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„Das sind keine Hänseleien“

Mehr als jeder sechste Jugendliche wird mindestens einmal im Leben Opfer von Mobbing oder Cybermobbing. Aber wie erkennen Eltern, dass ihr Kind gemobbt wird? Und was kann man dagegen tun?

von Lisi Lang

Sie werden von Mitschülern oder Gleichaltrigen beleidigt, ausgelacht, gedemütigt, ausgegrenzt, erniedrigt oder auch geschlagen: Mehr als jedes sechste Kind im Alter zwischen 11 und 15 Jahren war mindestens einmal im Leben Opfer von Mobbing oder Cybermobbing, bei den jüngeren Jugendlichen ist der Prozentsatz sogar noch höher. Das zeigt die 2022 durchgeführte Studie „Gesundheit und Gesundheitsverhalten von SchülerInnen“, der größten europäischen Kinder- und Jugendgesundheitsstudie, die in Kooperation mit dem Europabüro der WHO von einem Netzwerk von Wissenschaftlern durchgeführt wurde und in welcher über 90.000 italienische Jugendliche befragt wurden.

Mobbing steht also für viele Kinder und Jugendliche auf der Tagesordnung. „Mobbing und Cybermobbing können bei betroffenen Personen unmittelbare und langfristige negative Folgen haben. Es kann zu seelischen Wunden führen, welche ein Leben lang anhalten“, betont die Kinder- und Jugendanwältin Daniela Höller.

Dass Mobbing immer jüngere Kinder und Jugendliche betrifft, beobachtet auch die Jugendanwältin. „Das Alter der gemobbten Personen und der Mobber hat sich in den letzten Jahren ganz stark nach vorne verschoben und deswegen ist es wichtig, nicht nur in Mittel- und Oberschulen Sensibilisierungs- und Präventionsarbeit zu leisten, sondern bereits viel früher, in der Grundschule und auch im Kindergarten“, meint Daniela Höller.

Soweit zur Prävention. Aber wie bemerken Eltern, dass ihr Kind gemobbt wird? Und was können sie dagegen tun? „Wichtig ist, dass die Eltern Warnsignale wahrnehmen – sei es dass das Kind gemobbt wird, aber auch, wenn das eigene Kind unter Umständen Mobber sein könnte“, sagt Daniela Höller. Wenn sich das Kind immer weiter zurückzieht, nicht mehr in die Schule will, es zusammenzuckt, wenn das Handy klingelt oder es plötzlich gewisse Dinge nicht mehr unternehmen möchte, sollte man laut Höller hellhörig werden und Situationen auch offen ansprechen. „Wir sehen leider nach wie vor, dass gewisse Situationen von den Erwachsenen nicht wahrgenommen werden und dann spitzen sich diese Situationen zu“, so Daniela Höller.

Die erste Adresse bei Mobbing und Cybermobbing sollte laut der Kinder- und Jugendanwältin dann immer die Schule sein. „Es gibt bei Cybermobbing ein Staatsgesetz, dass die Schulführungskräfte entsprechende erzieherische Maßnahmen setzen, d.h. auch Disziplinarmaßnahmen verhängen müssen. Aber auch ein Mobbingvorfall ist immer ein Verstoß gegen die Schulordnung“, betont Daniela Höller.

Die Kinder- und Jugendanwältin weiß von ihrer Tätigkeit aber auch, dass die Schulen oft gar keine Kenntnis von den Vorfällen haben – auch weil die Hemmschwelle sich Hilfe zu suchen bei den Minderjährigen nach wie vor groß ist. „Die Minderjährigen haben oft Angst, den Vorfall zu melden oder zur Polizei zu gehen, weil sie befürchten, dass auch ihnen dann etwas passieren könnte“, sagt die Kinder- und Jugendanwältin. Und hier sei es wichtig durch Prävention diese Ängste abzubauen.

Auch sollten Eltern nicht davor zurückschrecken, die Behörden einzuschalten, wenn es sich um strafrechtlich relevante Vorfälle handelt. Denn auch wenn es in Italien aktuell noch kein Gesetz gibt, welches Mobbing als eigene Straftat einstuft, so sind Schläge, Körperverletzung, aber auch Drohungen und Sachbeschädigung Straftaten. „Es ist den Minderjährigen oft einfach zu wenig bewusst, dass viele Handlungen Straftaten sind“, sagt Daniela Höller, „wir erklären den Jugendlichen immer wieder, dass das kein straffreier Raum ist – das sind keine Hänseleien, es gibt durchaus strafrechtlich relevante Handlungen.“

Mobbingfälle sind aber auch oft komplex, erklärt die Kinder- und Jugendanwältin. Deswegen sei es oft auch nicht ganz einfach, darauf zu reagieren, beispielsweise weil ein Fall verschiedene Ebenen betrifft von einer rechtlichen bis hin zu einer psychologischen. „Im Hintergrund laufen oft ganz viele Sachen, psychologische Abklärungen oder andere Schritte, was die Schulführungskraft aus Datenschutzgründen aber nicht offen mitteilen kann – und auf der anderen Seite haben die Eltern des gemobbten Kindes das Gefühl, dass nichts gemacht wird, dass sie nicht ernst genommen werden“, so Daniela Höller.

Man könne in einem solchen Fall aber auch die Kinder- und Jugendanwaltschaft einschalten, die sich dann mit der Schule in Verbindung setzt, um nachzufragen, ob etwas und was gemacht wurde oder warum andere Schritte unterlassen wurden.

Die Jugendanwältin spricht sich aber entschieden dagegen aus, dass Eltern selbst aktiv werden und „sich die Mobber zur Brust nehmen“, wie man in Südtirol sagen würde. „Auf eine Gewaltsituation darf man nie mit Gewalt reagieren– schon gar nicht Erwachsene, die eine Vorbildfunktion innehaben“, betont Höller.

Die Jugendanwältin stellt gleichzeitig aber auch immer wieder fest, dass die Hilfsangebote vielfach nicht bekannt sind, Eltern nicht wissen, an wen sie sich wenden können oder viele Fälle von Erwachsenen auch einfach als „Hänseleien“ abgetan werden. Deswegen brauche es auch bei den Eltern noch Sensibilisierungsarbeit.

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