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„Völlig weggetreten“

Das Mordopfer Fatima Zeeshan

Im Schwurgerichtsprozess zum Mord an Fatima Zeeshan taucht plötzlich eine neue Diagnose für den angeklagten Ehemann auf: Eine Bewusstseinsspaltung depressiven Ursprungs mit möglicher Unzurechnungsfähigkeit.

von Thomas Vikoler

Psychiater mit Zulassung als Gerichtsgutachter befinden sich nicht selten in einem fachlichen Zwiespalt. Einmal sind sie in Strafverfahren von Anwälten aufgerufen, Diagnosen zu stellen, die zu einer möglichst hohen Strafe führen sollen, einmal zu möglichst milden (oder gar zur Einstellung des Verfahrens).

Die Paduaner Psychiaterin Anna Palleschi hat beispielsweise als Sachverständige der Nebenkläger (Madè Neumair) im Prozess zum Bozner Elternmord dazu beigetragen, dass das Schwurgericht den angeklagten Sohn Benno Neumair zu zweimal lebenslänglich verurteilte (die Urteilsbegründung sollte in den nächsten Wochen hinterlegt werden). Für Palleschi hat Neumair zweimal bei voller Willens- und Einsichtsfähigkeit getötet und zudem keine Anzeichen von Reue gezeigt.

Im Schwurgerichtsprozess zum Mord an Fatima Zeeshan im Jänner 2020 in Vierschach trat Palleschi gestern als Sachverständige der Verteidigung des angeklagten Ehemanns Mustafa Zeeshan, 40, auf.

Und sorgte dabei für einen Paukenschlag, den der Sachverständige der Staatsanwaltschaft, Fabio Bonadiman, wenig entgegenzuhalten vermochte. 

„Es handelt sich um einen äußerst schwierigen Fall. Aufgrund meines Wissenstandes bin ich von einer vollen Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten ausgegangen. Doch vor einer Woche bin ich auf eine neue Spur gekommen, die für mich schlüssig ist. Mustafa Zeeshan litt zum Tatzeitpunkt an einer dissoziativen Störung, die von einer psychotischen Depression herrührt“, erklärte Palleschi.

Der Pizzabäcker pakistanischer Herkunft habe seine Ehefrau in einem Zustand der Bewusstseinsspaltung getötet, er sei „völlig weggetreten“ und könne sich an nichts mehr erinnern. Er habe Fatima „ohne Bewusstsein und ohne Motiv“ getötet.

Für Palleschi ein Fall von Unzurechnungsfähigkeit (und damit Schuldunfähigkeit).

Auf diese Einschätzung, die im psychiatrischen Beweissicherungsverfahren auch nicht ansatzweise aufgetaucht war, kam Palleschi nach eigener Zeugenaussage beim Studium von Videos mit Befragungen der Angeklagten. Weitere Informationen hätten Mithäftlinge und Arbeitskollegen Zeeshans geliefert. Sie berichten von Zuständen der Erstarrung im Gefängnis und einer starken Stimmungsveränderung in den Wochen vor dem Mord.

Fatima Zeeshan starb an den schweren Verletzungen, die ihr von zahlreichen Schlägen und Fußtritten zugefügt wurden.

Bisher setzte die Verteidigung auf eine mögliche Schlafkrankheit ihres Ehemanns, während der er – ebenfalls unbewusst – getötet haben könnte.

Diese Option scheint nun vom Tisch, Verteidigerin Amanda Cheneri erwägt nun die Beantragung eines psychiatrischen Gerichtsgutachten zur Verifizierung von Palleschis später Dissoziations-These.

Zuvor – auf der nächsten Verhandlung am 15. Februar – soll der Angeklagte selbst vom Schwurgericht angehört werden. Zeeshan hat während seiner U-Haft im Bozner Gefängnis zwei Selbstmordversuche unternommen: Einmal, indem er Shampoo schluckte, einmal indem er sich im Bad der Gruppenzelle im Bozner Krankenhaus aufhängte.

Die Plädoyers in diesem außerordentlichen Prozess sollen am 7., 10, und 11. März gehalten werden, dann folgt das Urteil.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (2)

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  • pat

    Was für ein lächerlicher Zirkus mit den Psychiatern und Psychologen. Gibts auch nur im Deppeneuropa der Gutmenschen, wo man sich einfach nur psychisch krank stellen muss um einer hohen Strafe zu entfliehen.

  • devils_son

    umgebracht hat er sie! also – das ist ja Fakt.
    was gibts dann da noch zu eiern? Arbeitslager gibts leider keins, drum halt „Lebenslänglich“ was ja eh auch nur ein Witz ist

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