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„Love, imagination, feeling, that matters“

Peter Pan – The Dark Side: Zwischen weiblichem Gefühlsüberschwang, jugendlichem Spieltrieb und dem männlichen Ordnungsprinzip der verwalteten und durchnormierten Welt. (Foto: Francesco Bondi)

Musik des pausenlos heftigen Ausdrucks, Dynamik der beständigen Erregtheit: Wolfgang Mitterers Oper „Peter Pan – The Dark Side“ begibt sich auf die Spuren klassischer Vorlagen des Expressionismus.

 Von Hubert Stuppner

Mit „Peter Pan – The Dark Side“ hat sich Wolfgang Mitterer in seiner von der Stiftung Haydn in Auftrag gegebenen einaktigen Oper auf die Spuren klassischer Vorlagen des Expressionismus begeben. Dazu fällt einem spontan Richard Strauss’ „Elektra“ ein, die Hofmannsthal’sche Deutung des antiken Stoffes von Sophokles. Mitterers Oper ist in etwa gleich lang und vom symphonischen Gestus her ähnlich emotional und heftig. Auch Schönbergs erste Oper „Erwartung“ könnte man erwähnen, ein Monodram, mehr noch, ein Psychodram, ohne eine Pause durchkomponiert, das Orchester extrem expressiv und auf den Höhepunkten explosiv: Musik des gesteigerten Ausdrucks. Diese expressionistische Qualität zeichnet auch Mitterers Monodram aus.

Auch ist die Handlung in diesem Opus, wie in Schönbergs „Erwartung“, eine innere, psychoanalytische. Dort eine junge Frau, die auf der Suche nach ihrem Geliebten verzweifelt durch den Wald irrt, alle seelischen Empfindungen zwischen Angst und Hoffnung durchlebend, bis sie den Gesuchten tot im Dickicht auffindet. Hier zwei junge Menschen, Peter und Wendy, die ebenfalls durch das Dickicht des Unbewussten irren und sich im sogenannten „Nimmerland“ wiederfinden. Laut Einführung soll David Pountney, der Autor des Librettos, die Geschichte von Peter Pan, die ursprünglich von einem Serienmörder handelt, ins dunkle Fach der Tiefenpsychologie verschoben haben, eine Operation, die naturgemäß dramaturgisch nicht viel hergibt. Erstens fehlt eine Handlung und zweitens tangiert die Geschichte eine heikle Grenz-Problematik, denn zwischen einem Helden, der als Borderline-Pesönlichkeit kriminell wird und einem Wachstumsdefizit, dem Jugendliche, vor allem wenn sie sensibel und instabil sind, ausgesetzt sind, liegen Welten, die zu beschreiben allemal bedenklich ist. Der Peter-Pan-Komplex ist ja ein Labilitäts-Syndrom, das in zahllosen kreativ begabten Künstlern erst richtig Phantasie und Schaffen zu Tage fördert.

So war es an diesem Abend nicht das Sujet, das die Premiere zu einem Erlebnis machte, nicht die Luftsprünge der Teenager im „Neverland“, nicht die Verführung Wendys durch Peter Pan und die ungute Erfahrung mit „Social Medias“ und „Fake News“, sondern die Musik. Musik des pausenlos heftigen Ausdrucks, Dynamik der beständigen Erregtheit, orchestrale Deklamation immer vorne an der Rampe eines raffiniert gehandhabten Instrumentariums. Gar nicht zu merken, dass da gar kein Strauss-Orchester mit vierfachem Holz und Blech alle Register zog, sondern nur das klein-symphonische Haydn-Orchester in glänzender Form. Die exzellenten englischen Stimmen waren akustisch verstärkt, doch das eigentliche Volumen, das Pathos, floss aus dem Orchester, aus einem Orchester mit „Bruststimme“, mit satt instrumentierten Mittellagen und gestützt von brachialem Schlagzeug, da und dort mit elektronischer Patina übermalt.

Die Botschaft, die, für jeden verständlich rüber kam, war also nicht die „Dark side“ von Peter Pan, sondern der Satz von Wendy: „Love, imagination, feeling, that matters“. Das was zählt, sind Phantasie und Liebe, ein Statement im Erlebnis-Dreieck der fundamentalen psychoanalytischen Instanzen von Es, Ich und Überich, oder der Konflikt-Dynamik zwischen weiblichem Gefühlsüberschwang, jugendlichem Spieltrieb und dem männlichen Ordnungsprinzip der verwalteten und durchnormierten Welt.

Regisseurin Daisy Evans bringt den wabernden Gefühlstumult der Protagonisten temporeich, poppig und mit deutlichen Anklängen an die Bildästhetik von Musicals auf die Bühne. Von der ersten Szene an sind sie Smartphone-Süchtige, die an ihren Handy-Displays kleben, dann stattet sie sie mit grellen Neonröhren aus, die sie wie Lichtschwerter aus der Star Wars-Saga kreuzen und sogar Ketchup-Blut kommt zum Einsatz. Loren Elstein hat die Bühne mit Sofas, Kisten, Durchgängen und Durchblicken als ein sehr bewegliches  szenisches Arrangement gestaltet, ihre Kostüme erinnern an Schuluniformen, Wendy trägt Netzstrümpfe und Tinkerbell glitzernde Kniestiefel, während die Piraten mit Kostümen wie auf einer Faschingsparty ein Quäntchen Skurrilität beisteuern. Das hoch ästhetische Lichtdesign von Jake Wiltshire spielt mit kräftigen Hell-Dunkel-Kontrasten, fokussiert hart mit Verfolgerscheinwerfern, ohne jemals überzüchtet zu wirken.

Lang anhaltender Applaus für die Solisten (Rosie Lomas als Wend, Karim Sulayman als Peter Pan), das Vokalensemble meisterhaft vom Trentiner Luigi Azzolini einstudiert und das Orchester unter der Leitung von Timothy Redmond.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (1)

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  • andreas1234567

    Ähm ja,

    der nicht ganz sachlich-nüchterne Schrieb von diesem Hupfdohlenkonzert erinnert mich etwas an lustige Almabende die teilweise schon einmal bis Mitternacht hinausgingen.

    Da war auch viel Psychoanalytik und so.. Vielleicht war es auch ein Ausbruch von Psychoanalytik und Liebe, irgendwer rief immer „die nächste Runde zahle ich“ .Immer eine heikle Grenz-Problematik man musste ja noch herunter..

    Im ästhetischen Lichtdesign der Taschenlampen ging es zwischen weiblichem Gefühlsüberschwang, jugendlichem Spieltrieb und dem männlichen Ordnungsprinzip der verwalteten und durchnormierten Welt dann doch herunter.

    Am Folgetag spielte das Hell-Dunkel-Konzept der Beteiligten in deren Kopf, fokussiert mit eingebildeten Hell-Dunkel-Scheinwerfern ein ästhetisches Lichtdesign.

    Ich stell das als Umschreibung des Montags nach dem Herz-Jesu-Feuer in künstlerisch-wertvoller Version zur Verfügung.

    Auf Wiedersehen dort

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