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„Südtirol hat ein Wohlstandsproblem“

Gerade in Zeiten des Klimawandels sei das Wegwerfen von wiederverwendbaren Gütern nicht mehr haltbar, meint der Entwicklungshelfer Peter Lanthaler. Jetzt startet er den zweiten Anlauf für den Aufbau einer Hilfsgüterzentrale in Südtirol.

von Heinrich Schwarz

Peter Lanthaler sagt es geradeheraus: „Südtirol hat seit einigen Jahren mit gebrauchten beweglichen Gütern ein Wohlstandsproblem.“ Der Passeirer, der seit Jahrzehnten Hilfsprojekte organisiert, fragt sich: „Wohin mit den gebrauchten Gütern? Ob aus öffentlichen oder privaten Einrichtungen – der Überfluss ist überall zu sehen. Gebrauchte Güter werden verschwendet.“

Peter Lanthaler weiß, wovon er spricht. Die von ihm gegründete Hilfsorganisation „Aktiv Hilfe für Kinder“ arbeitet seit über 20 Jahren. Sie beschäftigt sich mit dem Überfluss von gebrauchten beweglichen Gütern und bringt diese per Lkw nach Osteuropa. „Seither haben wir weit mehr als 100 Lkw voll Hilfsgüter eingesammelt und an die Armen dort verteilt. Die Arbeit wird von uns kostenlos verrichtet“, erklärt Lanthaler.

Seine Hilfsorganisation ist vorwiegend in Rumänien und Moldawien tätig. Der letzte Lkw ging in Zusammenarbeit mit einer Organisation aus der Schweiz in die Ukraine. Auch dort herrsche Armut.

„Wir bemerken“, so Peter Lanthaler, „dass der Überfluss in Südtirol immer größer wird. Besonders bei den Recyclinghöfen kann man das beobachten. Wir schätzen, dass zehn Prozent der Güter, die dort landen, wiederverwendet werden könnten und so Armut wesentlich verringert werden könnte.“

Dieser Umstand sei auch im Lichte eines weiteren Aspektes zu betrachten: „Heute kann man sagen, dass durch diese Güter-Verschwendung die Umwelt, also der Klimawandel, zusätzlich negativ beeinflusst wird“, betont Lanthaler und fügt hinzu: „Wir könnten uns etwa auf die Fahne schreiben ‚Schenken statt vernichten‘ und der nächsten Generation zeigen, dass es bessere Wege gibt als bisher.“

Angesichts des Überflusses fasste Peter Lanthaler schon vor einigen Jahren ein besonderes Projekt ins Auge. Er wollte mit Partnern im Jahr 2012 in Bozen Süd eine landesweite Sammelstelle für gebrauchte bewegliche Sachspenden aufbauen – eine Südtiroler Hilfsgüterzentrale. „Dieses Vorhaben scheiterte aber letztendlich an wichtigen Südtiroler Organisationen, wo der gute Wille nicht vorhanden war“, blickt der Passeirer zurück.

Er betont: „Dass bei Spenden nur mehr Bargeld zählt, finde ich falsch. Erstklassige Sachspenden müssen in Südtirol wieder mehr Wert erhalten. Es kann einfach nicht sein, dass wir zwar Geld für die Entsorgung von Gütern zur Verfügung stellen, aber bei der Wiederverwendung nicht, obwohl sogar eine Nachhaltigkeit aufzuweisen wäre.“

Derweil machte Peter Lanthaler mit „Aktiv Hilfe für Kinder“ alleine weiter. So wurde zuletzt – nach langer organisatorischer Vorarbeit – im Krankenhaus von Schlanders ein Schwimmbad für Therapiezwecke von einer Fachfirma abgebaut, das ansonsten vernichtet worden wäre. Der Abbau und der Transport in das Zwischenlager im Passeiertal kosteten rund 6.500 Euro. Die Abbaukosten hat zu 80 Prozent die Gemeinde Meran über das Sozialamt übernommen.

„Trotz seines Alters ist das Schwimmbad so wertvoll, dass wir es über das Projekt ‚Erstes Reha-Zentrum für schwerbehinderte Mädchen in Moldawien‘ dort einsetzen möchten“, so Peter Lanthaler. Bei diesem Projekt ist auch der Rotary Club Meran mit dabei.

Auch die Küche der ehemaligen Mensa der Caritas in Meran wurde abgebaut und soll ebenfalls in Moldawien für die Armen in Betrieb genommen werden.

Auch vonseiten des Landes hatte sich Lanthaler Unterstützung erhofft. „Bei der Anfrage um Unterstützung wurde uns mitgeteilt, dass derartige Projekte, wo gebrauchte Güter aus Südtirol eingesetzt werden, nicht so gewünscht wären wie wenn die Einrichtung vor Ort angekauft würde. Für mich als Fachlehrer für Köche mit über 32-jähriger Berufserfahrung ist das nicht nachvollziehbar. Da wir unzählige Küchen auf diese Art und Weise in den letzten 20 Jahren nach Rumänien und Moldawien gebracht haben, konnten wir sehr viele Kosten einsparen“, erklärt Peter Lanthaler.

„Früher“, so der Entwicklungshelfer, „hieß es beim Land: Wenn gebrauchte Sachspenden in Südtirol vorhanden sind, müssen diese aufgrund der Einsparungen zuerst zum Einsatz kommen, bevor man diese Güter im Ausland neu ankaufen muss. Wer erklärt unseren Kindern, warum das heute anders ist? Wie begründen wir den Umgang mit dem Überfluss dieser Güter? Ich glaube, das Vernichten tut uns auch menschlich gesehen nicht gut.“

Nun hofft Peter Lanthaler, dass die Klimaveränderung und die großen Einsparmöglichkeiten zum Nachdenken anregen – und dass das Thema Hilfsgüterzentrale wieder diskutiert wird. Lanthaler will einen neuen Anlauf für den Aufbau einer landesweiten Sammelstelle für Hilfsgüter starten.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (5)

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  • andreas

    Es hat 2 Seiten, wenn wir unseren „Müll“ an andere verschenken oder billig verkaufen.

    Ein Beispiel ist die Bekleidungsindustrie, wo z.B. die Caritas Altkleider sammelt und diese über Zwischenhändlern auf afrikanischen Märkten zum Kauf angeboten werden.
    Die Preise sind niedriger, als die der heimischen Bekleidungsindustrie, was mit sich bringt, dass diese schließen, Arbeitsplätze verloren gehen und so die Armut in afrikanischen Ländern gefördert wird.
    Dieses Vorgehen ist auch der Grund, warum viele Migranten mit T-Shirts von Adidas oder Nike rumlaufen, da sie diese Gebrauchtware auf den afrikanischen Märkten gekauft haben. Markenbewusst sind sie auch dort.

    Die Entwicklungshilfe der letzten 40-50 Jahre ist also grundsätzlich falsch, wir müssen den Afrikanern nicht unseren gebrauchten oder billigen Mist, wie die Abfälle bei Hühner- oder Schweineschlachtung verkaufen, sondern ihnen gestatten, hohe Einfuhrzölle einzuführen, damit sie sich selbst entwickeln können.

    Mit allem Verständnis für Herrn Lanthaler, ich sehe es aber auch so wie das Land, dass ein Ankauf in den jeweiligen Ländern für diese zielführender sind, als ihnen unser gebrauchtes Zeug zu schenken oder unter Marktpreis zu verkaufen.
    Wird ein Produkt im Land gekauft, schafft das Arbeitsplätze und reduziert die Abhängigkeit vom Ausland oder Spenden.
    Kurzfristig wäre eine alte Küche natürlich ein Segen für die Armen, mittel- und langfristig ist es genau der Fehler, welcher in Afrika in den letzten 50 Jahren gemacht wurde und so die Migration gefördert wurde.

    Dass wir zu viele Ressourcen verschwenden, ist ein anderes Thema.
    Hilfsgüter sind sinnvoll bei Unglücken wie Erdbeben oder Überschwemmungen, da kurzfristige Hilfe notwendig ist, doch gewiss nicht um in Ländern das tägliche Leben am Laufen zu halten, darum müssen sich die Einwohner selbst kümmern, sonst werden sie immer von anderen abhängig bleiben.

  • kritiker

    Warum der Diskussionsteilnehmer Andreas immer so angefeindet wird ist mir ein Rätsel, Er argumentiert meist nachvollziehbar und bringt Argumente, während andere außer Pöbeln meist nicht argumentieren!

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