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„Lassen uns nicht mundtot machen“

Alexander Schiebel und Karl Bär

Als massiven Angriff auf die Meinungsfreiheit kritisieren das Umweltinstitut München und der österreichische Buchautor Alexander Schiebel die gegen sie anstehenden Strafgerichtsprozesse in Südtirol.

Weil sie den massiven Pestizideinsatz in Südtirol öffentlich kritisiert hatten, erstattete der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler im Jahr 2017 Strafanzeige wegen übler Nachrede zum Schaden der Südtiroler Landwirtschaft.

Mehr als 1300 LandwirtInnen aus Südtirol schlossen sich der Anzeige an.

Die Staatsanwaltschaft am Landesgericht Bozen hat deshalb gegen Karl Bär, den Agrarexperten des Umweltinstituts, und gegen Alexander Schiebel („Das Wunder von Mals“) Anklage wegen übler Nachrede erhoben.

Dabei, so betonten Bär und Schiebel am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Bozen, gehöre der überdurchschnittlich hohe Pestizideinsatz in Europas größter zusammenhängender Apfelanbauregion zum Alltag. Bis zu 20 Mal pro Saison würden Apfelplantagen in Südtirol gespritzt.

Karl Bär, Referent für Agrar- und Handelspolitik im Umweltinstitut München:

„Wie sich zeigt, hat Südtirol nicht nur ein Pestizidproblem, sondern auch ein Demokratieproblem. Die Anzeigen und Klagen gegen uns entbehren jeder sachlichen Grundlage und haben nur ein Ziel: KritikerInnen des gesundheits- und umweltschädlichen Pestizideinsatzes sollen in Südtirol zum Schweigen gebracht werden. Der Prozess reiht sich ein in eine lange Reihe von haltlosen Klagen gegen AktivistInnen und PublizistInnen in Italien und in ganz Europa. Immer häufiger versuchen Unternehmen oder PolitikerInnen, auf diese Weise kritische Personen in ihrer Arbeit zu behindern und einzuschüchtern.”

Anlass der Klage gegen Karl Bär ist die provokative Kampagne „Pestizidtirol“ des Umweltinstituts im Sommer 2017.

In deren Rahmen platzierte die Umweltorganisation ein Plakat in München, das eine Tourismus-Marketing-Kampagne für Südtirol ironisch verfremdete. Zusammen mit einer eigenen Website hatte die Kampagne zum Ziel, auf den hohen Pestizideinsatz in der beliebten Urlaubsregion aufmerksam zu machen.

Der Vorwurf der üblen Nachrede im Fall Schiebel bezieht sich auf eine Textpassage in seinem Buch „Das Wunder von Mals“, in der der Autor den Pestizideinsatz in Südtirol und das Verhalten der dortigen Obstbauern anprangert.

Den Betroffenen drohen bei einer Niederlage nicht nur eine Haft- und Geldstrafe, sondern auch mögliche Schadensersatzforderungen von der Landesregierung und den Nebenklägern und damit der finanzielle Ruin, so hieß es auf der PK in Bozen.

Nicola Canestrini, Rechtsanwalt von Bär und Schiebel:

„Die Wahrheit zu sagen ist und bleibt nach italienischem Recht kein Verbrechen. Sie ist ein grundlegender Bestandteil der Demokratie und eine der mächtigsten Waffen gegen Machtmissbrauch. Es ist ein Alarmsignal für die Rechtsstaatlichkeit, dass man wegen der Ausübung eines so wichtigen Grundrechts angeklagt wird. Wir werden in Bozen stellvertretend für alle UmweltaktivistInnen und JournalistInnen kämpfen, die im öffentlichen Interesse Missstände aufdecken. Und wir werden im Prozess beweisen, dass in Südtirol im Übermaß Pestizide ausgebracht werden und dass diese für Menschen, Tiere und die Umwelt gefährlich sind.“

Die Bozener Staatsanwaltschaft ersuchte während ihren zweijährigen Ermittlungen auch die Oberstaatsanwaltschaft in München um Rechtshilfe. Diese verweigerte jedoch die Zusammenarbeit – mit Verweis auf die deutsche Rechtslage und das in Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit. Trotzdem erhob die Staatsanwaltschaft Bozen Anklage.

Neben Bär und Schiebel drohen auch dem Vorstand des Umweltinstituts sowie dem oekom verlag als Verleger Schiebels Strafprozesse.

Alexander Schiebel, Buchautor:

„Arnold Schuler missbraucht seine politische Position und macht sich zum Handlanger der mächtigen Südtiroler Obstlobby. Der Landesrat und die konventionellen Apfelbauern wollen den übermäßigen Einsatz von Pestiziden in den Monokulturen Südtirols und deren Folgen für Natur und Mensch unter den Teppich kehren. Menschen, die sich in der Region gegen die massive Verwendung chemisch-synthetischer Pestizide wehren, werden attackiert. Inzwischen herrscht bei vielen von ihnen ein Klima der Angst. Doch wir werden uns nicht mundtot machen lassen, im Gegenteil.“

Auf der PK hieß es: In Südtirol würden laut italienischem Statistikamt ISTAT sechs mal mehr Pestizide verkauft als im landesweiten Durchschnitt (Daten aus dem Jahr 2018).

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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