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Chopins Herzblut

Rafal Blechacz im Pavillon de Fleur: Sein Stil ist durch seinen kraftvollen Tastendruck und die glasklare Artikulation der Tonleitern ein männlich heroischer: tief grundierte Bässe, Mittellage mit sonorer Bruststimme und im Diskant weich und warm. (Foto: Damian Pertoll)

Der polnische Pianist Rafal Blechacz präsentiert sich beim südtirol festival in Meran mit einem stilistisch vielseitigen Programm. Zum Abschluss jedoch erwärmte er mit der h-moll-Sonate von Chopin das Publikum mit der heroischen Klaviermusik Polens.

von Hubert Stuppner

Den Chopin-Wettbewerb von Warschau und die polnischen Preisträger umgibt ein besonderer Nimbus und eine reiche pianistische Mythologie: Das ausschließliche Repertoire ist das des Schöpfers des erhabensten Wohlklangs am Klavier, des Herolds polnischer nationaler Identität und Symbolfigur für eine übernationale Humanität von Kunst. Dank der Strahlkraft dieses unvergleichlichen Genies wurde Polen zu einem wahren Sakrarium für Interpreten und Exegeten der Chopin’schen „Heiligen Bücher“ zum höheren Klavierspiel.

Die ersten und wichtigsten stammen aus Polen. Allen voran Karol von Mikuli, der 4 Jahre lang Schüler von Chopin war, dann Mikulis Schüler, der Mazurken-Spezialist Raoul Koczalski, dann Moritz Rosenthal aus Lemberg, der die schnellste in der alten Welt gespielte „Terzen-Etüde“ aufgenommen hat, dann der Supervirtuose Leopold Godowski, der die Chopin’sche „Sturm-Etüde“ für die linke Hand allein gesetzt hat, weiters die beiden jüdischen Chopin-Spezialisten aus Podgorze (Krakau)), Józef Hofmann und Ignaz Friedman.

Friedmann, der sich nach der Machtergreifung der Nazis in Seis am Schlern niedergelassen hat (bis er nach den faschistischen Rassegesetzen auch von dort fliehen musste) und nach der Progrom-Nacht in mehreren europäischen Hauptstädten den ganzen Chopin an 7 Abenden gespielt hat.

Weiters Józef Hofmann, der in Amerika mit 10 Jahren 50 Klavierabende in 2 Monaten gab und ein halbes Jahrhundert lang das pianistische Idol der Amerikaner blieb. Ganz zu schweigen von Ignaz Paderewski, der mit seinem Chopin der Schwarm der Amerikanerinnen war und Traumhonorare einstrich. Der berühmteste Klavierlehrer nach Liszt, Theodor Leschetitzki, der mit Anton Rubinstein in St. Petersburg das Konservatorium gründete und damit den Grundstein für die triumphale russische Klavierschule legte – und nebenbei: öfters in Meran auf Kur war – war ebenfalls Pole, gebürtig aus Lemberg. Sein Qualitätskriterium für pianistische Talente war: erstens geborenes Wunderkind, zweitens jüdischer Abstammung und drittens osteuropäischer Herkunft.

Was Wunders, wenn auch die Preisträger des Chopin-Preises ein Hauch von pianistischem Übermenschentum umgibt: Pollini, Argerich, Zimerman. Der andere polnische Chopin-Preisträger Adam Harasiewitch hat mir erzählt, dass er vor dem Orchester-Finale 1955, in die Heiligkreuzkirche ging und vor dem Herzen Chopins, das dort als Reliquie aufbewahrt wird, zu beten. Und er wurde erhört und siegte, was freilich Michelangeli, der einer der 20 Juroren war, nicht daran hinderte, die Unterschrift unter das Wettbewerbsprotokoll zu verweigern, weil seiner Meinung nach Vladimir Aszkenazy der Sieg gebührt hätte.

Der Sieg des Polen Rafal Blechacz aus Bydgoszcz (das frühere Bromberg im Pommerland) , der 2005 den Wettbewerb gewann, war hingegen so souverän, dass die Distanz der anderen Teilnehmer mit der Nichtvergabe des zweiten Preises markiert wurde. Dennoch hat sich Blechacz nicht allein auf seinen Ruf als Chopin-Interpret verlassen.

Das hat sich keiner der berühmten Preisträger getraut: Pollini nicht, Argerich nicht und auch nicht Kristian Zimerman. Anders als in Wien, wo Pianisten sich fast ausschließlich mit der Interpretation der Wiener-Klassik abgeben, gilt bei Chopin-Preisträgern, die an Chopin geübte Virtuosität jedweder Klaviermusik angedeihen zu lassen.

Das erklärt vielleicht, warum sich in Meran der Chopin-gekrönte Blechacz mit einem stilistisch vielseitigen Programm präsentiert hat, anstatt das zahlreiche Publikum mit Chopin zu verwöhnen. Er begann mit einem mehr protestantisch strengen als katholisch sinnlichen Bach, spielte dann in der gleichen Tonart die ebenso strengen 32 Variationen in c-moll von Beethoven, bis er im zweiten Teil mit den jugendlichen Variationen in b-moll von Karol Szymanowski und der h-moll-Sonate von Chopin das Publikum mit der heroischen Klaviermusik Polens erwärmte.

Blechacz Stil ist durch seinen kraftvollen Tastendruck und die glasklare Artikulation der Tonleitern ein männlich heroischer, einer der durch die besonders resonante Akustik des Pavillon des Fleurs noch verstärkt wurde: tief grundierte Bässe, Mittellage mit sonorer Bruststimme und im Diskant weich und warm.

In dieser von Belle Èpoque angehauchten Akustik erlangten die Stücke eine eigenartig eloquente Semantik. Dies besonders in Beethovens 32 Variationen – an sich kein besonderes Meisterwerk -, da sich der Meister darin offensichtlich der nicht verwendeten Stoffreste der 2 Jahre zuvor komponierten „Waldstein-Sonate“ bediente.

Blechacz spielte sie, als wollte er Beethovens cholerisches Temperament der Extreme pianistisch deuten: Beethoven, geboren im Zeichen des Schützen, impulsiv, willensstark, visionär und äußerst gefühlsbetont: „naive und sentimentalische Dichtung“. Mit seinem beherzten Zugriff, der die Saiten und den Resonanzboden zum Schwingen brachte, führte er eindrucksvoll durch das Wechselbad der Gefühle eines musikalisch bipolaren Genies.

Zum Abschluss dann die h-moll-Sonate von Chopin, eine mit Zimerman und Pollini vergleichbare heroische Interpretation, musikalisch mit Chopins Herzblut gefüllt, aber ohne je mit Rubato und betont expressiven Flirts um die Gunst des Publikums zu buhlen. Das geschah erst mit den Zugaben, dem cis-moll-Walzer op.64/2 und dem 7. Prélude.

Herzlicher Applaus!

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