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Vom Pornotourismus zum Eros des Gastgebers

Michil Costa: „Wir haben keine Wahl – wir müssen handeln.“ (Foto: Stefano Butturini)

Es ist Zeit, die Reißleine zu ziehen: Der Gadertaler Hotelier Michil Costa fordert ein Umdenken in der Tourismusbranche und hält ein flammendes Plädoyer gegen die touristische Monokultur.

 Eigentlich müsste, könnte oder sollte Michil Costa stolz auf das Erreichte sein. Das Gadertal, bis in die 1970er Jahre hinein eines der ärmsten Täler des Landes, hat es innerhalb einer Generation zu einem touristischen Hotspot und enormem Wohlstand gebracht. Tag und Nacht hatte die Gründergeneration, zu der seine Eltern Anni und Ernesto mit dem Hotel La Perla in Corvara gehörten, gebuggelt, um das Bauerntal in eine Tourismushochburg zu verwandeln. „Stattdessen“, so schreibt er, „kriege ich Bauchweh, wenn von der Tourismusindustrie die Rede ist.“

Mit dem Bauchweh ist er nicht allein, aber einer der wenigen, die ihr Bauchgrimmen in ein Buch gefasst haben. Sein eben erschienenes Buch „Raus aus dem Rummel! Plädoyer gegen die touristische Monokultur“  ( Raetia-Verlag) nimmt so gut wie alles aufs Korn, was den Südtiroler Tourismus erfolgreich gemacht und den Wohlstand des Landes begründet hat.

Für diplomatische Formulierungen ist da keine Zeit mehr. Costa sieht seit den 1980er Jahren „Bespaßung allerorten, austauschbare Hotels, Verschleiß der Umwelt, Rummelplatz-Tourismus, Heidi-Klischees, industrialisierte Angebote, Banalisierung und Kommerz allerorten, eine Oberflächlichkeit, die hart an primitivste Heuchelei grenzt, Disneyfizierung, Natur, deren Schönheit zur Prostitution gezwungen wird“ – kurz, er sieht einen Tourismus sein Unwesen treiben, der fast schon „pornographischen Charakter“ hat. Dass der Massentourismus fast zwangsläufig pornographisch wird, hat bereits  der verstorbene Ötztaler Volkskundler und Autor Hans Haid immer wieder als „porno alpin“  gebrandmarkt.

Harte Worte eines Hoteliers, der mit seiner Familie das Hotel La Perla in Corvara und das Berghotel Ladinia sowie bei Siena das Posta Marcucci führt und damit selbst ein Big Player im Tourismusgeschäft ist. Wenn einer wie er am Tourismus herummäkelt, fällt einem naturgemäß der geflügelte Spruch von den Kritikern der Elche ein: „Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche“. Dass er sich mit dem Buch unter seinen Kollegen keine Freunde macht, weder in der Politik, schon gar nicht in seinem Tal, nimmt er gerne in Kauf und er hat auch schon eine Antwort darauf. „Meine Kritik richtet sich zuallererst an mich selbst“, sagt Costa, ein Grübler mit einem Lächeln im Gesicht, der sich sein Nachdenken mit Aristoteles und Sokrates erarbeitet hat. Das „Nulla osta“ der Diözese, wie Don Paolo Renner es bei der Präsentation des Buches formulierte, hat er jedenfalls bereits in der Tasche.

Aber wie kann ein Land, das kaum eine Sünde des Massentourismus ausgelassen hat, die außer Kontrolle geratenen Touristenströme wieder in verträgliche Bahnen lenken und die Reißleine ziehen? „Angesichts eines Tourismus, der zu einem gewaltigen, bedrohlichen Moloch herangewachsen ist, müssen wir eine klare, eindeutige Richtungsentscheidung treffen“, schreibt er. Den Begriff Nachhaltigkeit, die inhaltsleerste Floskel und Lieblingsvokabel aller Touristiker, die sie auf jede Speckseite und jedes Schnapsglas kleben und zugleich auf den nächsten Nächtigungsrekord schielen, kann er nicht mehr hören: „Hier ein bisschen recyceln, dort ein wenig Strom sparen, reicht nicht mehr.“ Nur „Radikalität und eine neue Symbiose mit der Natur“ bringe uns weiter, eine „Ökosophie“ im Sinne des amerikanischen Transzendentalismus.

Kling philosophisch abgehoben, aber Costa meint etwas ganz Einfaches damit: Wenn die bisherige Form des Tourismus über kurz oder lang das Ende des Tourismus bedeutet, muss er sich auf seine wahren Schätze besinnen. Als da wäre: Gastfreundschaft. „Diesem Konzept des rücksichtslosen Rummelplatz-Tourismus stelle ich eine Kultur der Gastfreundschaft gegenüber“ schreibt er.

Costa plädiert nicht für einen Qualitätstourismus à la Schweiz, den sich nur noch Oligarchen leisten können. Nur noch 5 Sterne-Hotels, keine Garnis und Pensionen mehr – das wäre für ihn ganz der falsche Weg: „Auch der 5 Sterne-Gast will einen Bauern treffen.“

Es gibt keine Definition, was „Gastfreundschaft “ ist, aber mit Sicherheit, so Costa, ist damit nicht das Glaubensbekenntnis „Der Gast hat immer recht“ gemeint. Eine Gastfreundschaft, für die nur die Wünsche der Gäste zählen, sei keine. Es zählt auch die Lebensqualität der Menschen, die dort leben und arbeiten, wo andere Urlaub machen: „Wollen wir eine Industrie, die einzig und allein die Gewinnmaximierung verfolgt? Oder streben wir eine hochwertige Gastfreundschaft an, die auf tieferen Werten wie Solidarität, Gemeinwohl, Nachhaltigkeit und Humanität beruht?“ Es gelte in einer „Gemeinwohl-Ökonomie“ Umweltschutz und wirtschaftliche Überlegungen zu verknüpfen, will heißen: „Statt in umweltbelastende Infrastruktur zu investieren, eine Kultur der Gastfreundschaft wiederzuentdecken, die den Gästen ein unvergessliches Urlaubsgefühl bereitet – abseits von Saunalandschaften und Pistenkilometern.“

Machbar oder nicht, für Costa ist das keine Frage mehr: „Wir haben keine Wahl – wir müssen handeln. Es liegt in unser aller Interesse.“ (Heinrich Schwazer)

Michil Costa: Raus aus dem Rummel! Ein Plädoyer gegen die touristische Monokultur. Vorwort von Massimo Cacciari. Edition Raetia. 204 Seiten

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (4)

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  • treter

    Muss vorausschicken dass ich Michil Costa sehr schätze! Im Vorjahr als es um die Bewerbung des Gadertales zusammen mit Gröden für die Ski-WM 2029 ging, hörte man von ihm allerdings kein Wort! Während seine Landsfrau Elide Mussner vehement gegen die Bewerbung des Gadertales kämpfte und am Ende auch gewann, äußerte sich Michil Costa überhaupt nicht dazu! Muss sagen ich war sehr enttäuscht über sein Schweigen! Er wird dabei doch nicht an die volle Auslastung seiner Hotels gedacht haben?

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