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Der Fledermaus-Experte

Christian Drescher, Biologe und Fledermaus-Experte aus Burgstall, über die mutmaßliche Entstehung von Corona und die Frage, ob die heimischen Fledermausarten das Virus übertragen können.

TAGESZEITUNG Online: Herr Drescher, das Corona-Virus soll über einen Zwischenwirt auf indirektem Weg von einer Fledermaus auf den Menschen übergesprungen sein. Was ist da dran?

Christian Drescher: Lassen Sie mich vorausschicken, dass ich kein Virologe bin. Andererseits habe ich eine große Ahnung von Fledermäusen, weil ich mich seit über 20 Jahren damit beschäftige. Die These, dass das Corona-Virus die Mensch-Tier-Schranke auf einem Wildtiermarkt im chinesischen Wuhan übersprungen hat, kann stimmen, ist jedoch nicht eindeutig bewiesen. Man hat das SARS-CoV-2 und seine Genetik untersucht. Dabei hat man ein sehr ähnliches Virus bei einer gewissen Fledermausart, der Javanischen Hufeisennase, und bei einem Schuppentier gefunden. Deshalb wird angenommen, dass das Schuppentier der Zwischenträger war. 

Weisen denn Fledermäuse besondere biologische Merkmale auf, die sie als Virenträger geeigneter als andere Tiere machen?

Fledermäuse leben eng in Gruppen eng zusammen. Und für alle Lebewesen, die auf engstem Raum koexistieren, ist das Risiko von Krankheitserregern angesteckt zu werden, erhöht. Das hat zur Folge, dass diese Lebewesen ein gut ausgeprägtes Immunsymstem haben, das mit vielen Krankheitserregern zurecht kommt. Das gilt aber nicht nur für Fledermäuse, sondern auch für andere Herdentiere. Diese Tiere können daher auch viele Krankheitserreger beherbergen, ohne selbst zu erkranken. Das heißt aber nicht, dass diese Krankheitserreger automatisch auf den Menschen überspringen. Diese Übergänge von einer Art auf die andere kommen zwar vor, passieren jedoch selten.

Allerdings hieß es beispielsweise auch bei Ebola, dass das Virus von einer Fledermaus ausging …

Ja, das stimmt. Dieser Verdacht war da. Man muss dabei bedenken, dass die Fledermäuse die größte und artenreichste Gruppe bei den Säugetieren bilden und ihre Verbreitung groß ist. 

Die gängige Meinung ist aber, dass Fledermäuse vom Aussterben bedroht sind …

In Europa schon. In anderen Teilen der Welt wie etwa in den Tropen ist das nicht der Fall. 

Kann eine Übertragung durch den Verzehr von Fledermäusen erfolgen?

Nein. Die Ansteckungsgefahr besteht bei der Verarbeitung: Wenn ein Tier geschlachtet wird, dann fließt Blut und es kann zu einer Infektion kommen. 

Kann eine europäische Fledermausart das Corona-Virus übertragen?

Das SARS-COV-2 wird von Mensch zu Mensch übertragen. Von den Fledermäusen geht keine aktuelle Gefahr aus. Die Menschen sind daher gut beraten, ihre Energien auf die Verhütung von Ansteckungen von anderen Menschen zu verwenden. Auch das Istituto Superiore per la Protezione e la Ricerca Ambientale – ISPRA – hat in einem Beitrag darauf hingewiesen, dass von Fledermauskolonien in Italien und Europa laut den bisherigen Studien kein Risiko für die Übertragung des SARS-CoV-2 ausgeht. 

Können andere Viren übertragen werden?

Bei einem Wildtier kann man diese Gefahr nie komplett ausschließen. Jedes Wildtier, das in die Enge getrieben wird, kratzt und beißt und kann dadurch Krankheitserreger übertragen. 

Sind Sicherheitsvorkehrungen zu treffen?

Es gilt das, was für alle Wildtiere gilt: Man sollte sich nicht von einer Fledermaus kratzen oder beißen lassen und immer Handschuhe tragen, wenn man sie anfasst. Für den Durchschnittsmenschen in Europa besteht hier grundsätzlich keine Gefahr, da er Fledermäusen ohnehin nicht nahe genug kommt.  

Wurden Sie selbst schon einmal von einer Fledermaus gebissen?

Ja, zwei Mal. Das kommt bei Fledermauskundlern hin und wieder vor. Wer sich berufsmäßig mit ihnen beschäftigt, ist daher auch gegen Tollwut geimpft.  

Wie sollte man sich verhalten, wenn eine Fledermaus versehentlich ins Wohnzimmer fliegt?

Man sollte das Fenster öffnen und warten, bis sie wieder von alleine hinausfliegt. Wenn dies nicht der Fall ist, so sollte man sich Handschuhe überziehen, sie vorsichtig nehmen und ins Freie bringen. 

Wofür sind Fledermäuse eigentlich gut?

Sie fressen Insekten und Nachtfalter und tragen damit zur Regulierung des Ökosystems bei. 

Fürchten Sie nach Corona Auswirkungen auf den Schutzstatus von Fledermäusen?

Die Menschen machen sich berechtigterweise Sorgen um ihre Sicherheit und die Diskussion ist verständlicherweise da. Ich hoffe jedoch, dass es nicht so weit kommt und dass die Entscheidungsträger wohlüberlegt und fachlich fundiert vorgehen. 

Interview: Karin Gamper

Zur Person

Christian Drescher ist Biologe und ein Fachmann für Fledermäuse, mit denen er sich seit über 20 Jahren beschäftigt. Gemeinsam mit weiteren Biologen ist er Teil einer losen Verbindung von Interessierten, die sich hierzulande dem Schutz dieser Tierart verschrieben hat. 

In Südtirol sind 26 Fledermausarten nachgewiesen. Sie sind vom Jagdgesetz des Landes sowie auf EU-Ebene besonders geschützt.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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