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„Er ist gut im Kopf“

Heribert Mayr mit Jannik Sinner

Der Brunecker Tennislehrer Heribert Mayr war der erste Coach von Jannik Sinner. Im Interview erzählt er, wie aus dem „Biabl aus Sexten“ ein Weltklasse-Tennisspieler geworden ist.

TAGESZEITUNG Online: Herr Mayr, Sie haben Jannik Sinner bis zu seinem 13. Lebensjahr trainiert. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie einen Rohdiamanten coachen?

Heribert Mayr: Jannik ist mit acht Jahren zu uns ins Tenniscenter nach Bruneck gekommen. Ich kann mich noch erinnern, dass mich Andrea Spizzica angerufen hat. Er sagte, er hätte da ein Biabl aus Sexten, ich solle ihn mir mal anschauen. Ich habe mir das Biabl in St. Georgen angeschaut. Da habe ich schon gesehen, dass er koordinatorisch und motorisch perfekt ist, technisch etwas weniger (lacht).

Und dann?

Wir haben dann ein paar Dinge geändert. Er hat die Sachen, die man ihm erklärt hat, sofort umgesetzt. Und er war im Kopf gut …

Das heißt?

Er war bei der Sache, er war wissenshungrig, hat die Sachen, die man ihm erklärt hat, aufgesogen wie ein Schwamm. Das ist bei Kindern in dem Alter eine Seltenheit, gewöhnlich sind Kinder in diesem Alter viel verspielter.

Sie haben also bald gemerkt, dass Sie da ein Ausnahmetalent betreuen?

Sagen wir es so: Ich habe gemerkt, dass bei ihm viel mehr da ist wie bei anderen Talenten. Ich war mir, als Jannik 12 oder 13 war, sicher, dass er es bis unter die besten 200 oder 300 Spieler der Welt schaffen könnte. Aber dass er so schnell so weit kommt, das hätte ich nie gedacht.

Hat er das Zeug zur Nr. 1 im ATP-Zirkus?

Das ist eine sehr heikle Frage. Wie weit er nach vorne kommt, das hängt von vielen Faktoren ab. Da möchte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.

Welche Faktoren meinen Sie?

Entscheidend ist, dass er von Verletzungen verschont bleibt.

Beeindruckend ist die Körpersprache Sinners, seine Platzpräsenz, seine Abgebrühtheit, seine Coolness. Wie macht er das?

Das hat man, oder man hat es nicht. Diese Abgebrühtheit in diesem Alter kann man nicht erlernen. Man kann sie sich mit der Zeit aneignen. Aber Jannik hatte diese Abgebrühtheit schon mit 12 oder 13. Er hat keine Miene verzogen, er hat sein Spiel gemacht. Nur wenn er verloren hat, hat er Emotionen gezeigt (lacht).

Viele erinnert der Sextner an den jungen Boris Becker. Nicht nur wegen der roten Haare. Sie auch?

Ja, und Boris Becker hat ja selbst gesagt, dass er Parallelen zwischen ihm und Jannik sieht. Auch Becker war verbissen und schon in jungen Jahren im Kopf gut, sonst hätte er auch nicht mit 17 Wimbledon gewonnen.

Wo ist Sinner besser: Auf Sand oder auf dem Rasen?

Auf Hartplatz in der Halle. Meiner Meinung nach ist das sein Terrain, sein Belag.

Können Sie sich noch erinnern, welchem Weltstar Sinner als Tenniszögling nachgeeifert?

Ich weiß es nicht mehr. Ich kann mich nur erinnern, dass er viel von Andreas Seppi gesprochen hat. Ich kann mir aber vorstellen, dass er Roger Federer nachgeeifert hat.

Jannik war ja auch ein begnadeter Skifahrer und ein Top-Fußballer. Warum hat er sich für den Tennissport entschieden.

Darüber kann ich nur mutmaßen. Er hat im Skisport alle VSS-Rennen gewonnen. Später, in den nächsthöheren Klassen, ist er nur mehr Siebter oder Achter geworden, also nicht mehr ganz vorne mitgefahren. Technisch war er gut, aber es hat ihm an Gewicht gefehlt. Er hat mit 12 nur 30 Kilo gewogen, die anderen schon 50. Auf den flachen Pisten hatte er mit diesem Körpergewicht keine Chance. Aus diesem Grund, glaube ich, hat er sich für den Tennissport entschieden.

Haben Sie ihn dazu überredet?

Nein. Er ist, als er 12 war, eines Tages zu mir gekommen und hat gesagt: „Du, Hebi, ich habe eine Entscheidung getroffen.“ Ich bin ganz erschrocken. Er sagte dann, er habe sich für das Tennis entschieden, er wolle nicht mehr Skifahren. Ich war baff …

Warum baff?

Weil er im Skisport immerhin Italienmeister war, im Tennissport hatte er noch nichts gewonnen. Aber es war, wie man sieht, die richtige Entscheidung

Wie ist Sinner zu seinem Coach Riccardo Piatti gekommen?

Das war so: Als er 13 war, habe ich ihn nach Gröden zum Challenger-Turnier mitgenommen. Ich habe zu Jannik gesagt: „Gehen wir Gröden ein bisschen Tennis schauen.“ Meine Absicht war, Jannik dem Trainer von Andreas Seppi, Max Sartori, vorzustellen. Der war in Gröden. Ich habe zu Sartori, den ich gut kenne, gesagt: „Du, Max, schau dir diesen Buben bitte mal an.“ Er hat ihn sich angesehen und gemeint, man solle mit Jannik mal nach Bordighera fahren, damit er mal bei Riccardo Piatti vorspielen kann.

Und dann?

Nichts, dann sind einige Wochen, vergangen. Nach einem Monat hat sich Max Sartori gemeldet und gesagt, wir könnten am Wochenende nach Bordighera kommen. Piatti möchte ihn sehen.

Was sagte Piatti?

Er sagte, Jannik sei gut, aber solche Talente habe er mehrere. Piatti hat also den Ball sehr flachgehalten. Nach der Schule ist Jannik dann zu ihm gegangen. Und die Dinge haben ihren Lauf genommen …

Piatti hat ehemalige italienische ATP-Spieler wie Furlan oder Camporese trainiert, er hat auch mit Novak Djokovic gearbeitet. Ist Piatti das wahre Erfolgsgeheimnis?

Ja, Piatti ist einer der besten Trainer überhaupt.

Welche sind die Stärken Sinners? Woran muss er noch arbeiten?

Er ist kopfmäßig sehr stark. Arbeiten muss er noch an den Stoppbällen, sein Volley-Spiel ist noch ausbaufähig wie auch der Aufschlag. Es ist also noch viel Luft nach oben.

Wie kann man sich das Leben des Jannik Sinner vorstellen? Lebt er wie in einem Kloster?

Ich bin der Meinung: Wenn du eine Einzelsportart machst, dann bist du immer ein Einzelgänger. Da kannst du nicht den geselligen Typen herauskehren, der sagt: „Heute gehe ich aus und wir lassen die Sau raus!“ Das geht natürlich nicht! Sinner hat einen ganz normalen Arbeitstag von 08.00 Uhr früh bis am Abend. Dieser Arbeitstag besteht aus Training, aus Videoanalysen usw. Natürlich heißt es dann auch, abends zeitig zu Bett zu gehen.

Sinner hat bereits über eine Million Euro an Prämien kassiert. Besteht die Gefahr, dass er die Bodenhaftung verliert?

Das glaube ich nicht. So wie ich den Jannik einschätze, wird das nicht passieren.

Wird der Höhenflug des Jannik Sinner zu einem Boom des Tennissports in Südtirol führen?

Auf alle Fälle! Die Erfolge haben jetzt schon im Pustertal einen Boom ausgelöst. Es kommen mehr Kinder zum Tennis. Auch die Eltern, die  jahrelang nicht mehr gespielt haben, fangen wieder an …

Das ist doch gut …

Ja, aber wir bräuchten auch entsprechende Strukturen. Hier in Bruneck haben wir eine Halle mit zwei Plätzen, das ist zu wenig, denn wir Tennislehrer brauchen zwei Plätze, die Mitglieder kommen im Winter nicht zum Spielen.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihrem ehemaligen Schüler?

Ja, wir schreiben uns. Und wenn er da ist, treffen wir uns auch.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie Ihren Zögling im Fernsehen sehen?

Ich fiebere mit, der Puls schnellt hoch. Wenn er einen einfachen Ball verschlägt, dann ärgere ich mich: „Madonna, muaß des sein!“ Aber der Jannik ist eben auch nur ein Mensch. Auch Nadal hat hat einige leichte Bälle verschlagen.

Interview: Artur Oberhofer

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