Verlorenes Talent

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Immer mehr junge Südtiroler entscheiden sich, ihr Studium im Ausland zu absolvieren – und bleiben dort. Woran das liegt.
von Nadia Tinkhauser
Der sogenannte „Brain-Drain“, die Abwanderung von Talenten, hat sich in den letzten Jahren in Südtirol spürbar verstärkt. Dies wurde auch durch eine Studie der Arbeitsmarktbeobachtungsstelle Südtirols im vergangenen Dezember bestätigt, die die berufliche Situation von Maturaabsolventen der Jahre 2005 bis 2012 zehn Jahre nach ihrem Abschluss analysierte. Dabei stellte sich heraus, dass 16 Prozent der Maturanten Südtirol verlassen haben. Ein erheblicher Anteil dieser Abwanderer sind Studierende, die nach Abschluss ihres Studiums im Ausland bleiben.
Jannis Kager Kofler, Vorsitzender der Südtiroler HochschülerInnenschaft Innsbruck (SH Innsbruck), kennt diese Problematik aus erster Hand. „Aus persönlichen Gesprächen weiß ich, dass immer mehr Studierende planen, nach ihrem Abschluss im Ausland zu bleiben und eine Rückkehr nach Südtirol ausschließen – besonders jene, die aus wirtschaftlich schwächeren Regionen stammen. Der Brain-Drain ist meiner Meinung nach nicht nur ein Gefühl, sondern ein reales Problem“, so Kager Kofler.
Die Gründe für diese Abwanderung liegen für ihn auf der Hand. „An erster Stelle stehen die hohen Mietpreise, besonders im Raum Bozen, wo Zimmer für junge Akademiker kaum erschwinglich sind. Auch die begrenzte Verfügbarkeit von Wohnraum bedeutet oft eine langwierige Suche nach einer Unterkunft, die schließlich meistens leider nur zu einer teuren Wohnung führt. Zudem bieten Südtirol und Italien insgesamt wenig attraktive Arbeitsmöglichkeiten. Die Gehälter für Berufseinsteiger sind deutlich niedriger als im Ausland“, erklärt Kager Kofler. Auch in Bezug auf Karrierechancen sieht er Südtirol im Nachteil: „Südtirol kann sich nicht mit internationalen Metropolen wie Wien oder München messen. Für viele junge Menschen bietet das Ausland eine verlockende Möglichkeit, ihre berufliche Laufbahn in einem internationalen Umfeld mit besseren Aufstiegschancen zu beginnen.“
Neben den wirtschaftlichen Aspekten nennt Kager Kofler auch das begrenzte Angebot an Jugendkultur, das Verlernen der Zweitsprache während des Auslandsaufenthalts und die schlechteren Beschäftigungsmöglichkeiten für Fachkräfte wie Lehrer, Techniker oder Ärzte als Gründe für die Abwanderung. Er kritisiert auch die Schwierigkeiten bei der Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse in Italien, die unsicheren Aussichten auf eine berufliche Selbstständigkeit sowie die fehlende Förderung von modernen Arbeitsmodellen.
Diese Faktoren treiben viele junge Südtiroler dazu, ihren Wohnort ins Ausland zu verlegen und dort zu arbeiten. Die Folgen für Südtirol sind laut Kager Kofler gravierend: „Es fehlt qualifiziertes Personal in systemrelevanten Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Verwaltung. Die Arbeitslast verteilt sich auf weniger Personen, was letztlich die Qualität der Dienstleistungen beeinträchtigt.“ In Anbetracht der bevorstehenden Pensionierungswelle sieht er den Brain-Drain als eine besonders große Herausforderung. „Die geburtenstarken Jahrgänge verabschieden sich nach und nach in den Ruhestand und hinterlassen leere Arbeitsplätze, die mangels qualifizierter Nachfolger nicht besetzt werden können. Immer mehr Menschen beziehen Rente, während immer weniger einzahlen – diese Rechnung wird irgendwann nicht mehr aufgehen“, warnt der sh-Vorsitzende.
Doch wo Hürden bestehen, sieht er auch Chancen: „Wir müssen den Südtiroler Arbeitsmarkt neu überdenken und anpassen. Es bedarf neuer, innovativer Konzepte, um junge Menschen nach Südtirol zurückzuholen“, fordert er. Südtirol habe im Vergleich zu anderen Teilen Italiens den Vorteil einer hohen Lebensqualität. „Im Rahmen der Bemühungen, die Abwanderung zu stoppen, sollten wir versuchen, auch andere Bereiche zu verbessern, die sowohl den zugewanderten Fachkräften als auch der lokalen Bevölkerung zugutekommen: Förderung des Kulturangebots, eine verbesserte Gesundheitsversorgung, die Erhöhung von Löhnen und ein kostengünstigeres Wohnungsangebot“, schlägt Kager Kofler vor.
Im Austausch mit Politikern und Entscheidungsträgern arbeitet die SH kontinuierlich an der Entwicklung von Lösungen. So wurden beispielsweise an der Universität Innsbruck in diesem Studienjahr Zweisprachigkeitsvorbereitungskurse organisiert, um Studierende wieder in Kontakt mit der anderen Sprache zu bringen und ihnen die Prüfung zum Zweisprachigkeitsnachweis zu erleichtern – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zurück nach Südtirol. Zudem wurde in Zusammenarbeit mit der Universität Bozen das Job Speed-Dating ins Leben gerufen, um junge Arbeitssuchende besser mit potenziellen Südtiroler Arbeitgebern zu vernetzen.
Auf die Frage, wie dem Brain-Drain entgegengewirkt werden könnte, sieht Kager Kofler keine einfache Lösung. „Dieses Problem lässt sich nicht durch eine einzelne Maßnahme lösen. Es bedarf einer Vielzahl von Interventionen über einen längeren Zeitraum hinweg,“ erklärt er. Einen wichtigen Schritt sieht er in einem runden Tisch zwischen Politik, Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Studierendenvertretern, um das Problem und den aktuellen Stand der Abwanderung zu analysieren. „Südtiroler Unternehmen müssen zudem frühzeitig beginnen, Fachkräfte für sich zu gewinnen – idealerweise direkt an den Studienorten im Ausland, vor allem in Österreich, um sie durch Praktikumsplätze und andere Anreize bereits während des Studiums an sich zu binden“, schlägt Kager Kofler vor.
Auch die Gestaltung von Praktika sollte seiner Meinung nach überdacht werden: „Es wäre sinnvoll, eine Garantie für die Vergütung von Praktikanten einzuführen, mit mindestens monatlich 800 Euro für Universitätspraktikanten und 600 Euro für Oberschüler“, so Kager Kofler. Er betont zudem die Notwendigkeit, das Angebot an Wohnmöglichkeiten auszubauen. „Die Nutzung von Wohnraum in den umliegenden Gemeinden der Städte und eine allgemeine Förderung der Wohnsituationen im Umland, etwa durch eine Verbesserung der Verkehrsanbindung an die Orte mit Arbeitsmöglichkeiten, könnten dazu beitragen, günstige Wohnmöglichkeiten zu schaffen“, resümiert der sh-Vorsitzende.
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