern diese auch europaweit anerkannt werden“, betont die LH-Stellvertreterin. Die übrig gebliebenen Nasenflügeltests sollen für Pre-Screenings eingesetzt werden, zum Beispiel bei der Sommerbetreuung oder im Sport. Sie den Betrieben zur Verfügung zu stellen, mache hingegen keinen Sinn, da sie nicht fürs EU-Zertifikat anerkannt werden.

Der Freiheitliche Andreas Leiter Reber will indes mittels einer Landtagsanfrage in Erfahrung bringen, wie viele Nasenflügeltests der Sanitätsbetrieb gehortet hat. Er verweist in dem Zusammenhang auf eine Aussage von Landeshauptmann Arno Kompatscher: Dieser hatte im Landtag erklärt, dass die übrig gebliebenen Bestände im Herbst eingesetzt werden sollen. Dies steht jedoch im Widerspruch zur Ankündigung seiner Stellvertreterin, Tests der neuesten Generation zu verwenden.

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