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Annus horribilis

TAGESZEITUNG-Herausgeber Arnold Tribus über ein bewegtes und verstörendes Jahr 2020, veränderte Verkehrsformen und neue Begriffe.

Das Jahr 2020 war schon ein Scheiß-Jahr. Das sagte mir vor Tagen ein Kollege der Zunft, und Unrecht hat er ja nicht. Es wird als bewegtes und verstörendes Jahr in die Geschichte eingehen, das ist sicher. Mehr als bewegt, denn wir waren ja die Ruhe gewohnt, wo es nichts Aufregendes gab und wo vor allem nichts Beklagenswertes zu vermelden war.

2020 war ein „Annus horribilis“, wenn ich mich eines Ausdruckes bedienen darf, den Queen Elizabeth II. zur Bewertung des Jahres 1992 verwendete, als ihr Schloss in Winsor Castle brannte und viele Kunstwerke unwiederbringlich verlorengegangen waren, sich zwei ihrer Kinder trennten und die Ehekrise zwischen Diana und Kronprinz Charles öffentlich wurde.

Uns hat Corona getroffen, was aber nicht heißt, dass die vielen bewaffneten Konflikte wegen Corona aufgehört haben, nein, in vielen Staaten wüten Kriege, es wird gemordet und entführt, im Irak, in Libyen, im Jemen, in Pakistan, im Sudan, Somalia, Kongo etc. Und in den meisten dieser Staaten werden die Christen verfolgt. Das wird heute kaum erwähnt, während wir immer so bemüht sind, andere Religionen zu respektieren.

Es hatte ja recht ruhig begonnen, das Jahr 2020, die Wirtschaft blühte, Südtirol war reich und stolz wie eh und je, als wir im März von einem Virus heimgesucht wurden, das unser aller Leben veränderte und die Politik vor eine schwere Herausforderung stellte. Kein Politiker Europas hatte ja eine Erfahrung im Umgang mit einer Pandemie, die nicht Tiere, sondern Menschen betraf.

Sehr schnell wurde Corona aber zum allumfassenden Thema, alle Medien sprachen nur noch über Corona, als tägliche Kriegsbulletins über Neuinfizierte und Tote.

Es ist schon erschreckend, wenn man heute die Zeitungen der letzten Monate durchblättert, selten eine Titelseite, die sich nicht mit Corona beschäftigt. Das Volk wollte auf dem Laufenden sein, es wollte informiert werden.

Der Sarner Virologe Bernd Gänsbacher sprach fast täglich im Landesfunk, er setzte im Sommer kurz aus, als das Virus abklang, um dann bei der zweiten Welle wieder täglich im Einsatz zu sein. So gierig schien das Volk nach medizinischer Aufklärung zu sein.

Nichts hat uns also im Annus horribilis 2020 so in Atem gehalten wie das Coronavirus. Die ganze Welt und mit ihr unser Land sind seit Monaten im Ausnahmezustand und die Pandemie sorgt immer noch für Meldungen im Minutentakt. Es war ein Jahr zwischen Bangen und Hoffen.

Am Anfang war es nur ein unbekanntes Virus in China. Doch dann kam alles ganz anders. Was im Januar noch eine beunruhigende Meldung war, wuchs sich innerhalb von Wochen zur weltweiten Krise aus. In großer Geschwindigkeit verbreitete sich der Erreger über den ganzen Erdball. Das Virus wurde zur Bedrohung und zum Dauerthema.

Im Laufe des Jahres infizierten sich Millionen von Menschen weltweit, Hunderttausende starben, 72.000 in Italien, 700 in Südtirol. Aber es gibt immer noch Leute, die alle Maßnahmen als maßlos übertrieben finden, es würden ja viel mehr Menschen an der Grippe sterben und kein Schwein rege sich auf.

Das sind die, die hinter Corona eine ganz garstige Verschwörung von blutrünstigen Kapitalisten und Juden sehen. Reiche Amerikaner, die Kinder töten und dann das Blut trinken, weil das ewige Jugend verspricht. Und auch die nun endlich möglichen Impfungen werden als kapitalistisches Manöver von Bill Gates verschrien, der sich am Elend der Menschen bereichert.

Wichtigste Maßnahme, um die weitere Ausbreitung des Virus zu stoppen, war der Lockdown, ein Wort, das wir neu gelernt haben. Schulen und Kitas machten dicht, eine Normalisierung ist nicht in Sicht. Betriebe schickten ihre Mitarbeiter ins Homeoffice. Die meisten Läden machten zu, Gasthäuser, Bars, Hotels, auch Friseure, Massagesalons, Tattoostudios schlossen. In Deutschland und Österreich auch die Bordelle.

Im Namen von Schutz und Sicherheit sollte jeder körperliche Kontakt vermieden werden, Küssen verboten, auf den bei uns üblichen Händedruck sollte man verzichten, Ellbogen statt Küsschen, Namaste oder Hand aufs Herz.

Man muss Abstand halten, sich pausenlos waschen und desinfizieren, und der Mund- und Nasenschutz, am Anfang noch unnütz, weil es keine Masken gab, ist jetzt obligatorisch. So haben sich die Verkehrsformen verändert. Man weicht sich aus, man bunkert sich ein, man bleibt zu Hause. Wir haben auf Freiheit verzichten müssen. Auf Bewegungsmöglichkeiten, auf Reisen.

„Hier spricht der Zivilschutz. Verlassen Sie Ihre Wohnung nicht“, schallte es antrisch aus einem Lautsprecher auf einem Auto, das den ganzen Tag durch die Stadt fuhr.

Der Lockdown führte zu Produktionsausfällen und ausbleibenden Einnahmen – ganze Branchen waren auf einmal betroffen. Die Gastronomie, die Tourismusbranche und die Kulturszene waren die großen Verlierer der Pandemie. Geschlossene Theater, Kinos, Museen und Galerien, abgesagte Konzerte machten die Kulturszene plötzlich arbeitslos.

Gestrichene Reisen ließen Flieger auf dem Boden bleiben, Reiseunternehmen fürchteten die Pleite. Restaurants, Kneipen, Clubs und Cafés mussten ebenfalls für Wochen dicht machen.

Der Ruf nach Vater Staat wurde laut, das Land soll Ausgleichszahlungen leisten, forderten alle Corona-Gebeutelten. Nie war das verabscheute Prinzip Gießkanne so begehrt wie 2020. Die Bürger als Kinder vertrauen in die Weisheit der Regierenden. Ade liberale Vorstellungswelt.

Die Krise kreierte Begriffe, die plötzlich in aller Munde waren: Lockdown, Quarantäne, Risikogebiet, Ausgangssperre, AHA-Regel, Homeoffice, Kontaktbeschränkung, systemrelevant, Warn-App.

Die Regierung ohne Geld schnürte Rettungspakete in Milliardenhöhe, Menschen klatschten für Krankenpfleger und Ärzte, und Wissenschaftler vollbrachten Erstaunliches. Sie schafften in Rekordzeit einen Corona-Impfstoff. Der lässt uns hoffnungsvoller in das Jahr 2021 gehen.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (11)

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  • andreas

    „Der Ruf nach Vater Staat wurde laut, das Land soll Ausgleichszahlungen leisten, forderten alle Corona-Gebeutelten. Nie war das verabscheute Prinzip Gießkanne so begehrt wie 2020. Die Bürger als Kinder vertrauen in die Weisheit der Regierenden. Ade liberale Vorstellungswelt.“

    Hat die Tageszeitung die Subventionen eigentlich zurückgegeben oder hat sich Tribus auch von den liberalen Vorstellungen und freier Presse verabschiedet?

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