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„Sind auf dem Zahnfleisch“

Marta von Wohlgemuth

Die Vorsitzende des Landesverbandes der Sozialberufe, Marta von Wohlgemuth, zeichnet ein ernüchterndes Szenario von der Situation in den territorialen Pflegediensten. Viele Mitarbeiterinnen seien regelrecht geflüchtet.

TAGESZEITUNG Online: Frau von Wohlgemuth, wie ist die Situation im Pflegebereich wirklich?

Marta von Wohlgemuth: Wir sind auf dem Zahnfleisch! Wir reden und lesen immer – und das meine ich jetzt nicht wertend – von der Situation in den Altenheimen und in den Krankenhäusern. Es gibt aber neben den Altenheimen und den Spitälern auch die territorialen Dienste, etwa die Hauspflegedienste. Wenn die Krankenhäuser ihre Betten reduzieren und die Heime keine Senioren mehr aufnehmen, dann bricht es denen, die am Ende dieser Kette stehen, eben die Hauspflegedienste, das Genick.

Können Sie konkreter werden?

Mir tut es im Herzen weh, aber Keiner ist wichtiger als der Andere, wir fordern nur Gleichberechtigung. Wir fordern, dass nicht nur die Situationen in den Spitälern und in den Seniorenheimen wahrgenommen wird, es gibt auch die Behindertenbetreuung, den teilstationären Bereich, das ist alles eine Kettenreaktion.

Ich bin derzeit im engen Austausch mit unseren Mitgliedern im Vinschgau. Wenn Patienten aus den Krankenhäusern frühzeitig entlassen werden, weil die Pflegeressourcen fehlen und/oder die Betten reduziert werden, und die Altenheime niemanden mehr aufnehmen, dann tragen die Hauspflegedienste die Endlast. Das wird in der Diskussion nicht benannt!

Was tun?

Was mich total verärgert: Wir sind inzwischen in einer Patt-Situation. Viele Mitarbeiterinnen halten es nicht mehr aus, ergreifen die Flucht. Das ist auch verständlich. Die Auswirkungen sind für die Betroffenen, für deren Angehörige und auch für die Pflegebetreuungskräfte fatal.

Wie kommt man aus der Situation heraus?

Aus der Situation kommt man nur heraus, wenn man sich alle gemeinsam an einen Tisch setzt – und nicht nur die Arbeitgeberinnen. Wir müssen gemeinsam nach Lösungen suchen.

Schwingt da Kritik an Sozial-Landesrätin Waltraud Deeg mit?

Wir haben zugewartet, bis wir am Limit sind. Daher wird es nicht leicht sein, aus dieser Situation wieder herauszukommen. Wir müssen gemeinsam Lösung suchen – unter Miteinbeziehung der Mitarbeiterinnen.

Lösungsansätze?

Es ist fatal, wenn jetzt in den Diensten und in den Heimen Leute aufgenommen werden, die keine Vorkenntnisse haben. Ich sage auch nicht, dass das Problem allein bei der Landesrätin liegt, ich muss sie auch nicht verteidigen, weil ich davon nichts habe. Die Hauptverantwortung liegt bei den Führungskräften vor Ort. Wir haben seit Beginn dieses Jahres darauf hinwiesen, dass die Situation eskalieren kann. Jetzt ist diese Situation da!

Welche Lösungen gibt es?

Es ist schwierig. Aber schwierige Zeiten erfordern, dass man die Leute, die es betrifft, mit einbezieht. Es gibt nicht die Lösung auf die Sekunden. Es wird krachen.

Sie treffen sich (am Donnerstag) mit der Landesrätin. Was werden sie ihr vorschlagen?

Ich will diesem Gespräch nicht vorgreifen, aber klar ist: Es kann nicht die Lösung sein, nicht ausgebildetes Personal einzusetzen. Nicht jede/r kann im Sozialbereich arbeiten! Dieser Job wird einem nicht in die Wiege gelegt!

Die Botschaft muss also sein?

Es sollten nicht Personen ohne Vorkenntnis in die Pflege einsteigen, sondern man muss den umgekehrten Weg gehen …

Nämlich?

Man muss die Situation für die derzeit beschäftigten Pflegekräfte entschärfen, indem man sie von allem Rundherum entbindet. Man kann nicht ohne Ausbildung in der Pflege arbeiten, aber man kann in dieser Notsituation die Pflegekräfte entlasten, indem sie sich nur mehr um ihren Kernauftrag kümmern müssen.

Und was tun mit den Suspendierten?

Man kann über das Für und Wider der Impfpflicht bis zum Irrsinn diskutieren. Es gibt Leute, die sich partout nicht impfen lassen werden, aber es gibt auch Mitarbeiterinnen, die schlicht und ergreifend den Druck nicht mehr ausgehalten und sich gesagt haben: Ich lasse mich suspendieren, damit ich zur Ruhe komme.

Sollten die Suspendierung aufgehoben werden?

Mir geht es nicht darum, die Suspendierungen aufzugeben. Die Impfpflicht ist ein Gesetz, daher will ich den Mitarbeiterinnen nicht etwas vorgaukeln, was nicht möglich ist. Wie gesagt: Über Sinn und Unsinn dieses Staatsgesetzes kann man diskutieren. Aber es gibt eben auch Leute, die geimpft sind, die aber sagen: Stopp! Ich kann nicht mehr. Ich lasse mich aufgrund der Überforderung und der permanenten Überbelastung suspendieren. Irgendwann muss man auch auf sich selbst schauen.

Interview: Artur Oberhofer

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (25)

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  • unglaublich

    Aber natürlich müssen sofort alle Suspendierungen aufgehoben werden. Diese unlogische und zerstörerische Maßnahme macht Schaden ohne Ende. Die Geimpften sind nach letzten Studien schon nach 4 bzw. 6 Monaten schutzlos und ihr Green-Pass gilt 12 Monaten. Wir leben in Absurdistan!

  • andreas

    Die Situation in den Seniorenheimen und der Pflege ist prekär, war vor Corona aber auch schon so, nur verstehe ich nicht ganz, warum sie Hilfe, auch wenn sie keine Ausbildung hat, ablehnt und auch keinen Lösungsansatz liefert.

    Wenn das ausgebildete Personal nur noch für die Kernaufgaben zuständig sein soll, wäre es wohl sinnvoll, für den Rest auch welche ohne Ausbildung einzusetzen.

    Die Aussage, dass nicht jeder im sozialen Bereich arbeiten kann, teile ich, dass es einem nicht in die Wiege gelegt wird aber nicht.
    Es gibt nun mal Menschen, welche auch ohne Ausbildung sehr sozial und empathisch sind und warum sollten man die nicht einsetzen? Jede die Interesse hat in diesem Bereich zu arbeiten, unterstelle ich mal, dass sie sehr sozial ist.

    Für eine Verantwortliche, finde ich die Aussagen etwas eigenartig.

    • autonomerbuerger

      Seit Jahren kämpft der ganze Sozialbereich um gerechte Arbeitsbedingungen und Anerkennung. Die Löhne sind ein Witz. Jeder Magazineur verdient mehr. Mit welcher Logik wird verlangt, dass die Angestellten einfach für fehlende Kollegen einspringen und deren Arbeit mitmachen? Verdienen die dann für 2 und bekommen den doppelten Urlaub und die doppelte Anerkennung? Wenn jetzt ungelernte Kräfte geholt werden, woher auch immer (in Südtirol werden sie nicht zu finden sein) dann wird es nie faire Arbeitsbedingungen geben. Menschen mit Behinderungen und Pflegebedürftige haben keine Lobby. Öffentliche Angestellte auch nicht. Politisch interessiert diese Situation niemanden. Es geht in der ganzen Situation nicht nur um die Impfungen. Das Gastgewerbe hat weitaus bessere Arbeitsbedingungen mit besseren Löhnen. Schaut mal auf die Privatwirtschaft, wie die mit Personalmangel umgehen.

      • andreas

        Bei den Arbeitsbedingungen z.B. in Seniorenheimen hast du durchaus Recht, als mir mal jemand davon erzählt hat, hätte ich nicht gedacht, dass es so etwas gibt.
        Nur ist in diesem Interview zu offensichtlich, dass sie ihr Revier verteidigen und gar keine Hilfe/Lösung will.
        Das hätte sie galanter lösen können, so wirkt es als nütze sie die Situation aus, um Verhandlungspartner zu „erpressen“.

        Ich glaub letzten Sonntag bei Anne Will war auch eine Verantwortliche für Pflegeberufe, welche ähnlich argumentiert hat und ich mir dachte, was bei der sozial sein soll, die war aber kratzbürstig.

        • vinsch

          @andreas „Verhandlungspartner erpressen“ , „ungebildetes Personal einstellen“, ist Ihnen eigentlich bewusst, was Sie hier von sich geben? Nachdem Sie hier ja für Kompatscher unterwegs sind, ist das natürlich auch seine Meinung, aber es kommt ihm sicher nicht zu Gute, wenn er sich noch einmal der Wahl stellen will.

  • franz19

    Wundert sich jemand dass niemand mehr diesen Beruf erlernt mit den Gehalt….jede Putzfrau verdient mehr!!!

  • tirolersepp

    Grossen Dank an alle Pflegenden !!!

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