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„Der Schorsch“ ist 70

Georg Kaser: Das Leben ist ein Tschumpus, aber das Spiel geht weiter!

Nur eine Handvoll von Südtirols Theaterpionieren der 1970-er Jahre ist noch aktiv: Nach den weiterhin vitalen Peter Mitterrutzner oder Liz Marmsoler ist bald Schluss, haben sich doch allzu viele in den Ruhestand oder in andere Sphären verabschiedet. Umso erfreulicher ist die ungebrochene Dynamik von Georg Kaser, der genau zu Sylvester seinen 70. Geburtstag feiert. Eine Hommage von Hans Heiss.

Seit Gründung der Brixner „Kulisse“ mit Edi Braunhofer 1975 hat „der Schorsch“ sich und seine Theaterarbeit immer wieder neu erfunden, als Pionier, als Mentor, als start-up seiner selbst und eines oft wechselnden, im Kern aber konstanten Teams. Nach der „Kulisse“ gründete er 1980 gemeinsam mit anderen die „Gruppe Dekadenz“, Südtirols erstes Städtetheater, 1993 folgte „Theakos“, das seit 2016 den Tschumpus bespielt, das alte Bezirksgefängnis am Brixner Domplatz. Kaser ist ein wandlungsfähiger, oft exzellenter Schauspieler, seine besondere Stärke aber liegt in der Entdeckung von Orten und ihrer Nutzung als Theaterbühne.

Sein besonderes Raumgefühl hängt eng mit seiner Geburtsstadt Brixen zusammen: Hier wuchs er auf und erlernte in der Trattengasse bei Vater Sepp das Malerhandwerk, in einer Werkstatt, die durch Kunst- und Schriftenmalerei kreativen Freiraum bot und auch Bruder Peter anregte. Für einen vielseitig Begabten vom Schlage Schorschs war Brixen ab 1970 ein reizvolles Umfeld. Damals öffnete sich das enge Korsett der Bischofsstadt, neue Energie machte sich im Sport, der Jugend- und Musikszene Luft. Der Start der „Kulisse“ passte auch zum enthusiastischen, noch unprofessionellen Theaterfieber, das Südtirol um 1975 erfasste, mit ersten Freilichtspielen, Theater in Bruneck, den Marinis in Meran, dem Südtiroler Kulturzentrum. Für ein Land, das nach kulturellem Aufbruch dürstete, kam die expressive Kraft des Theaters wie gerufen.

Nach dem Kulisse-Auftakt bespielte Kaser 1980 mit der „Dekadenz“ um Franz Röggla, Inge und Sepp Kronbichler und Texter Alex Aichner erstmalig den Anreiterkeller in Stufels mit eigenem Kabarett. Hier fanden sie ein ideales Ambiente, intim, atmosphärisch dicht, mit Eigentümer Burkhard Stremitzer als großem Gönner. Am Keller bewies sich Kasers Talent als Handwerker, seine Fähigkeit, einen Raum zum Spielort zu adaptieren, mit geschickten Helfern und minimalem Geldaufwand. Seine Fähigkeiten als Organisator und Macher rieben sich immer wieder am Wunsch, stärker als Schauspieler zu reüssieren, das eigene Talent zu pflegen, statt sich organisatorisch reinhängen zu müssen.

Neben Kasers Charme und Motivationsfähigkeit explodierte mitunter auch sein Temperament, sodass es in den Teams ordentlich krachte und der Meister zu neuen Ufern aufbrach. Dass er die „Dekadenz“ 1992 verließ, war kein Anlass zur Entmutigung, sondern zu radikaler Veränderung. „Theakos“ wurde mit Sieglinde Michaeler und Walter Granuzzo im August 1993 gegründet und das Projekt, in Südtirol Theater ohne festes Haus zu realisieren, ging auf. „Hans von Po entdeckt Amerika“ war ein Dario-Fo-Stück, von Ludwig Paulmichl in Dialekt übertragen und unter Regie von Alberto Fortuzzi zum Leuchten gebracht. rückte Kaser als Schauspieler und Solist ins Zentrum, mit ausgedehnten Tourneen, zum Teil im Wanderwagen, die – finanziell riskant – große Erfolge brachten. Die Mischung aus Volksstücken mit großen Stoffen wie in „Keitl zruck vom Krieg“ oder Patrick Süskinds „Der Kontrabass“ kamen in Österreich, in Deutschland, sogar in Osteuropa gut an.

Nach den Free-Solo-Programmen meldeten sich Kaser und Theakos wieder in Brixen zurück: Zum 1100-Jahr-Jubiläum der Stadt 2001 schlug das Sommertheater „Pfeifer Huisele“ im Herrengarten voll ein, sodass auch in den nächsten Jahren Reprisen folgten. Zentral für „Theakos“ bleibt der Rückhalt der Familie: Ehefrau Annelies Kompatscher zieht bis heute die Fäden bei Kasse und Administration, Tochter Miriam beweist spielerische Ausdrucksstärke, Philipp hilft als Grafiker aus. Bei aller Begeisterung waren Theakos und Kaser ständig auf finanzieller Gratwanderung: Die Malerwerkstatt war längst geschlossen, ohne fixes Engagement galt es, findig zu sein und Einkunftsquellen zu erschließen. Bald brillierte Kaser auch als begnadeter Koch, der phänomenale Menus kreierte und mit „Silent Cooking“ eine eigene Kochshow bot. Ab 2010 folgten Inszenierungen, wieder an suggestiven Spielstätten wie der Franzensfeste, zudem Engagements bei den Vereinigten Bühnen Bozen. Für das Eisacktaler Volkstheater, den Männergesangverein Brixen und verschiedene Bühnen wechselte er auch auf den Regiestuhl.

Ein Glanzcoup war die Entdeckung des „Tschumpus“ in Brixen, direkt am Dom im Herzen der Stadt. Im aufgelassenen Bezirksgefängnis, das fürs Theater wie geschaffen war, zog „Theakos“ nach eingehenden Vorarbeiten ab 2016 ein Sommerprogramm auf. Eigenproduktionen unter Regie von Gabi Rothmüller, dann von Eva Kuen und Dietmar Gamper, waren mitreißende Fusionen von Theater, Slapstick, Choreografie, Musik. En passant trat er auch immer wieder in Filmen auf, zuletzt als alte Bäuerin in „Joe der Film“, in typischem, unwiderstehlichen Minimalismus. Und das neue „Vacche“ Magre“ von und mit Gianluca Jocolano ist ein Theater-Duett, in dem Kaser wie in „Faust“ mit Peter Schorn aufblüht.

Georg Kaser hat dem Theater Südtirols und seiner Öffentlichkeit unglaublich viel geschenkt: Als Schauspieler, Regisseur, Organisator, Mentor und mitreißender Impulsgeber. Mit unbändiger Kreativität, die Gartenarbeit, Koch- und Drechslerkünste ganz selbstverständlich mit einschließt. Mit Annelies und Team hat er Orte der Kreativität erschaffen, als Brückenbauer zwischen ernstem Fach, Kabarett und Volkstheater. Er hat Brixen ein wenig verzaubert und lebenswerter gemacht. Und ja: Ohne ihn und die „Dekadenz“ wäre ich vor knapp 40 Jahren wohl eher im Ausland geblieben. Auch dafür, lieber Georg, großen Dank und Auguroni: Das Leben ist ein Tschumpus, aber das Spiel geht weiter!

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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