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Idee der Zukunft

Der Dachverband für Soziales und Gesundheit fordert eine Wiederbelebung der Debattenkultur und der Zukunftsplanung.

Soziales brauche eine Idee der Zukunft. Doch die sei etwas abhandengekommen. Zu sehr hätten tagesaktuelle Ereignisse in den letzten Jahren die Stoßrichtung bestimmt. Jetzt müsse es wieder stärker darum gehen, die Diskussionskultur im Sozialen wiederzubeleben, betonte Präsident Wolfgang Obwexer vor wenigen Tagen auf der Vollversammlung des Dachverbandes für Soziales und Gesundheit im Pastoralzentrum Bozen.

„Als Antwort auf die Krisen und Herausforderungen unserer Zeit müssen wir uns hin zu einer nachhaltig und sozial handelnden Gesellschaft entwickeln“, forderte Obwexer: „Gerade Menschen mit Beeinträchtigungen und chronischen Erkrankungen laufen Gefahr im Sog der allgemeinen Entwicklungen unter die Räder zu kommen. Damit dies nicht passiert, brauchen wir eine solidarische Gesellschaft mit sozialer Sicherung.“

Natürlich gebe es kein exaktes Kochrezept, das Punkt für Punkt vorgibt, wie ein gutes Gemeinwesen gelingen kann. Dafür brauche es vor allem viel Diskussion und Beteiligung.

„Die Arbeit im Sozialen ist jeden Tag eine neue Herausforderung. Es gilt Notlagen zu erkennen, zu helfen. Aber auch auf die Stärkung der Eigenkräfte zu setzen. Netzwerke und Gemeinschaftsprojekte sind hierfür unverzichtbar, denn Sozialpolitik lebt von der Kooperation, von der Zusammenarbeit verschiedener Ressorts in der Verwaltung und vieler freien Träger. Dabei ist es wichtig, miteinander auf Augenhöhe zu kommunizieren“, betonte Obwexer. Funktionieren könne dies nur wenn „Zeit, Rahmen und Möglichkeiten vorgesehen werden, die allen die Teilhabe erlaubt und echte Mitsprache ermöglicht.“

Obwexer sprach sich für eine echte Kultur der Mitbestimmung und Partizipation zur Gestaltung des Gemeinwesens aus: „Es ist wichtig, dass das Erfahrungswissen der Betroffenen in die Planung der Entwicklungen mit einfließt. Das ist für eine menschengerechte Politik unverzichtbar. Partizipative Prozesse müssen für die Verwaltung und die Politik selbstverständlich sein. Bei praktischen Fragen und konkreten Projekten funktioniert dies schon ganz gut. Bei der langfristigen Entwicklung muss dies allerdings erst noch aufgebaut werden. Wird dieses Wissen nicht abgeholt, kommt es schnell zu Fehlentwicklungen und die Betroffenen haben das Gefühl, dass an ihrem eigentlichen Unterstützungsbedarf vorbei Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden. Deshalb ist der Slogan „Nichts über uns ohne uns“ ein zentrales Motto des Dachverbandes und seiner Mitgliedsorganisationen.“

„Wir wollen das Gemeinwesen partnerschaftlich planen und gestalten“, betonte auch Dachverband-Geschäftsführer Georg Leimstädtner: „In den Sozial- und Gesundheitsdiensten sind die Adressaten immer noch viel zu wenig in die Planung und Gestaltung eingebunden. Zwar gibt es große und teure Einrichtungen, die für ein durchaus hochwertiges Dienstleistungsangebot sorgen, aber wie dies geplant, gewichtet und umgesetzt wird, wird in der Regel immer noch fernab der bestehenden Betroffenenorganisationen entschieden. Nehmen wir das Beispiel der Bezirksgemeinschaften, die alle essentiellen Sozialdienste führen, oder zur Führung ausschreiben: in den wirklichen Entscheidungsgremien fehlen die Vertretungen der örtlichen Betroffenenorganisation. Hier gibt es Aufholbedarf.“

Seit seiner Gründung 1993 macht sich der Dachverband für Soziales und Gesundheit für das Soziale stark und vereint heute rund 60 gemeinnützige Organisationen. Es gibt kleine Selbsthilfeorganisationen, Betroffenenorganisationen und auch sehr große und breit aufgestellte Freiwilligen- und Dienstleistungsorganisationen. Sie alle bilden im Dachverband ein weitreichendes und buntes Netz, um Menschen in Notlagen zu helfen, um gemeinsame Initiativen zu starten, Aufmerksamkeit für die gemeinsamen Anliegen zu erhalten und um eine starke gemeinsame Vertretung gegenüber der Politik, den Behörden und anderen zu haben. Gemeinsam vertreten sie die Interessen von Menschen mit Behinderungen, Patient/innen mit chronischen Krankheiten und Personen, die andere soziale Herausforderungen meistern müssen.

Der Dachverband setzt sich deshalb für eine Diskussionskultur in vielfältigen Ausformungen auf verschiedensten Ebenen ein: durch die Wiederbelebung des Sozialbeirates, durch die Einbeziehung der Betroffenen in verschiedenen ausbaufähigen Mitbestimmungsgremien in den Gemeinden, Sprengeln und Bezirksgemeinschaften, durch partizipative Sozialforschung, durch die Mitbestimmung bei der Ausarbeitung von Gesetzen, von Richtlinien oder des Sozialplans, durch besondere Methoden wie dem Trialog, oder den in Abstimmung mit der Soziallandesrätin erfolgreich erprobten Denkwerkstätten.

Neben der Netzwerkarbeit auf lokaler Ebene ist auch jene auf nationaler und internationaler Ebene wichtig. Dachverband-Vizepräsidentin Roberta Rigamonti berichtete über den im römischen Justizministerium bestehenden „Nationalen Arbeitstisch zu den Rechten der fragilen Personen“, wo sie seit 2020 mitarbeitet. Heuer stehen Gesetzesvorschläge an, wo es um eine Novellierung des Bürgerlichen Gesetzbuches zum Schutz schutzbedürftiger Personen geht. Rigamonti betonte, wie wichtig der Austausch und die Kommunikation über die Landesgrenzen hinaus sei. Der Dachverband will sich auf nationaler Ebene verstärkt einbringen und die nationalen Initiativen mit den lokalen verknüpfen.

Allgemein stehen die Zeichen der Zeit gut für die Entwicklung einer neuen Kultur des Zusammenwirkens der Öffentlichen Hand mit gemeinnützigen Organisationen. Mit der Reform des Dritten Sektors hat der Staat entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen. Die jüngsten Diskussionen zum einheitlichen Vereinsverzeichnis zeigen aber, dass die Ansprüche zu hoch sind, weil viele Regeln nicht an die Realität der kleinen Vereine orientiert, sondern komplex sind und die Verantwortlichen an ihre Grenzen bringen. Im dauernden, wenngleich oft sehr mühsamen Austausch mit den Behörden ist der Dachverband bemüht, Durchblick zu verschaffen und Vereinfachungen bzw. Verbesserungen zu erzielen. Das DZE – Dienstleistungszentrum für das Ehrenamt ist dabei ein wichtiger Partner und Weggefährte.

 

 

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