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„Victims first“

Trotz der Polemik um den verstorbenen Propst Johann Huber will die Diözese weiterhin in Todesmitteilungen über vermeintliche Missbrauchsfälle berichten.

von Markus Rufin

Seit einigen Jahren legt die Diözese Bozen-Brixen in der Aufklärung von innerkirchlichen Missbrauchsfällen viel Transparenz an den Tag. Bereits 2010 wurde eine diözesane Ombudsstelle eingerichtet, an die sich Personen wenden können, die innerhalb der Kirche einen Missbrauch durch einen Kleriker erlitten haben.

Vor Kurzem stellte die Ombudsstelle, die von Maria Sparber geleitet wird, bei der Sitzung des Fachbeirats für den Schutz von Minderjährigen den Jahresbericht wieder vor. Insgesamt haben sich zwölf Menschen im vergangenen Jahr an die Ombudsstelle gewandt. In vier Fällen handelte es sich um bestätigte sexuelle Übergriffe, in zwei Fällen um bestätigte sexuelle Gewalterfahrungen. Alle Fälle liegen weit zurück, die beschuldigten Personen seien entweder nicht mehr aktiv oder bereits verstorben, sodass keine Maßnahmen von Seiten der Diözese ergriffen wurden, erklärt Gottfried Ugolini, Leiter des Dienstes für den Schutz von Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen.

Des Weiteren äußerten drei Personen einen Verdacht. Dieser werde aktuell von den zuständigen Verantwortlichen überprüft. Das heißt, in diesen Fällen liegt noch keine Bestätigung vor, die Diözese bemühe sich aber darum, den Hinweisen nachzugehen und den betroffenen, sofern nötig, schnell Hilfe zukommen zu lassen, unterstreicht Ugolini.

Zwei Personen suchten hingegen Information und Beratung. Eine Anfrage kam aus dem Ausland: sie betraf den außerkirchlichen Bereich.

Der Jahresbericht 2023 unterscheidet sich also nicht groß von jenen der letzten Jahre. Auch dort hieß es immer wieder, dass die bestätigen Fälle lange zurückliegen und dass man Verdachtsfälle überprüfe. Trotz der Einrichtung der Ombudsstelle wurde zumindest ein weiterer Missbrauchsfall öffentlich gemacht, allerdings nicht von der Diözese selbst, sondern von der TAGESZEITUNG. Der Fall Meehan erregte großes Aufsehen. Zur Erinnerung: Timothy Meehan, ein US-amerikanischer Priester, der in seiner Ausbildungszeit eine Beziehung mit einem ihm schutzbedürftigen Minderjährigen einging, wurde erst von seinen Aufgaben in Südtirol entbunden, als sein Name auf der Liste von Missbrauchstätern eines Ordens veröffentlicht wurde. Bereits als Meehan 2019 nach Südtirol kam, wusste Bischof Ivo Muser darüber Bescheid, da der Priester ihm selbst das mitteilte.

Der Fall, der die Diözese in Südtirol erneut in ein schlechtes Licht rückte, gab ihr offenbar den Anlass, die Missbrauchsaufklärung noch transparenter zu gestalten. So wurden in Zusammenarbeit mit den beiden Staatsanwaltschaften Leitlinien für das Vorgehen bei aktuellen oder früheren Missbrauchsfällen im kirchlichen Bereich erarbeitet. Außerdem beauftragte die Diözese eine Kanzlei aus München mit der Ausarbeitung einer Missbrauchsstudie.

Doch auch die Kommunikationsstrategie änderte die Diözese nach dem Fall Meehan. Getreu dem Motto „Victims First“ wurde beschlossen, dass die Bedürfnisse der Betroffenen von Missbrauchsfällen immer an die erste Stelle gerückt werden. Das bedeutet auch, dass bei Todesmitteilungen von Priestern mitgeteilt wird, wenn diese in Verbindung mit Missbrauch gebracht werden – selbst wenn diese nicht vollends bestätigt wurden.

Obwohl diese Linie bereits vor drei Jahren festgelegt wurde, kam sie erst vor kurzem erstmals zum Einsatz. In der Todesmitteilung des ehemaligen Propstes von Innichen, Johann Huber, wurde mitgeteilt, dass auch ihm Missbrauchsvorwürfe angelastet werden. Vor allem Angehörige und Weggefährten des Priesters zeigten sich von der Mitteilung schockiert, schließlich haben sie davon erst aus den Medien erfahren. Sie selbst betonen, dass von Missbrauchsvorfällen „nichts bekannt“ gewesen sei.

Trotz dieser Polemik hat der Fachbeirat nun beschlossen, dass man der Linie treu bleibe. Das heißt, man werde auch weiterhin bei Todesmitteilungen von Priestern über Missbrauchsvorwürfe berichten, solange es ausreichend verdacht darauf gebe. Eine kleine Reaktion löste die Debatte dann aber doch aus, wie Ugolini bestätigt: „Wir werden die Kommunikation mit Angehörigen, Betroffenen, Priestern und Pfarrgemeinden, in denen der Priester aktiv war, verstärken und ihnen eine Begleitung anbieten.“

Dass es zu Diskussionen bei solchen Informationen komme, sei ganz normal: „Das war jetzt das erste Mal, es wird aber immer Reaktionen und Kritiken geben. Es wird nie einen optimalen Zeitpunkt und eine optimale Formulierung geben. Direkt Betroffene müssen aber rechtzeitig erfahren, warum der Schritt gemacht wurde.“

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (10)

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  • opa1950

    Warum berichtet man erst bei Todesfällen über diese Schandtaten? Man sollte nicht üble Nachreden über Tode halten. Man sollte zu Lebzeiten über die Taten dieser unverschämten Diener der Kirche berichten.Aber dazu ist die Kirche in Südtirol ja zu feige.Hier wird alles zugedeckt bis zum Tode und dann erst wird angefangen zu diskutieren.

  • brutus

    …was kann man schon einer Kirche abgewinnen, bei der nicht alle Menschen gleich sind????
    …die ein eigenes Rechtssystem in einem Rechtsstaat aufrecht erhält!
    …bei der Klertiker über einen normalen Menschen (Frauen) gestellt werden!
    …finsterstes Mittelalter!

  • kritischerbeobachter

    Im Stol.it Podcast gibt es einen Artikel: „Martins Sonn(der)tag“ – Kommen Putin & Co. in die Hölle?
    Mich würde interessieren, wie weit es mit den Pädophilien nach unten geht?

  • pingoballino1955

    Katholische Kirche,ihr habt international überall abgewartet ,denn TOTE können nicht mehr sprechen,man wusste immer schon,die haben schwere Schuld auf sich geladen! Von EUCH KATHOLISCHER KIRCHE WURDE BEWUSST ALLES VERTUSCHT,so schlau seid ihr,dass ihr wisst,Tote Verbrecher in euren Reihen können nicht mehr sprechen,so lange habt ihr sie geschützt ihr SCHW…….

  • opa1950

    Die Kirche weis das Tode nicht mehr sprechen können, deshalb schiebt man die Schuld auf Sie, damit die Kirche unter Muser die jetzigen Machenschaften und Gegenseitigen Gefühle nicht ans Tageslicht kommen.Gel Bischof Muser.

  • sougeatsnet

    Kirche und Moral scheint ein Widerspruch zu sein.

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