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„Die Pandemie ist vorbei“

Gernot Walder

Trotz der steigenden Infektionszahlen gibt der Infektiologe Gernot Walder Entwarnung und erklärt, wie man mit dem Infektionsrisiko richtig umgehen sollte.

Tageszeitung: Herr Walder, vor zwei Wochen haben Sie Dolomitenstadt.at ein Interview gegeben, in dem Sie gesagt haben, die Pandemie sei vorbei. Nun steigen die Zahlen aber wieder…

Gernot Walder: Ich stehe nach wie vor zu dieser Aussage. Die Pandemie hat sich in diesem Jahr in ein normales epidemisches, immer wieder zirkulierendes Geschehen gewandelt, in einer pandemischen Notfalllage befinden wir uns nicht mehr. Das heißt natürlich nicht, dass der Erreger verschwunden ist, der ist gekommen um zu bleiben und er wird immer wieder für Wellen sorgen. Sofern nicht sehr ungewöhnliche Entwicklungen eintreten werde diese einschließlich der jetzigen Welle ungefähr so verlaufen, wie jene im März und im April, auch wenn es vielleicht höhere Fallzahlen geben wird. Trotzdem erwarte ich mir keine wesentlich höhere Belastung der Sanitätsstrukturen als im Frühjahr.

Sehen Sie eine Gefahr darin, dass zu viele Menschen erkranken und so wichtige Strukturen geschwächt werden?

Dieses Problem ist nicht auf Corona beschränkt, es kann bei jedem Erreger auftreten. Starke Grippe-Wellen haben auch in den letzten Jahren immer wieder zu einer hohen Zahl von Krankenständen geführt und Wirtschaft und Sanität belastet. Wir sollten das zum Anlass nehmen, über unseren Umgang mit Infektionskrankheiten grundlegend nachzudenken und uns nicht ausschließlich auf Corona zu fixieren. Wir brauchen eine Diagnostik, die es uns erlaubt, zirkulierende Erreger auch außerhalb der Krankenhäuser zu erkennen, gute Hygienestandards in allen Bereichen der Krankenversorgung und Präventionsmaßnahmen, die die Infektionslast generell – auch abseits von Corona – senken, um gut durch die Saisonen zu kommen.

Wie genau geht man nun aber vernünftig mit dem Infektionsrisiko um?

In der Infektiologie gibt es einen schönen Spruch: Herde denke an Schaden. Habe ich einen Patienten mit hoher Temperatur, Exanthem (=Ausschlag), Rhinitis (=Schnupfen)/ Husten, Durchfall / Erbrechen oder Exsudat (jede austretende Körperflüssigkeit) dann denke ich an meinen persönlichen Schutz (zumindest Handschuhe und Mundschutz), Absonderung der Person von anderen, eine rasche Diagnose, erregergerechte Maßnahmen/Versorgung und eine entsprechende Nachsorge. Das gilt im Krankenhaus genauso wie im Betrieb oder zu Hause. Es ist eigentlich ganz einfach und leicht zu merken. Erstens muss ich meinen Gegner kennen. Bei klar symptomatischen Patienten oder bei gehäuftem Auftreten von Infektionen muss die Ursache identifiziert werden. Nur zu sagen: „Das ist halt der Diesl, nimm ein Antibiotikum“ reicht nicht. Man soll – ganz abseits von Corona- Seuchenketten nicht befeuern. Gerade der gezielte Umgang mit Antibiotika ist wesentlich. Antibiotika sind unsere wirksamste Waffe gegen bakterielle Infektionen, aber ihr ungezielter Einsatz macht sie stumpf. Multiresistente Erreger sind schon heute ein Kernproblem der Medizin.

Welche Präventivmaßnahmen kann man ergreifen?

Wichtig ist vor allem, dass man mit Hausverstand vorgeht, wenn man erkrankt ist. Wenn man symptomatisch erkrankt ist und zum Hausarzt geht, um das abzuklären, ist es selbstverständlich, dass man mit dem Infekt nicht im Wartezimmer sitzt und andere Personen exponiert. Wer krank ist, bleibt zu Hause und hält sich auch dort von den drei K (Kühlschrank, Kochtopf, Kuschelzone) fern. Wenn man unbedingt aus dem Haus gehen muss, soll man eine gut wirksame Maske tragen, man soll Abstand halten, Menschenansammlungen vermeiden und mit Fieber z.B. nicht zu einer Hochzeit oder einer Beerdigung gehen. Auch dass Personen, die egal welchen Erreger ausscheiden Patienten betreuen oder andere Tätigkeiten mit hohem Streurisiko verrichten ist grober Unfug.

Natürlich bleiben Impfungen eine sinnvolle Sache. Soweit nicht individuelle Faktoren dagegen sprechen ist z.B. eine Impfung gegen Influenza (=echte Grippe) unabhängig vom Alter sinnvoll, wenn man nicht zur Hauptsaison eine Woche im Krankenstand sein will.

Dazu kommen andere Dinge, mit denen man sein Immunsystem im Schwung hält, beispielsweise regelmäßige Bewegung im Ausdauersektor, ein vernünftiges Raumklima, ein guter Tagesablauf, Reduktion von negativem Stress und ausreichend Schlaf. Eine Stunde entspannter Schlaf oder eine halbe Stunde Bewegung mit einem Puls von 140 ist da wesentlich mehr wert als jedes Vitamin-Präparat.

Das sind eigentlich allgemein bekannte Regeln…

… sie müssten nur befolgt werden! Jeder sollte auf seinen Körper schauen. Man hat nur einen und dieser sollte das ganze Leben halten.

Die Eigenverantwortung scheint derzeit aber recht hoch zu sein. Auch wenn keine Maskenpflicht gilt, tragen diese viele in voll besetzten öffentlichen Verkehrsmitteln. Ist das medizinisch auch sinnvoll?

Individuell oder in bestimmten Einrichtungen kann das Maskentragen natürlich Sinn machen. Wenn ich schlecht beieinander bin und nicht weiß, ob ich etwas ausbrüte, ist die Maske eine Form der Rücksichtnahme. Sie muss aber richtig sitzen und korrekt getragen werden. Eine generelle Maskenpflicht halte ich dagegen nicht für notwendig. Wer allein im Auto fährt braucht nur eine Maske, wenn er nicht erkannt werden will.

Die vierte Impfung kann in Südtirol mittlerweile jeder machen. Soll das auch jeder machen?

Medizinisch gibt es – wie bei FSME oder Hepatitis B eine einfache Antwort. Wenn ein ausreichender Schutz von einem invasiven Verlauf gegeben ist, wird man von einer Impfung nicht profitieren, ist der Schutz nicht mehr ausreichend, ist die Impfung sinnvoll. Die mir vorliegenden Antikörperbefunde im Neutralisationstest zeigen, dass mehr als 70% der Bevölkerung gegen einen invasiven Verlauf gut geschützt sind. Einige profitieren also von einer weiteren Auffrischung, aber bei weitem nicht alle.

Während im vergangenen Jahr zwar das gesellschaftliche Leben kaum eingeschränkt wurde, gab es doch noch einige Reglementierungen, wie eine Maskenpflicht an vielen Orten oder die Empfehlung, Massenansammlungen zu vermeiden. Glauben Sie, das zeigt irgendwelche Auswirkungen?

Die letzten zwei Jahre haben bei uns in jeder Hinsicht sichtbare Spuren hinterlassen. Ich glaube, dass die Belastung der Krankenhäuser ein guter Maßstab für Restriktionsmaßnahmen ist und vor diesem Hintergrund kann man weiterhin Normalität walten lassen. Das Schließen von Diskotheken oder ein Semi-Lockdown würde derzeit zu größeren Kollateralschäden führen als es einen Nutzen für das epidemiologische Geschehen hätte.

Interview: Markus Rufin

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (2)

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  • foerschtna

    Ist Walder unter die Schwurbler gegangen ? Im Tagblatt vom Weinbergweg wird beinahe täglich vor der Twindemie gewarnt und als einziger Ausweg der Gang zum Spritzenmeister angepriesen, und Walder schwurbelt daß 70% eine Auffrischung nicht mehr notwendig hätten. Also, ab zum 4. Stich, wenn schon nicht für sich selbst, dann wenigstens um die anderen zu schützen !

    • placeboeffekt

      Bemerkenswert dazu die Strategie welche das kommunistische China fährt:

      Wenn in einem Gebäude jemand positiv testet, kommen nicht nur alle Bewohner des Gebäudes in Isolierzimmer, sondern auch alle Wohnungen werden „desinfiziert“, was konkret oft bedeutet, dass Haustiere getötet und die Einrichtung und Besitztümer der Leute entsorgt werden. Die Leute kommen dann nach der Quarantäne in eine leere Wohnung.
      Sehr viele Chinesen sind sehr unzufrieden, aber jeder hat Angst. Viele Ausländer, die schon lange in China leben, bereiten sich darauf vor, in den nächsten Jahren das Land zu verlassen und viele reiche Chinesen schaffen Geld außer Landes und kaufen Immobilien in Ländern mit dem Ziel, das Land langfristig zu verlassen.

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