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Geblockte Videos

Foto Netflix: 123RF.com

Streaming-Dienste, Live-Sport und TV-Mediatheken: Warum der grenzüberschreitende Zugang zu Online-Inhalten in weiter Ferne bleibt.

Tageszeitung: Herr Dorfmann, auf eine Parlamentarische Anfrage zum Geoblocking, die Sie mitunterzeichnet haben, antwortet die EU-Kommission zwar, dass sie sich für den grenzüberschreitenden Zugang zu Online-Inhalten ausspricht, allerdings scheint sie sich nur halbherzig dafür einzusetzen. Wie ist der Stand der Dinge?

Herbert Dorfmann: Um das Problem zu lösen, braucht es ein europäisches Copyright. Nur wenn das Urheberrecht europäisch gelöst ist, kann man die Inhalte europäisch verkaufen bzw. streamen. In der Überarbeitung der entsprechenden Richtlinien vor einigen Jahren hatte die EU-Kommission so ein europäisches Copyright zwar vorgeschlagen, aber dann liefen die Mitgliedsstaaten Sturm – allen voran die Deutschen, die ihre eigene Filmindustrie schützen wollen. Das ist ein Kampf gegen Windmühlen, wie wir ihn zehn Jahre gegen die Mobilfunkanbieter führten und wo sich am Ende zum Glück der Konsumentenwunsch durchgesetzt hat, indem man imstande war, die Mobilfunkbetreiber zu zwingen.

Und beim Streaming?

Dort haben die Staaten derzeit keine Lust, die Kulturindustrie und Sportverbände zu zwingen. Man will sie nicht antasten. Das akzeptiere ich nicht. Man muss auch einmal gegenüber UEFA, IOC und den heiligen Gral des Sports Courage zeigen. Was sich in der Vermarktung von Fußball-Übertragungen usw. abspielt, ist jenseits von Gut und Böse und jenseits von vernünftigem Konsumenteninteresse. Da setzte sich die EU-Kommission damals nicht durch und auch das Parlament war nur sehr halbherzig aktiv. Deshalb hat die Kommission keine Lust mehr, das Thema nochmal anzugehen und macht deshalb diese halbherzige Erklärung – wissend, dass es politisch nicht umsetzbar ist. Mich ärgert das sehr, denn Abermillionen Personen in Europa wohnen aus Studien- oder Arbeitsgründen nicht in ihrem Sprachraum. Ich finde es lächerlich, dass die EU Erasmus-Programme finanziert und als das Tollste der Welt bezeichnet, aber den Studenten verwehrt, dass sie am Studienort in ihrer Muttersprache streamen können.

Sie haben Sport-Übertragungen genannt. Dasselbe Problem gilt für Streaming-Dienste wie Netflix, Prime Video oder auch für die ganzen Mediatheken von ausländischen TV-Sendern…

Genau, das Problem ist überall dasselbe. Wobei die Streaming-Portale nicht ganz so hart sind. Aber mir fällt bei Netflix beim Pendeln zwischen Brüssel und Südtirol selbst auf, dass nicht alle Filme überall verfügbar sind – und vor allem nicht überall in allen Sprachen. Bei TV-Mediatheken ist das Problem massiv: Von Sport-Übertragungen erst gar nicht zu reden, aber auch beim restlichen Inhalt. Sogar bei Inhalten, die in der Hand der Staaten sind. Ein konkretes Beispiel ist der „Tatort“.

Inwiefern?

Der „Tatort“ wird vom öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen produziert. Warum kann ihn ARD also nicht europaweit streamen, wenn er schon nicht gekauft werden muss, sondern selbst produziert wird? Dazu sind die öffentlich-rechtlichen Sender nicht bereit. Noch krasser ist es bei Sportveranstaltungen. Da hat man sogar unserer Rundfunkanstalt RAS gedroht, die Richtfunkstrecke zu schließen. Ein bis zwei Fußballspiele wurden effektiv nicht übertragen: Die RAS hat selbst einen anderen Inhalt gesendet, weil die Drohung der Sportverbände zu brutal wurde.

Mit welcher Begründung sind der „Tatort“ oder andere Eigenproduktionen von öffentlich-rechtlichen Sendern im Ausland nicht über Internet verfügbar?

Das verstehe ich auch nicht ganz. Sie wollen einfach dieses Länderprinzip hochhalten und hoffen darauf, dass sie Eigenproduktionen weiterverkaufen können. Das ist nur möglich, wenn der Inhalt nicht frei verfügbar ist. Ein Beispiel, das mir selbst aufgefallen ist bei einer ARD-Serie, die ich auf Netflix geschaut habe: Als ich im Zug nach Brüssel über die deutsche Grenze kam, wurde sie regelrecht unterbrochen. ARD hatte die Serie nur für andere Staaten an den Streaming-Dienst weiterverkauft. Dieses Thema ärgert mich sehr. Ich verstehe schon, dass die Kulturindustrie auch Geld braucht, aber hier scheint die Geschäftemacherei weit über dem Konsumenteninteresse zu stehen. Gerade im Sport bestehen die Einnahmen fast ausschließlich aus TV-Rechten. Und dann werden Fußballer um hunderte Millionen Euro hin- und hergeschoben. Das kann alles nicht im Interesse der Konsumenten sein. Es ist nicht mehr normal, was sich da abspielt. Aber der Sport ist ein heiliger Gral, an den sich niemand herantraut. Der Druck der großen Sportverbände ist groß und man will dem nicht nachgeben. Wobei gerade Fußball inzwischen stark auf Bezahlfernsehen umgestellt wurde, wofür ein Abo abzuschließen ist. Allerdings weigern sich Sky oder andere oft, ein Abo zu verkaufen, das nicht für den Mitgliedsstaat vorgesehen ist.

Insgesamt sind beim Thema Geoblocking in den nächsten Jahren also keine großen Fortschritte zu erwarten?

Es gibt eine mehrheitliche Blockadehaltung der Mitgliedsstaaten. Solange die nicht aufgebrochen wird, wird die EU-Kommission das Thema leider nicht mehr anfassen. Für sprachliche Minderheiten wie für uns in Südtirol ist es ein wichtiges Thema, aber insgesamt ist es nur ein Randthema. Allerdings: Wenn sich Menschen überall in Europa aufhalten und sich immer mehr eine multikulturelle Gesellschaft entwickelt, sollte man doch dafür sorgen, dass Medien überall zugänglich sind.

Interview: Heinrich Schwarz

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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