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„Kein Patient ist gestorben“

Der Generaldirektor im Sanitätsbetrieb, Florian Zerzer, sieht keinen Sprachen-Notstand im Gesundheitsbereich: „Besser ein einsprachiger Arzt als gar keiner.“

TAGESZEITUNG Online: Herr Zerzer, was halten Sie vom Leichen-Plakat der Süd-Tiroler Freiheit?

Florian Zerzer: Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich mich zu den Plakaten nicht äußern möchte.

Dann die Frage andersrum: Hat der Sanitätsbetrieb Südtirol ein Sprachenproblem?

Nein! Es gibt die Notwendigkeit bzw. das Recht der Bürger auf den Gebrauch der Muttersprache, daher ist es im Gesundheitsbereich besonders wichtig, zweisprachiges Personal zu haben. Dies wird aber aufgrund des Fachkräftemangels zunehmend schwieriger.

Was tun also?

Ich bin grundsätzlich glücklich darüber, dass wir die Möglichkeiten haben, Menschen ähnlich dem Schweizer Modell anzustellen. Diese Mitarbeiter müssen in maximal fünf Jahren ihr Sprachzertifikat erbringen. Wenn sie das nicht tun, können sie nicht länger angestellt werden. Wir sind aber natürlich weiterhin bemüht, die Behandlung aller Patienten in ihrer Muttersprache zu garantieren. Im Zweifelsfall aber, würde ich sagen, ist es wichtiger, einen einsprachigen Arzt zu haben als gar keinen.

Sie haben vom Schweizer Modell gesprochen: In der Schweiz müssen die Ärzte den Sprachnachweis innerhalb von nur zwei Jahren erbringen …

Das ist richtig, aber in der Schweiz ist kein Zertifikat vorgesehen, sondern es wird geprüft bzw. festgestellt, dass ein Arzt die Sprache so weit beherrscht, dass er sich angemessen verständigen kann. Bei uns hingegen müssen die Ärzte entweder einen Zweisprachigkeitsnachweis vorlegen oder ein Attestat eines Sprachinstitutes.

Ist in Südtirol schon einmal ein Patient gestorben, weil ein Arzt die Sprache des Patienten nicht beherrscht hat?

Mir persönlich sind keine Komplikationen in der Patientenbetreuung bekannt, die auf mangelnde Sprachkompetenzen zurückzuführen sind. Die Realität ist die, dass über 95  Prozent der Mitarbeiter im Sanitätsbetrieb geprüft zweisprachig sind. Die Ärzte in den Abteilungen oder in den Ambulatorien sind außerdem nicht allein, sondern sie haben ihre Teams, mit deren Hilfe die zweite Sprache garantiert wird. Natürlich würde auch ich mir immer und jederzeit ein Vieraugengespräch in meiner Muttersprache wünschen, aber das ist nicht in allen Bereichen und nicht zu jeder Zeit möglich. Diesem Umstand versuchen wir mit der Teambildung entgegenzuwirken.

Das heißt: Wenn ein Arzt nicht Deutsch kann, wird ein Pfleger übersetzen?

Ja, im Zweifel werden andere Mitarbeiter des Teams, welche zweisprachig sind, hinzugezogen, die übersetzen. Ich denke da beispielsweise an die Notaufnahme: Wenn in der Nacht ein Arzt im Dienst ist, der nicht zweisprachig ist, dann ist immer ein Pfleger oder ein Pflegehelfer mit von der Partie, die im Notfall aushelfen können. Sie müssen außerdem bedenken, dass wir nicht nur deutsch- und italienischsprachige Patienten haben, sondern auch Patienten aus vielen Ländern, die oft weder deutsch noch italienisch können …

In diesen Fällen …

In diesen Fällen haben wir Mediatoren, die im Bedarfsfall zwecks telefonischer Assistenz angerufen werden können.

Sie sagen also, dass es im Sanitätsbetrieb gar kein Sprachenproblem gibt?

In den Beschwerden, die wir bekommen, spielt die Sprache fast keine Rolle. Ich habe das eigens überprüfen lassen. Die Beschwerden der Bürger in Bezug auf die Sprache bewegen sich im ein- bis zweiprozentigen Bereich. Und bei diesen Beschwerden geht es in den meisten Fällen nicht um Arzt-Patienten-Gespräche, sondern um Befunde oder Arztbriefe, die nicht in der Muttersprache ausgestellt wurden.

Also ist der Gebrauch der Muttersprache im Sanitätsbereich bzw. die mangelnde Sprachkompetenz einiger Ärzte kein vordringliches Problem der Südtiroler?

Absolut nicht! Es wurde ein Problem vordergründig künstlich aufgebauscht. Leider Gottes hat man damit die Leute verunsichert …

Die Leute sind verunsichert?

Natürlich! Wenn vis à vis vom Haupteingang des Spitals ein Plakat mit einer Leiche hängt, dann verunsichert das die Menschen.

Wie reagieren die Mitarbeiter im Betrieb auf die Plakate?

Größtenteils mit Kopfschütteln, sie finden, dass die Polemik übertrieben ist.

Herr Generaldirektor, warum schwingt bei Sanitätsthemen in Südtirol stets die ethnische Komponente mit?

Ich glaube nicht, dass immer die ethnische Komponente mitschwingt. Auslöser des Ganzen war ja der Umstand, dass die Ärztekammer einen deutschen Arzt aus der Kammer ausgeschlossen hat …

… der Fall des Labor-Primars Thomas Müller.

Das war für mich völlig unverständlich. Damit ist das Thema erst aufgekommen und befeuert worden. Die Botschaft dieses Ausschlusses war: Es ist völlig wurscht, ob ein Arzt Deutsch kann oder nicht, was zählt ist ausschließlich, dass er Italienisch kann

Damit wurde die Botschaft ausgesandt …

… dass Deutsch im Südtiroler Sanitätswesen keine Amtssprache ist.

Sehen Sie vor dem Hintergrund dieser Polemiken Handlungsbedarf?

Ich habe die Zweisprachigkeit immer als Mehrwert und nicht als Limit angesehen. Wir versuchen bereits jetzt, das Fachpersonal so gut wie nur möglich beim Erlernen der Sprache zu unterstützen, indem wir Kurse veranstalten und finanzieren. Gleichwohl muss man sagen, dass es für einen Arzt oder auch für einen Krankenpfleger nicht einfach ist, neben Beruf und Familie noch eine neue Sprache zu erlernen.

Interview: Artur Oberhofer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (47)

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  • andreas

    Oberhofer kann es nicht, jeder Praktikant bekommt ein aufschlußreicheres Interview hin.

  • asterix

    Der Herr Zerzer kann also das Recht auf die Muttersprache außer Kraft setzen. Er kann also ein Grundrecht der vielgepriesenen Autonomie einfach so ignorieren. Kein Wunder dass Rom das auch tut. Und woher will er den wissen das noch kein Patient wegen mangelnder Sprachkompetenz gestorben ist? Hat er das nachgeprüft? Ich denke sicher nicht.

  • meintag

    Ich, Patient mit einer chronischen Krankheit, hatte in den letzten 15 Jahren „nur“ Ärzte die italienischer Sprache waren/sind. Des weiteren hatte ich dieses Jahr im KH Bozen 2 Visiten bei einem Facharzt. Auch dieser konnte kein Deutsch. Die anwesende Pflegerin war deutschsprachig hatte aber Probleme mit der Übersetzung, deshalb habe ich es vorgezogen gleich beim Italienischen zu bleiben. Erstgenannte Fachärzte sprechen Zwar italienisch, bei der letzten Fachärztin aber fehlte mir hinzu aber auch noch die die Qualität hinsichtlich ihrer Fachausbildung. Ausser dass Sie mir mehr Medikamente verschrieben hat, habe ich keine Besserung hinsichtlich meiner Erkrankung verspürt. Kann es sein dass man Italien auch bei der Erlangung bezüglich Facharzt weniger in der Ausbildung fordert?

  • artimar

    Es werden – das weiß sowohl der Landesland als auch Zerzer – ganz bewusst nicht nur grundlegende Bürger- und Patientenrechte verletzt (http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?p=52977), sondern auch die die Pflicht zur Zweisprachigkeit de facto aufgehoben.
    Denn bekanntermaßen haben nach EU-Judikatur mehrjährige Beschäftigte – auch ohne Mehrsprachigskeitsnachweis – das das Recht auf Fixanstellung.

  • nadine06

    Besser ein einsprachiger Arzt mit zweisprachiger Arzthelferin (funktioniert immer ) als ein zweisprachiger deutschsprachiger einheimischer Arzt , der den fragenden Patienten als reinen Deppen stehen läßt bzw . wie einen Lausbuben zusammenputzt und sich ohne Antwort und Gruß vertschüsst . ( Selbst erlebt .)

    • asterix

      @nadine06, erstens gibt es in der Sanität keine „Arzthelferin“ wie man sie von Zahnärzten kennt. Es gibt nur Krankenschwestern und Hilfspersonal. Beim Übersetzen übernehmen diese aber eine Verantwortung für die Richtigkeit derselben, was sie aber nicht wollen, da bei Fehlern wirklich Patienten sterben könnten. Und zweitens: was sagen sie wenn der Arzt sagt: parli in italiano con me. Io non devo parlare in tedesco, siamo in italia. Ist genau so passiert. Da schauen sie auch schön deppat aus der Wäsche.

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