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Die rote Linie

Quästor Paolo Sartori bietet nicht nur den Kleinkriminellen die Stirn, jetzt legt er sich auch noch mit den „Hells Angels“ an. Die TAGESZEITUNG hat in die Rocker-Szene hineingehört.

von Artur Oberhofer

Er hat sie im wahrsten Sinn bei ihrer Ehre gepackt. Er hat sie gedemütigt.

Quästor Paolo Sartori hat gegen acht Mitglieder der „Hells Angels“ und des „Booster Prospect Clubs“ ein Aufenthaltsverbot für Bozen von zwei bzw. vier Jahren ausgesprochen.

Das heißt im Klartext: Die stolzen und coolen Rocker müssen künftighin mit ihren knatternden Feuerstühlen einen großen Bogen um die Landeshauptstadt, um ihr Territorium machen.

So wie gegen die Kleinkriminellen und die Drogenbosse im Lande hat der neue Polizeichef nun auch gegenüber den „Hells Angels“ und deren Verbündeten aufgezeigt, wer der Herr im Haus ist und eine klare rote Linie gezogen.

Mit seiner Maßnahme hat der Quästor möglicherweise einen sich anbahnenden Rocker-Krieg im Keim erstickt.

Was ist konkret geschehen?

Am 30. März dieses Jahres haben die neun „Höllenengel“ und „Booster“, gegen die jetzt ermittelt wird, auf dem Messegelände in Bozen einen 45-jähriger Biker der „Born Bastards“ aus Trient, der mit seinem sechsjährigen Sohn unterwegs war, aus Südtirol „ausweisen“ wollen. Die neun Biker gaben dem „Bastard“ aus Trient zu verstehen, dass er sich – zumindest in seiner Kutte – in Südtirol nicht mehr blicken lassen sollte, ansonsten könnte die Sache schlimm für ihn enden.

Die „Hells Angels“ hatten doppeltes Pech: In Bozen regiert und agiert seit Wochen ein Polizeichef, der nicht lange fackelt und der partout keinen Bock darauf hat, dass in Südtirol ein neuer Rocker-Krieg ausbricht. Und zweitens: Beim Trentiner Biker handelt es sich um ein Mitglied der „Born Bastards“. Der Motorcycle Club der „Born Bastards“ wurde 2018 in Verona gegründet. In den Club werden nur Männer des Gesetzes, sprich: Angehörige der verschiedenen Sicherheitskorps – Polizei, Carabinieri, Finanzwache, Heer, Berufsfeuerwehr, Marine usw. – aufgenommen. Die „Born Bastards“ schreiben über sich selbst: Sie seien wohl Biker, aber in erster Linie Männer und Hüter des Gesetzes. Und im Unterschied zu anderen Motorradclubs, beanspruchen die „Born Bastards“ auch kein Territorium für sich.

LRin Ulli Mair mit Quästor Paolo Sartori

Bei dem Trentiner Biker sind die Südtiroler Höllenengel und ihre deutschen und österreichischen Brothers also an den Falschen geraten.

In der Regel machen Rocker sich Zwistigkeiten untereinander aus, Auge um Auge, Zahn um Zahn, weil sie die Exekutive meiden und fürchten wie der Teufel das Weihwasser.

Der 45-jährige Trentiner Biker, selbst ein Mann des Gesetzes, zeigte den Vorfall vom 30. April auf dem Bozner Messegelände bei seinen Polizei-Kollegen an.

In seiner Anzeige schilderte der „Bastard“, dass er sich – weil er seinen kleinen Sohn dabei hatte – auf keinen Streit mit den „Hells Angels“ und deren „Booster“-Freunden habe einlassen wollen. Und er berichtete, dass die „Hells Angels“ ihm an jenem März-Tag bis zur Autobahneinfahrt gefolgt seien, um sich zu vergewissern, dass er „ihr“ Territorium auch wirklich verlässt.

Die Anzeige des „Born Bastards“ aus Trient wegen privater Gewalt und schwerer Drohung landete auf dem Tisch von Polizeichef Paolo Sartori. Und der machte nun kurzen Prozess: Gegen acht Biker – fünf Biker aus Leifers, ein Biker aus Brixen und zwei Rocker aus Stuttgart – sprach der Quästor ein Aufenthaltsverbot für die Stadt Bozen aus. Einer der acht angezeigten Biker, der vorbestraft ist, darf sich für die Dauer von vier Jahren nicht mehr in der Landeshauptstadt blicken lassen, die anderen sieben Biker für die Dauer von zwei Jahren.

Gegen das neunte Mitglied der Biker-Gang, ein Österreicher, laufen die Ermittlungen noch.

Auch hat der Quästor die Waffenscheine von zwei Bikern eingezogen und insgesamt neun Waffen – Gewehre, halbautomatische Pistolen und Revolver – beschlagnahmen lassen.

Die armen Höllenengel sind jetzt – zumindest in ihrer Rocker-Wahrnehmung – nackt. Sie dürfen nicht mehr ihr Territorium betreten, und sie haben keine Knarren mehr.

Quästor Paolo Sartori hat den Bikern auch deswegen die Zähne gezeigt, weil die – für die Rockerbanden zuständige – Abteilung für Allgemeine Ermittlungen und Sondereinsätze der Polizei (Digos) in den vergangenen Monaten Hinweise gesammelt hat, die darauf hindeuten, dass sich die Rocker-Szene in Südtirol neu formiert.

Nach der Aufsehen erregenden Bluttat in der Gaulschlucht in Lana im Jahr 2003 – der „Hells Angel“ Hubert Wieser hatte den „Bandido“ Paul Weiss erschossen – beobachteten die Staatsschützer in der Biker-Szene zunächst eine Implosion.

Erst 2008 schafften es die Südtiroler Höllenengel erneut in die Schlagzeilen. Die Mitglieder des Bozner Höllenengel-Chapters um den Rodenecker Edwin Zippl, den Bozner Daniel Geppert und dem 2010 tödlich verunglückten Stefan Innerbichler wurden wegen Schutzgelderpressung, Entführung und Drogenhandels verurteilt. Erstmals in der italienischen Justizgeschichte hatte ein Richter, Carlo Busato, einen Chapter der „Hells Angels“ zur kriminellen Vereinigung erklärt. Dieses Urteil wurde 2015 vom Kassationsgerichtshof bestätigt.

Nach dieser Ermittlung wurde der Südtiroler Chapter der „Hells Angels“ geschlossen. Mehrere Südtiroler Höllenengel „wanderten aus“ und schlossen sich den Mailänder „Hells Angels“ an bzw. kehrten in die zivile Welt zurück.

Nichtsdestotrotz sind die „Hells Angels“ – bei denen der im Dezember 2017 aus der Haft entlassene Hubert Wieser wieder mitmischt – in der Südtiroler Biker-Szene nach wie vor die bestimmende Vereinigung. Zwar haben die Höllenengel hierzulande bei weitem nicht die Macht, den Szene-Status oder die kriminelle Energie und Stoßkraft ihrer deutschen, österreichischen oder Mailänder Biker-Kollegen. Aber in Südtirol muss jeder Motorradclub, der sich konstituiert, zuerst bei den „Hells Angels“ um Erlaubnis bitten.

Größere Clubs wie die „Red Lions“, die in erster Linie Biker sind und auch immer wieder Benefiz-Aktionen durchführen, werden von den „Hells Angels“ geduldet, auch weil sie zu den Events eingeladen und entsprechend hofiert werden. Kurzum: „Ohne den Segen der ,Hells Angels‘ tust du nichts“, sagt ein Insider. Das gilt auch für Südtiroler Motorradclubs, die ins Ausland fahren.

Wo immer man in Kutte auftritt, ob in München, Hannover oder Wien, zuerst müsse „man immer bei den ,Hells Angels‘ anklopfen“, so der Insider.

Mit den ehemals verfeindeten „Bandidos“ haben sich die Südtiroler Höllenengel arrangiert. Auch deswegen ist es nach der Entlassung von Hubert Wieser aus dem Gefängnis nicht zu den befürchteten Racheaktionen gekommen.

Die Südtiroler Höllenengel sind ganz eng mit den Stuttgarter „Hells Angels“ verbunden. Kenner der Szene behaupten sogar, die Stuttgarter seien die wahren Chefs in Südtirol.

Wie der harte Kern der Höllenengel jetzt auf die von Quästor Paolo Sartori verfügte „Ausweisung“ aus ihrem Territorium reagiert, bleibt abzuwarten.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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