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„Keine klare Diagnose“

Ein Fall von Keuchhusten sorgt für Diskussionen: Dagmar Regele, Primarin im Dienst für Hygiene und öffentliche Gesundheit, erklärt, warum auch geimpfte Kinder erkranken, warum die Dunkelziffer bei Keuchhusten hoch ist und wie man die Krankheit eindämmen kann.

Tageszeitung: Frau Regele, warum können auch geimpfte Kinder an Keuchhusten erkranken?

Dagmar Regele: Das kann vorkommen, ist aber eher selten. Die Impfung gegen Keuchhusten bietet keinen hundertprozentigen Schutz. Außerdem hält die Impfung normalerweise zwischen acht und zehn Jahre. Wir machen die Auffrischung grundsätzlich nach zehn Jahren. Es kann deshalb sein, dass der Schutz mit der Zeit nachlässt und nicht mehr voll gegeben ist.

Ist der Krankheitsverlauf bei Kindern, die geimpft sind, anders?

Das ist bei Infektionskrankheiten häufig der Fall. Wenn man die Krankheit trotz Impfung bekommt, dann hat sie meist einen schwächeren, abgemilderten Verlauf. Ich muss dazusagen, dass ich in der Praxis noch keine große Erfahrung mit Kindern habe, die trotz Impfung an Keuchhusten erkrankt sind. Aber es kann vorkommen.

Viele Fälle scheinen in der Statistik nicht auf. Warum ist die Dunkelziffer bei Keuchhusten besonders hoch?

Die Dunkelziffer ist hoch, weil eine klinische Diagnose oft nicht gestellt wird und weil die Laborproben nicht gemacht werden. Deshalb wissen wir auch nicht, wie viele Fälle es tatsächlich gibt. Viele Menschen gehen nicht zum Arzt, nur weil sie Husten haben. Und auch wenn sie zum Arzt gehen, heißt das noch lange nicht, dass tatsächlich Laborproben gemacht werden und Keuchhusten eindeutig diagnostiziert wird. Dabei hat Keuchhusten typische Symptome: Der Husten dauert vier bis sechs Wochen, die Hustenanfälle sind sehr stark und man hört das für diese Krankheut typische Keuchen, sobald Luft eingesaugt wird.

Warum wird nicht bei allen Verdachtsfällen sozusagen flächendeckend ein Abstrich gemacht, um die Krankheit eindeutig festzustellen? Es heißt, die Tests wären zu kostenintensiv…

Es fällt mir schwer, diese Frage zu beantworten. Auf diese Fragen können eher Hausärzte und Kinderärzte eine Antwort geben. Für Keuchhusten, aber auch für Durchfallerkrankungen, muss man Laborproben machen, wenn man den Erreger eindeutig feststellen möchte. Das wird häufig nicht gemacht.

Aber Eltern möchten oft Gewissheit haben, wenn es darum geht, welche Krankheit die Kinder haben. Und auch für Sie wäre es doch wichtig zu wissen, wie viele Fälle es tatsächlich gibt…

Um das Phänomen genau erfassen zu können, brauchen wir eine klare Diagnose. Aber wie gesagt: Hier hängt viel vom Gespräch zwischen dem Patient und dem zuständigen Arzt ab. Ich kann dazu keine Aussagen machen.

Die Antibiotikaprophylaxe wird von vielen Eltern abgelehnt. Warum sollte Sie trotzdem gemacht werden?

Es gibt allgemein gesprochen eine Resistenz dagegen, ein Antibiotikum zu verabreichen. Dass Eltern dies nicht gerne tun, ist klar. Außerdem sollte es tatsächlich nur bei Bedarf genommen werden. Hier muss man die Menschen besser informieren: Keuchhusten ist eine Krankheit, bei der man die Ausbreitung unterbinden sollte. Ohne Antibiotikaprophylaxe ist das leider nicht möglich.

Aber sobald die Antibiotikaprophylaxe verweigert wird, breitet sich die Krankheit doch immer weiter aus. Nicht?

Jeder einzelne trägt dazu bei, wie sich diese Phänomene entwickeln. Wenn man sich an die Prophylaxe hält, kann man dazu beitragen, dass kleine Kinder oder Personen, die besonders anfällig sind, besser geschützt werden.

Gemeinhin glauben viele, dass es Keuchhusten gar nicht mehr gibt. Dem ist aber nicht so…

Keuchhusten oder Mumps sind Krankheiten, die oft über einen längeren Zeitraum nicht mehr auftreten. Aber sie sind nicht ausgerottet. Pocken hingegen gelten als ausgerottet. Stark eingedämmt ist mittlerweile auch Polio, Europa gilt als frei von Kinderlähmung. Masern und Röteln kann man ausrotten, wenn alle mitarbeiten. Aber davon sind wir in Wirklichkeit noch weit entfernt. Tatsächlich ist es auch bei Keuchhusten so, dass alle paar Jahre diese Krankheit wieder zirkuliert.

Interview: Silke Hinterwaldner

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