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„Ohne Sieg kein Frieden“

Juri Andruchowytsch bei den Literaturtagen Lana: Sieg bedeutet, dass die Ukraine zur Gänze befreit wird, auch die Krim, und dass wir Nato und EU-Mitglied werden. Ohne Sieg gibt es keinen Frieden. (Foto: Herbert Thoma)

Der ukrainische Autor Juri Andruchowytsch ist Gast der heurigen Literaturtage Lana. Ein Gespräch über Gorbatschow, den russischen Angriff auf sein Land, schwarzen Humor und Schreiben in Zeiten des Krieges.

Tageszeitung: Herr Andruchowytsch, Michail Gorbatschow ist vorgestern gestorben. War er ein Held für Sie?

Juri Andruchowytsch: Gorbatschow ist nicht mein Held, überhaupt nicht. Mir ist schon klar, dass die Westeuropäer, vor allem die Deutschen, ein völlig anderes Bild von ihm haben, als wir in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Die älteren Russen hassen ihn, weil sie denken, dass er die Sowjetunion zerstört hat. Wir Ukrainer sehen den Untergang der Sowjetunion nicht als sein Verdienst an. Es war sein Vorgänger Andropow, der die Wende eingeleitet hat. Er hat klar gesehen, dass die Sowjetunion zugrunden gehen muss, weil sie unfähig ist, mit der westlichen Welt zu konkurrieren. Gorbatschow hingegen wollte nur Kosmetik. Zugute halten muss man ihm, dass er keine großen Massaker  veranstaltet hat. Ich habe heute einen Nachruf in einem der russischen Blog gelesen: „Er, Gorbatschow, hat einen Prozess in Den Hag und den Friedensnobelpreis bekommen. Beide hat er verdient.“ In seinem letzten Lebensjahrzehnt hat er Werbung für eine große russische Pizzakette gemacht. Das war seine beste Rolle.

Sie haben noch bei der sowjetischen Armee gedient. Welche Erinnerung haben Sie daran?

Darüber habe ich sieben Erzählungen geschrieben, die aber nicht übersetzt wurden. Die Ausbildung im ersten halben Jahr war die Hölle, danach haben wir vor uns hinfaulenzt. Damals habe ich am eigenen Leib erfahren und gesehen, wie unfähig die russische Armee ist. Fahrzeuge funktionieren nicht, es ist ständig alles kaputt, also genau das, was wir momentan bei der russischen Invasionsarmee beobachten.

Als Literaturstudent in Moskau haben Sie den russischen Kulturchauvinismus gegenüber der Ukraine kennengelernt.

 Das war eine Zeit mit viel Wodka und vielen blöden Diskussionen. Ich bin nach Moskau gekommen als jemand, der aus irgendeiner Provinz kommt und eine Sprache spricht, die niemand als Sprache anerkennt. Die russischen Kollegen kannten allerhöchstens zwei, drei Klassiker der ukrainischen Literatur aus dem 19. Jahrhundert. Ukrainische Literatur hat einfach nicht existiert für sie. Die Debatten waren mehr oder weniger friedlich, aber es gab einen Poeten von der Insel Sachalin, ein ehemaliger Fallschirmspringer. Er war immer absolut besoffen und schrieb ganz schlechte Gedichte. Wenn er nicht besoffen war, wurde er böse und sagte zu mir: Wenn die Ukraine sich von Russland trennen will, komme ich persönlich mit meiner Waffe und mache euch alle tot. Offiziell wurde immer die Freundschaft der Völker und der Literatur gepredigt, aber das war nur eine Maske. Nehmen sie das Beispiel Tschernobyl. Für die Ukraine ist das eine sehr wichtige Geschichte, in Russland weiß man davon nichts. Die russischen Soldaten sind da hingegangen, als ob sie im Wald spaziergehen würden.

 Der Angriff auf die Ukraine war im Westen ein Schock. Haben Sie es vor dem 24. Februar für möglich gehalten, dass Russland Ihr Land überfällt?

 Ja, absolut. Als Anfang November die ersten russischen Truppen an der Grenze aufmarschierten, habe ich täglich damit gerechnet. Für eine reine Erpressung war der Aufmarsch zu groß und damit zu teuer. Es war nicht die Frage, ob sie kommen, sondern nur wann. Alles andere wäre ein Wunder gewesen.

 Dachten Sie damals daran, das Land zu verlassen?

 Nein, das wäre für mich eine persönliche Niederlage gewesen. Zwei Tage vor dem Überfall hat mich ein polnischer Journalist gefragt, was ich machen werde. Ich habe geantwortet, dass ich nicht die Absicht habe zu fliehen. Das wäre sinnlos für mich. Ich bin über 60 Jahre alt und kann nicht mehr in die Armee einberufen werden, aber für den Partisanenkampf würde ich mich zur Verfügung stellen. In einer kleinen Gruppe könnte ich mich nützlich machen.

 Frieden kann nur Sieg bedeuten, heißt es in der Ukraine. Ist Frieden ohne Sieg über den Aggressor Russland unvorstellbar? Ist das Zweckoptimismus oder glauben Sie wirklich daran?

 Ich glaube wirklich daran. Das ist kein Optimismus und auch kein Augenverschließen vor der Realität. Mir ist bewusst, wie viele Opfer das fordern wird, aber es gibt keinen anderen Weg. Was bedeutet Sieg? Die ukrainische Armee wird nicht auf dem Roten Platz in Moskau stehen und ihre Fahne auf dem Kreml hissen, das sicher nicht. Sieg bedeutet, dass die Ukraine zur Gänze befreit wird, auch die Krim, und dass wir Nato und EU-Mitglied werden. Ohne Sieg gibt es keinen Frieden. Für Putin steht natürlich sein Überleben auf dem Spiel. Wenn er verliert, machen die Russen einen Aufstand, denn sie sind nur solange loyal, wenn einer erfolgreich ist.

 Es gibt viele mehr oder weniger glaubhafte Ferndiagnosen über Putin. Die meisten sehen in ihm einfach einen knallharten Machtmenschen, der den Untergang der Sowjetunion nie verwunden hat. Wie sehen Sie ihn, was für eine Art Mensch ist er?

Er ist ein Geheimdienstler, man weiß nicht viel über ihn, aber es gibt zahllose Gerüchte. Zum Beispiel erzählt man sich, dass es sieben oder acht Doppelgänger von ihm gibt. Man erzählt, dass er dauernd Botox-Behandlungen vornimmt und viel Geld in die Forschung investiert, wie man das Leben verlängern kann. Ganz sicher ist er ein Narzisst, der jede Beleidigung persönlich nimmt. Wenn die ukrainischen Fußballfans ihn verlachen und verspotten, was sie sehr gerne tun, ist er beleidigt und sinnt auf Rache.

 Die Ukrainer ertragen die Kriegstage mit einer Explosion des schwarzen Humors. Wie äußert sich der?

Die sozialen Medien sind voll von schwarzen Humor. Das meiste ist schwer übersetzbar und für westliche Ohren kaum verständlich. Über getötete Soldaten sagt man zum Beispiel, sie seien jetzt auf dem Konzert von Iossif Kobson. Der war vor seinem Krebstod so eine Art russischer Frank Sinatra und ein großer Putin Fan. Was noch sehr stark zugenommen hat, ist die Liebe vor allem zu Hunden und Katzen, die ja zu Tausenden zurückgelassen wurden. Das Internet ist voll davon.Der Minenspürhund Patron ist ein Medienstar geworden.

 Sind für die Ukrainer mit dem Überfall alle Russen zu Feinden geworden?

Es tut mir leid, das zu sagen, aber es ist so. Man liest die Umfragen aus Russland und nimmt zur Kenntnis, dass bis zu 80 Prozent der Russen den Krieg für richtig halten und ihn unterstützen. Sie leugnen, dass es Krieg gibt. Die Russen sind eine andere Zivilisation. Ereignisse wie in Butscha ….

… mit den Deportationen, Vergewaltigungen,  Morden an Zivilisten …

… ja, und Mariupol verstärken die Feindschaft natürlich. Dass in der Ukraine Tausende umgebracht werden, scheint, wenn man die sozialen Netzwerk verfolgt, in Russland nicht zu interessieren. Das ist dort kein Thema. Sie interessieren sich einzig dafür, ob sie noch ein Visa für Europa bekommen.

Haben Sie noch Kontakte mit russischen AutorInnen?

Nicht wirklich. Vor zwei Jahren gab es auf Veranlassung eines Münchner Veranstalters einen Briefwechsel mit Ljudmila Ulizkaja. Seit dem 24. Februar habe ich nur mehr Kontakt mit einem russischen Autor, der in der Schweiz lebt.

Schreiben in Zeiten des Krieges – wie geht das?

In den ersten Monaten habe ich nur publizistisch Texte geschrieben, jetzt fange ich wieder mit der Literatur an. Nicht, dass es nicht möglich ist, literarisch zu schreiben, aber wozu? Warum soll ich mich vergewaltigen, etwas Literarisches zu schreiben, wenn es meiner Seele nicht nahe ist?

Der frühere Komiker Selenskyj ist zum Kriegspräsidenten geworden. Was halten Sie von ihm?

 Ich war kein Anhänger von ihm, er war mir zu infantil, habe auch seine Witze nicht witzig gefunden, aber jetzt würde ich für ihn stimmen. Ich kann jedes Wort seiner Reden unterschreiben.

 Wie und wann endet dieser Krieg?

Die Gegenoffensive könnte eine Überraschung bringen. Wenn die Stadt Kherson befreit wird, kann das eine Lawine auslösen. Dann könnte Putin schon Probleme bekommen. Zeitlich wird die Befreiung die nächsten Jahre dauern, wir dürfen einfach nicht müde werden. Wir wollen unsere Unabhängigkeit, das ist in der Ukraine Konsens.

 Interview: Heinrich Schwazer

 

Zur Person

Juri Andruchowytsch, geboren 1960 in Iwano-Frankiwsk/Westukraine, dem früheren galizischen Stanislau, studierte Journalistik und begann als Lyriker. Außerdem veröffentlicht er Essays und Romane. Andruchowytsch ist einer der bekanntesten europäischen Autoren der Gegenwart, sein Werk erscheint in 20 Sprachen. 1985 war er Mitbegründer der legendären literarischen Performance-Gruppe Bu-Ba-Bu (Burlesk-Balagan-Buffonada). Mit seinen drei Romanen Rekreacij (1992; dt. Karpatenkarneval, 2019), Moscoviada (1993, dt. Ausgabe 2006), Perverzija (1999, dt. Perversion, 2011), die unter anderem ins Englische, Spanische, Französische und Italienische übersetzt wurden, ist er zum Klassiker der ukrainischen Gegenwartsliteratur geworden.
Goethe-Medaille 2016; Hannah-Arendt-Preis 2014; Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2006. Bei den 37. Literaturtagen Lana stellte er seinen neuen Roman „Radio Nacht“ vor.

 

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