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Nobelpreisträgerin Alexijewitsch kommt

Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch: „Ich fragte mich mit besonderer Eindringlichkeit: Wer sind wir eigentlich, wir Menschen? Wozu geschieht das? Was vermag das Wort? Dein Wort?“ (Foto: Margarita Kabakova)

Am 25. und 26. August 2023 finden die zum 38. Mal die Literaturtage Lana statt und stellen nach einem Jahr Krieg im Schallerhof die Frage, welche Erzählungen und welche Sprachen des Widerstands wir gefunden haben. Eröffnet wird das Festival mit der Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch aus Belarus.

„Ungeheuer ist viel, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch,“ lässt Sophokles den Chor in der Tragödie der Antigone sprechen. Doch Antigone beugt sich dem Ungeheuerlichen nicht, das da wie ein letzter Grund gemeißelt scheint, der alles bewegt. Antigone wird sein Gesetz brechen und ihm die Stirn bieten, sie wird ihm nicht das letzte Wort lassen.

An dem sprichwörtlich gewordenen Vers aus Hölderlins Übersetzung ziehen die diesjährigen Literaturtage Lana ihre Fragen.

Ob wir ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine mittlerweile eine Erzählung für das Ungeheure gefunden haben und eine Sprache?

Ob wir Fragen haben, die aus der Lähmung führen, und Antworten, die den Unsicherheiten und Gefahren standhalten?

Ob wir dem Wahnsinn des Krieges den Sinn einer zivilen Gesellschaft entgegenzuhalten wissen? Und wie?

Die Fragen, die zu stellen sind, wollen wir genau stellen und das tun wir, indem wir uns der Literatur zuwenden.

Und wir lesen Swetlana Alexijewitsch, die große aufgeklärte Humanistin. 2015 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, hat sie ihr Lebenswerk den überlebenden Opfern von Krieg und Gewalt gewidmet. In unermüdlicher und mutiger Dokumentation, die der Autorin auch die härtesten körperlichen Anstrengungen abverlangt, lässt sie Überlebende, von Katastrophen Betroffene, Hinterbliebene und häufig Frauen zu Wort kommen und gibt ihnen eine Stimme, die das Trauma einer ganzen Gesellschaft spürbar macht. „Ich fragte mich mit besonderer Eindringlichkeit: Wer sind wir eigentlich, wir Menschen? Wozu geschieht das? Was vermag das Wort? Dein Wort?“ Die Frage, wer wir sind, und was das Wort vermag, lässt sie keine Minute ruhig sein. Von Lukaschenko in ihrer Heimat mundtot gemacht, weicht sie nicht davon ab. Sie will begreifen, wie viel Menschliches im Menschen steckt und wie man dieses Menschliche schützen kann.

Hat Alexijewitsch über die Form der Interviews zur literarischen Gattung des „dokumentarischen Romans der Stimmen“ gefunden, trotzt die Realität des Krieges und deren mediale Darstellung auch Marcel Beyer die Frage nach der Erzählform ab, die einer Wahrheit von Wirklichkeit gerecht werden könnte. „Ich will nichts erfinden. Ich will berichten, was ich gesehen ab. Und das heißt, auch von dem zu erzählen, was ich nicht sehe.“ An was der Einsatz von Nüchternheit und protokollarischem Schreiben, das literarische Verhältnis von Fiktion und Faktum rührt, legt Marcel Beyer in beeindruckender Selbstreflexion dar und spricht darüber mit Ernest Wichner.

Der Historiker Karl Schlögel

Wo historische Zusammenhänge und Gründe zu suchen sind und wie weit der gegenwärtige Krieg in die Geschichte der Sowjetunion und Russlands zurück geht, ob deren lange Hand verkannt, verdrängt oder verleugnet wurde, versucht der renommierte Historiker Karl Schlögel zu eruieren und der Sprach-, Rat- und oft Hoffnungslosigkeit einen Widerstand zu bieten durch hellsichtige Analyse nicht weniger als durch empathische Einsicht. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller, Übersetzer und Osteuropa-Experten Olaf Kühl geht der Vergangenheit ebenso wie den jüngsten Entwicklungen nach und zeigt, wie jede Erinnerungskultur nicht anders als an die Gegenwart gebunden sein kann.

Der Blick in die Vergangenheit des osteuropäischen 20. Jahrhundert führt auch zur großen polnischen Dichterin Wisława Szymborska, die in diesem Sommer 100 Jahr alt geworden wäre. Ihr widmen die Literaturtage Lana 2023 eine Hommage mit der Autorin der neu erschienenen Biografie von Marta Kijowska. Sie stellt, moderiert von Katrin Hillgruber, die verehrte Dichterin vor, die von sich schreibt: „Meine besonderen Kennzeichen: Begeisterung und Verzweiflung.“ Voller Eleganz und intellektuellem Scharfsinn verabschieden sich ihre Gedichte von allen Utopien, die in Zerstörung mündeten, und wenden sich in melancholischer Distanz und in Scheu vor großen Begrifflichkeiten den existenziellen Grunderfahrungen von Schmerz genauso zu wie dem Glück und vor allem der Liebe.

Mit Jakub Małeckis Romanen „Rost“ und „Saturnin“ tauchen wir ein in das gegenwärtige Polen und hinab in seine vom Krieg und Besatzung gezeichnete Geschichte. Ererbte und wiederkehrende Gewalt scheinen unausweichlich, ein nicht zu Frieden kommendes Land prägt seine Familien und Generationen. Aber es gibt auch den Widerstand und man ist geneigt, auch darin ein Erbe des Landes zu sehen, dessen Literatur die Skepsis gegen Ideologien bezeugt.

Für die Zukunft ihres Landes, in dem derzeit systematisches Töten stattfindet, tritt die ukrainische Essayistin und Übersetzerin Kateryna Mishchenko ein. Sie schreibt über ihr Heimatland, das als Hinterhof Europas bezeichnet wurde: „Heute gleicht dieser Hinterhof mehr und mehr einem Friedhof, auf dem der Krieg selbst als Totengräber fungiert.“ Wie auch Hoffnung und Vision darauf Platz haben und wie die Ukraine sich Putis Hass, der auf die Vernichtung von Leben und Zeit abzielt, widersetzt, darüber spricht sie mit Katharina Narbutovic.

 

PROGRAMM

 Freitag, 25. August, 20.00 Uhr

Eröffnung mit LR Philipp Achammer und Bürgermeister Dr. Harald Stauder, Elmar Locher, Präsident des Vereins der Bücherwürmer, und Christine Vescoli, Kuratorin der Literaturtage Lana 2023

Swetlana Alexijewitsch: Das „rote“ Imperium existiert nicht mehr, der „rote“ Mensch aber ist noch da. Lesung aus „Secondhand Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus“ und Gespräch; Moderation: Katharina Narbutovic

Samstag, 26. August

 11.00

Marta Kijowska: Nichts kommt zweimal vor. Wisława Szymborska. (Schöffling & Co. Verlag, 2023) Zum 100. Geburtstag der polnischen Dichterin. Lesung und Gespräch; Moderation: Katrin Hillgruber

12.30

Jakub Małecki: Rost (Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall, Secession Verlag, 2019) und Saturnin (Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall, Secession Verlag, 2022). Lesung und Gespräch,  Moderation: Christian Ruzicska

16.00

Kateryna Mishchenko: Aus dem Nebel des Krieges (Suhrkamp Verlag, 2023), Lesung und Gespräch; Moderation: Katharina Narbutovic

18.00

Karl Schlögel: Sprachlosigkeit in Zeiten des Krieges. Über die Ohnmacht der Rede. Vortrag und Gespräch; Moderation: Olaf Kühl

20.00

Marcel Beyer: Die tonlosen Stimmen beim Anblick der Toten auf den Straßen von Butscha (Wallstein Verlag, 2023) Lesung und Gespräch; Moderation: Ernest Wichner

 

 

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