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Hartes Urteil

Alexander Schiebel und Karl Bär

Die französische Aktivistin Valérie Murat wurde am Donnerstag aufgrund einer Veröffentlichung über Pestizid-Rückstände in Bordeaux-Weinen zu Schadensersatzzahlungen von über 125.000 Euro verurteilt. Das Umweltinstitut München kritisiert das Urteil als herben Rückschlag für die Meinungsfreiheit .

Anlass der Klage des Branchenverbands für Bordeaux-Weine („Conseil Interprofessionnel du Vin de Bordeaux“, kurz CIVB) und 26 weiterer Vertreter:innen der Weinbranche war eine Veröffentlichung der von Valérie Murat gegründeten Bürgerinitiative „Alerte aux toxiques!“ aus dem September letzten Jahres.

Darin wurden die Ergebnisse einer Untersuchung von zwanzig Weinen aus dem Bordelais auf Pestizid-Rückstände vorgestellt. Insgesamt konnten 28 verschiedene Wirkstoffe nachgewiesen werden, in den einzelnen Flaschen waren es zwischen vier und 15 Stoffe. Die Veröffentlichung von Murat kritisierte das HVE-Siegel („Haute Valeur Environmentale“), eine Kennzeichnung für vermeintlich besonders umweltfreundlichen Anbau, mit dem die getesteten Weine gekennzeichnet waren, als Greenwashing.

Dieses Siegel ist nicht nach europäischem Recht zertifiziert, sondern besagt lediglich, dass die Weingüter sich um „die Beziehung zwischen Weinberg und Umwelt“ kümmern. Konkrete Vorschriften für die Anbaupraktiken wie in der Bio-Landwirtschaft gibt es jedoch nicht. Obwohl geltende Grenzwerte für Tafeltrauben nicht überschritten werden, beweisen die Tests die Diskrepanz zwischen der Vermarktung der Weine als besonders umweltfreundlich und dem hohen Einsatz von umweltschädlichen Pestiziden in der Realität.

Das Gericht hält den Vorwurf der Kläger:innen der „kollektiven Verunglimpfung der Wein-Industrie von Bordeaux“ für berechtigt und verurteilte die ehrenamtliche Aktivistin zu Schadensersatzzahlungen von insgesamt 125.000 € an die Winzer:innen. Das Gericht begründet sein Urteil damit, dass in der Veröffentlichung von „Alerte aux toxiques“ eine Einordnung fehle, dass die gefundenen Pestizidrückstände unter den gesetzlichen Grenzwerten liegen. Tatsächlich war dies jedoch aus den mitveröffentlichten Laborberichten ersichtlich.

Die Urteilsbegründung liest sich wie eine Kampfansage an alle Menschen in Europa, die sich für eine Landwirtschaft ohne gefährliche Pestizide einsetzen“, so Veronika Feicht, Referentin für Agrarpolitik am Umweltinstitut München.

Valérie Murat hat die Öffentlichkeit darüber informiert, dass Pestizidrückstände in den untersuchten Bordeaux-Weinen zu finden sind. Diese Rückstände können auch dann gesundheitsschädlich sein, wenn sie unter den gesetzlichen Grenzwerten liegen. Das sieht man schon allein daran, dass viele Stoffe letztlich aufgrund neuer Beweise für ihre Schädlichkeit verboten werden. Es ist schockierend, dass sich das Gericht zum Handlanger des mächtigen Weinverbands macht, um diese unbequeme Wahrheit unter den Teppich zu kehren. Wir hoffen nun sehr, dass das Urteil in zweiter Instanz kassiert wird. Denn wenn das Urteil bestätigt werden sollte, hätte das eine fatale Signalwirkung. Umwelt- und Verbraucherinitiativen, aber auch kritische Journalist:innen müssten dann bei jeder Veröffentlichung befürchten, Opfer ähnlicher Klagen zu werden.

Valérie Murat muss nun 100.000 € Schadensersatz an den CIVB sowie 25.000 € an die übrigen Kläger:innen zahlen. Darüber hinaus ordnete das Gericht die Löschung der beanstandeten Veröffentlichung innerhalb von 15 Tagen von der Website von „Alerte aux toxiques“ sowie von Facebook und Twitter an. Andernfalls droht eine Strafe von 500 € für jeden weiteren Tag, an dem die Dokumente öffentlich bleiben. Die Aktivistin hat angekündigt, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Dabei wird sie von einem breiten europaweiten Bündnis unterstützt: Am Tag vor der Urteilsverkündung solidarisierten sich fünf Abgeordnete des EU-Parlaments sowie 43 Organisationen, darunter Greenpeace, Buglife, das Corporate Europe Observatory, das Pesticide Action Network sowie das Umweltinstitut München mit der Aktivistin.

„Wir sind selbst Opfer einer ähnlichen Knebelklage, die in Fachkreisen als SLAPP (strategic lawsuit against public participation) bezeichnet werden, unser Agrarreferent Karl Bär steht in Bozen vor Gericht, weil er in einer Kampagne den hohen Pestizideinsatz in den Südtiroler Apfelplantagen kritisiert hat“, so das Umweltinstitut.

Dafür verklagten ihn der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler und über 1300 Obstbäuerinnen und Obstbauern wegen übler Nachrede.

Die SLAPP-Klagen gegen Valérie Murat und Karl Bär reihen sich ein in den auch in Europa immer häufiger angewendeten Versuch von Vertreter:innen aus Wirtschaft und Politik, Aktivistinnen und kritische Journalist:innen durch strategische Klagen psychologisch zu zermürben, finanziell zu ruinieren und in ihrer Arbeit zu behindern, so das Umweltinstitut.

Die EU-Kommission arbeitet aktuell auf Druck der Zivilgesellschaft an einer Machbarkeitsstudie zu einer EU-Richtlinie gegen den Justizmissbrauch durch SLAPPs. Derzeit läuft das Auswahlverfahren für eine Expertengruppe unter der Führung der Generaldirektion Justiz und Verbraucher.

Ob es eine solche Richtlinie geben wird, die von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht übersetzt werden müsste, entscheidet sich voraussichtlich im Herbst dieses Jahres.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (14)

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  • sigmundkripp

    Das ist ein bedenkliches Urteil! Seine Kernaussage lautet: Auch wenn Du Recht hast mit Deiner Aussage, dass chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel im Wein sind, darfst Du es nicht sagen, weil die gefundenen Mengen legal sind! Das wäre so, wie wenn man nicht sagen dürfte, dass Autoabgase schädlich sind, nur weil die Autos legal zugelassen sind! Das ist eine sehr, sehr gefährliche Entwicklung, gegen die – vor allem politisch – vorgegangen werden muss!

  • meinemeinung

    @sigmundkripp – Sie verwechseln hier Fisch mit Fleisch , es gibt Gesetze und Vorschriften und die werden eingehalten ,sollten dies Überschritten werden dann liegt ein Vergehen vor . So wie das hier praktiziert wird und an Vorschriften und Gesetze gehalten wird ,ist eine Deformierung dieser Vorschriften und Gesetze. Dann bräuchte man die nicht. In Ihrem Fall müsste man dann alle Autos verbieten. Information ist gut ,aber Ehrlich

    • sigmundkripp

      Die Beklagte hat ja nicht behauptet, dass die Weinbauern die Gesetze nicht einhalten! Nur, dass chem-synth. PSM drin sind, in legaler Menge. Und zum Beispiel Auto: auch dieses ist legal zugelassen, trotzdem können Sie gerne die Wirkung der Abgase ausprobieren, indem Sie sich z.B. an den Auspuff klemmen und tiiief einatmen. Kein Problem! 🙂

      • meinemeinung

        @sigmundkripp – in legaler Menge wurde nicht angegeben ,da macht die Sache zur Lüge . Jeder Volljährige (übrigens die Jungen auch) konsumieren Wein genauso ohne Sorgen ,wie sie die Abgase vom Auto ausbusten.
        nb.Anmerkung: den unteren Kommentar für Bernhart zur Selbsttötung sollten sie lösen .

  • treter

    Traurig aber wahr!
    Die Lobbyis beeinflussen sogar Gerichtsentscheide… das kanns nicht sein…
    Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden und zwar sofort!!!

  • bernhart

    Endlich mal ein Gericht ,welches diese selbsternannten Umweltapostel in die Schranken weißt, Hoffe dass diese falschen Personen auch in unserem Land zur Rechenschaft gezogen werden.
    Herr Kripp Autos sind schädlich sagen sie, Autos stoßen heute bessere Luft aus als sie einsaugen, das sollte auch sie mitbekommen haben.
    Wie sieht es dann mit den Tieren aus??
    Tiere sind keine Erfindung, es gab sie immer, denken sie mal nach, alles was nicht grün ist ,ist auch nicht schlecht.

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