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„Wie sollt die Welt sich sonst verbessern?“

Die Bewohner des Schlosswaldes dürsten nach Rache. (Fotos: Karlheinz Sollbauer)

Sind es Menschen, sind es Tiere?  Torsten Schilling inszeniert bei den Schlossfestspielen Dorf Tirol lebendig und vielfarbig Reineke Fuchs nach J. W. von Goethes gleichnamigem Epos.

 Der Bühne gehört der erste Auftritt.  Der Königspalast nebst Schlosswald ist aus Europaletten zusammengenagelt und geschraubt. Schaut nach einem Baumhaus oder einem abenteuerlichem Klettergarten aus, jedenfalls nach etwas, wo der Absturz immer nur einen halben Schritt entfernt liegt und es ein Kunststück ist, die Balance zu halten. In den Türmen der königlichen Macht und den engen Schlupfwinkeln der Untertanen nehmen die Kämpfe des Stücks bereits materielle Gestalt an. Kerstin Kahls Bühne unter dem Gemäuer von Schloss hält sich nicht vornehm zurück. Sie spielt mit, greift ein und eröffnet immer neue Wege.

Der zweite Auftritt gebührt den von der Traminer Puppenspielerin Eva Sotriffer  gefertigten Tiermasken (echte Hingucker) und den bis aufs letzte Knöpfchen präzisen  Kostümen von Sieglinde Michaeler / Walter Granuzzo. Mit Musik geizt Torsten Schilling ohnehin nie, eine dreiköpfige Band sorgt mit Klängen von Simon Gamper für den tragenden Groove und Sabrina Fraternali für choreographierte Tanzschritte.

Die ganze phantastische Theatermaschinerie schmeißt Schilling an, um J. W. von Goethes Epos Reineke Fuchs in einer von ihm selbst hergestellten Fassung auf die Bühne der Schlossfestspiele Dorf Tirol zu bringen. Die unterscheidet sich in einigen Punkte deutlich vom Original. Dachs Grimbart etwa ist gestrichen, an seiner statt gibt es Königin Lea, die für den Schurken Reineke Partei ergreift. Die entscheidende Änderung hat Schilling jedoch an der Hauptfigur selbst vorgenommen. Reineke ist kein Fuchs, sondern eine Füchsin, die sich „im ewig dumpfen Reigen der Herrn“ als Fuchs ausgibt und „er“ nur sich nannte, um im Schutz dieser Maske sein Tänzchen zu wagen.“

Der Bär (Horst Hermann) stattet Reineke Fuchs (Viktoria Obermarzoner) einen Besuch ab

Das Tänzchen hat es in sich. Ellenlang ist die Sündenliste von Reineke: Diebstahl, Vergewaltigung, Mord, Betrug hat er auf dem Kerbholz. Dem Wolf Isegrim hat er das Weib geschändet und dessen Manneskraft ins Lächerliche gezogen. So eine „Entehrung“ gehört gerächt. Dem Kater Hinze hat er ein Stück Wurst gefladert, den Hasen Lampe beim Kragen gepackt, dem Hahn Hennig „die beste aller eierlegenden Hennen“ gemeuchelt. Zu guter Letzt weigert sich der Ganove auch noch vor dem hohen Gericht von König Nobel zu erscheinen. Egal, wenn der König von seinen Höflingen aussendet, um Reineke seiner gerechten Strafe zuzuführen – alle werden sie von dem cleveren Fuchs übertölpelt. Braun, der Bär
lässt sich vom Versprechen auf Honig in die Falle locken und wird von den Bauern windelweich geklopft. Hinze, der Kater, lässt sich das Maul mit der Aussicht auf Mäuse wässrig machen und landet in der Schlinge des Pfaffen. Selbst König Nobel lässt sich mit dem Versprechen auf einen Schatz hinters Licht führen. Im Ringkampf mit Isegrim reißt er dem Wolf ein Auge aus, doch allen Schandtaten zum Trotz wird er am Schluss zum „Kanzler des Reiches“ ernannt. Verbrechen zahlt sich eben aus.

Sind es Menschen, sind es Tiere? Man kann bei der Geschichte nicht nicht an Missgunst, Korruption, Opportunismus, Heuchelei und Machtkämpfe im politischen Tagesgeschäft denken, doch selbstredend sind alle Ähnlichkeiten rein zufällig. Schilling bringt mit Reineke die Anarchie eines unbeugsamen Wesens auf die Bühne, das die versteinerten Strukturen zwischen Starken und Schwachen mit einer guten Portion Frechheit aus den Angeln hebt.

Phantastisch ist sein Ensemble. Allein die Männlichkeitsgebaren sind eine Show. Wie Hannes Holzer als König Nobel und Markus Fischer als Isegrim dauernd an ihrem Schweif, dem männlichsten aller Attribute, herumtändeln, ist in seiner lächerlichen Posenhaftigkeit eben die Art wie Männer sich als echte Männer zu erkennen geben. Mit Horst Herrmann
ist die ideale Besetzung für Braun den Bär gefunden: ein Kraftprotz, ein bisschen schwach auf der Platte, und auch noch stolz darauf. Sebastian von Malfèr ist als Lampe, der Hase, die personifizierte Küßdiehand-Höflichkeit, aber im Grund hat er nur Angst um seine Löffel. Max Kolodej spielt den Kater Hinze, der seinen Pelz wie die Kunst des Opportunismus trägt. Gewohnt souverän ist Patrizia Pfeifer als Königin Lea und Bellyn, das Schaf. Nadia Schwienbacher trägt als Erzählerin durch den Abend. Und dann natürlich Viktoria Obermarzoner als Reineke, der Fuchs, bzw. die Füchsin. Eine Tigerin im Fuchspelz ist sie, eine Diva der Abgebrühtheit, die die breitbeinige Männerwelt auf der Höhe ihrer stets ironisch grundierten Darstellungskunst locker um den Finger zu wickeln versteht: „Dem Blöden wird das Glück nicht zuteil, der Kühne besiegt die Gefahr“, sagt sie. „Ein füchs‘scher Rat sei mir noch vergönnet:
Es streben die Tiere nie danach, gleich den Menschen zu werden!“ Und Lea sekundiert: „Wie sollt die Welt sich sonst verbessern?“

Viel Detailarbeit steckt in dieser Inszenierung, viel Lust am Spiel, viel Mut zum Slapstick, viel Verve und Rhythmus, und ein klarer Zugriff. Viel Applaus vom Premierenpublikum. (Heinrich Schwazer)

Nächste Aufführungen vom 27. Juli bis 12. August jeweils um 21.00 Uhr

www.schlossfestspiele.events

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