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Spannende These

Thomas Bausch

Thomas Bausch, Leiter des Kompetenzzentrums Tourismus und Mobilität in Bruneck, sagt: Der Anteil des Transitverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen im Pustertal sei relativ gering.

von Silke Hinterwaldner

In den vergangenen Wochen und Monaten hat es ein Thema immer wieder in die Schlagzeilen geschafft: die Belastung durch den LKW-Transitverkehr im Pustertal. Dazu wurden mehrere Aktionen parallel gestartet – eine Demo in Toblach, ein Beschlussantrag der Bürgerlisten in mehreren Gemeinden, eine Petition der SVP-Bezirksleitung und eine weitere der Städte Bruneck mit Lienz.

Daran zeigt sich, dass das Thema parteiübergreifend relevant zu sein scheint. Das Problem ist nur: Die Menschen empfinden den LKW-Transitverkehr auf der Straße als Belastung, es scheinen immer mehr solcher Laster auf Durchzugsstrecken unterwegs zu sein. Aber wie viel es tatsächlich sind und ob die Anzahl in den vergangenen Jahren gestiegen ist, lässt sich nur anhand von Daten belegen. Aber die Datenlage ist dünn.

Das Landesstatistikinstitut astat veröffentlicht Daten der Verkehrszählungsstellen und unterscheidet dabei PKW und Schwerverkehr ebenso wie die Fahrtrichtung. Aber es lässt sich aus den Daten an Querschnitten der Südtiroler Zählstellen der Anteil des echten Transitverkehrs nicht ermitteln. Es lässt sich anhand der Zahlen aber abschätzen, dass der Quell-Zielverkehr in der Region deutlich höher ist als der Transitverkehr. Gerade die Zählstelle bei St. Georgen macht das deutlich.

Thomas Bausch leitet das Kompetenzzentrum Tourismus und Mobilität der Freien Universität Bozen am Standort Bruneck. Im Interview spricht er über die Auswirkungen der Pandemie auf den Tourismus. Und er liefert eine spannende Analyse zum Thema LKW-Transitverkehr.

TAGESZEITUNG Online: Herr Professor Bausch, wird die Pandemie den Tourismus im Pustertal langfristig verändern?

Thomas Bausch: Es gibt derzeit keine Indikatoren dafür, dass die Bevölkerung in Europa nach dem Ende der Pandemie nicht wieder zu den liebgewonnenen Reisegewohnheiten zurückkehrt. Im Einzelfall mag es zu Veränderungen auf der Angebotsseite – etwa durch Insolvenzen oder Betriebsübernahmen – ebenso wie bei der Nachfrage, beispielsweise durch kurzfristig gestiegenes Interesse an der Natur, kommen. Doch konnten wir bei anderen Krisen stets beobachten, dass der Gesamtmarkt sich wieder normalisiert. Wir sehen eher durch den Transformationsprozess hin zur CO2-Neutralität in Europa einen mittelfristigen fundamentalen Systemwandel, der durch Veränderungen im Mobilitätsbereich auch den Tourismus verändern wird.

Gibt es Möglichkeiten, die Verkehrssituation auf den Straßen durch das Pustertal zu verbessern?Da die Möglichkeiten, die Verkehrsinfrastruktur kurzfristig deutlich zu verändern, nicht besteht, kann eine Veränderung ja nur durch das Verhalten der VerkehrsteilnehmerInnen erfolgen. Und das ist bei Mitwirken aller durchaus möglich. Die Frage ist hier eher, ob Einheimische wie auch externe Verkehrsteilnehmer dazu bereit sind. Ich befürchte, dass dies ohne Zutun der Politik durch Anreize aber auch Hürden kaum der Fall sein wird.

Macht es in Ihren Augen Sinn, Umfahrungen und Parkhäuser zu bauen? Oder soll man eher auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs setzen?

Pauschal lässt sich das nicht beantworten. Es gibt Gemeinden, die durch den Durchgangsverkehr extrem belastet sind. Hier kann im Einzelfall eine Umfahrung sehr wohl in der Abwägung der positiven, wie die Entlastung der Einwohner, und negativen Effekte durch möglicherweise noch mehr Individualverkehr, das Pendel für eine Umfahrung ausfallen. Ähnlich ist es mit Parkraum. Wenn dieser der besseren Anbindung an den öffentlichen Verkehr dient, etwa durch Park & Ride Konzepte, dann kann dies einen Anreiz bilden, nur einen Teil des Weges mit dem PKW zurückzulegen. Wenn es zentrumsnahe Parkhäuser in Gemeinden sind, deren Zufahrtsstraßen ohnedies schon ständig überlastet sind, dann ist dies kritisch zu hinterfragen. Den öffentlichen Verkehr weiter zu stärken, ist sicherlich eine wichtige Maßnahme, insbesondere im Bereich des Bahnverkehrs. Mehr Busse machen aber nur Sinn, wenn dann auch viele Verkehrsteilnehmer diese nutzen und das Auto stehen lassen. Anderenfalls stehen die Busse ebenso im Stau und sind unattraktiv. Vergessen sollten wir zudem das Potenzial des Fahrrads als Verkehrsmittel nicht. Dank der E-Bikes haben wir hier heute ein tolles Potenzial, das es noch besser zu erschließen gilt.

Wie groß ist der Anteil am Verkehrsaufkommen, der dem Tourismus geschuldet ist?

Dies schwankt jahreszeitlich, tageszeitlich und räumlich sehr stark. Auf den Dolomitenpässen haben wir zum Beispiel um die Mittagszeit im August sicherlich deutlich mehrheitlich Touristen. Grundsätzlich sehen wir aber ja auch im November tagsüber ein recht hohes Verkehrsaufkommen auf vielen Straßen, auch wenn wenige Gäste da sind. Die durch die einheimische Bevölkerung erzeugte Grundlast ist schon deutlich höher als die Zusatzbelastung durch die Gäste.

Derzeit diskutieren die Gemeinden über die Probleme durch den LKW-Transitverkehr: Werden Sie in dieser Diskussion zu Rate gezogen?

Bislang nein.

Ist der Verkehr, beziehungsweise der LKW-Transitverkehr, ein Problem für den Tourismus?

Ganz grundsätzlich gilt: Wenn das Verkehrssystem wegen des zu hohen Verkehrsaufkommens zum Erliegen kommt, dann ist es für alle ein Problem – die Bevölkerung, die heimische Wirtschaft aller Wirtschaftszweige und somit auch den Tourismus wie auch für die Gäste. Im August 2019 haben wir an der Zählstelle Bruneck Ost täglich durchschnittlich rund 25.731 Fahrzeuge gezählt, davon waren 1.304 Schwerverkehr. Da ein erheblicher Teil des Schwerverkehrs auch kleinräumig oder mit Quelle beziehungsweise Ziel im Pustertal stattfindet, ist der Transitverkehr sicherlich ein kleineres Problem, jedoch in einem überlasteten System auch Teil des Problems. Für den Tourismus ist am Ende vor allem auch problematisch, dass das tägliche Leben der einheimischen Bevölkerung und anderer Wirtschaftszweige beeinträchtigt werden kann. Dies führt dann zu der bekannten Overtourism-Debatte.

Würden Sie ein LKW-Transitverbot durch das Pustertal begrüßen?

Der relativ geringe Anteil des Transitverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen rechtfertigt in meinen Augen ein Transitverbot kaum. 

Die Gemeinden ist Süd- und Osttirol fordern Verbote. Ist das eine zielführende Strategie?

Zunächst müsste man erst einmal verlässliche Daten über den tatsächlichen Anteil des großräumigen Transitverkehrs vorliegen haben. Aus der Tatsache, dass ein LKW ein Kennzeichen aus Osteuropa oder dem Baltikum hat, lässt sich noch lange nicht schließen, woher er kommt und wohin er fährt. Viele Speditionsunternehmen haben Subunternehmer aus diesen Staaten, um die Lohnkosten zu senken. Diese übernehmen auch Lieferungen und Abholungen in Südtirol. Sollte der deutlich größere Anteil des Verkehrs durch die regionalen Wirtschaftsunternehmen generiert werden, etwa durch Zulieferung von Teilen und Materialien und den Abtransport von erzeugten Produkten, dann würde sich das schnell relativieren. Beispielsweise haben wir in Bruneck mehrere große Automotive-Unternehmen – diese benötigen ja die Lieferungen und den Transport ihrer Produkte. Im Tal finden sich mehrere Produktionsstätten von holzverarbeitenden Betrieben. Der Transport von Lebensmittel zu den Supermärkten ist ebenso zu sehen wie der Abtransport von Abfällen und Müll. Und der Internethandel wird von der Bevölkerung auch rege genutzt. Da kommen schon auch einige LKW zusammen, die rein gar nichts mit Transit zu tun haben.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (12)

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  • rumer

    Ein guter Beitrag eines logisch denkenden Menschen. Viel Verkehr ist von uns selbst gemacht. Und auch wenn ein LKW eine Ladung von Sterzing nach Klagenfurt oder von Bozen nach Villach bringt, so hat sich kein Pusterer aufzuregen, dass der LKW durch sein Tal fährt.
    Der Zug ist im Pustertal keine ernst zu nehmende Alternative, bei einem stärkeren Niederschlag wird die Strecke gesperrt.

    • besserwisser

      Zitat aus dem Artikel/Studie: „Aber es lässt sich aus den Daten an Querschnitten der Südtiroler Zählstellen der Anteil des echten Transitverkehrs nicht ermitteln“. Ja wenn sie es trotz der Zählungen nicht wissen was reden Sie dann gescheit?????

  • robby

    In Zeiten von Corona und Abstandsregeln noch Werbung für den öffentlichen Verkehr zu machen zeigt die realitätsferne solcher Strategen.

  • hallihallo

    ja für uns südtiroler sind immer die anderen schuld.
    die transit-lkw, die touristen, die..
    wenn dann der südtiroler auf urlaub oder ins wochenende fährt, ist er halt auch ein tourist der verkehr produziert. und wenn in seine firma teile geliefert werden , dann ist das für alle an der strecke wohnende bürger transit, egal ob im pustertal oder inntal oder bayeren oder….
    das pustertal kann man seit jahren nur mit 60 km/h befahren , wenn es gut geht.
    aber daran sind sie selber schuld, weil sie vor 20 jahren einige grünen aufgesessen sind und gegen den ausbau der brixen-bruneck waren.
    durnwalder ist der bauernlobby entgegengekommen und mussner war einfach zu schwach.

  • tirolersepp

    Erstens: sich auf die Straße stellen jeden einzelnen Fragen woher kommst, wohin fährst du, was hast du geladen !
    Ergibt eine aussagekräftige Studie !!!
    Zweitens: der Verkehr auf der Straße ist viel zu billig, Erhöhung der Maut und Besteuerung und schon haben wir den halben Verkehr !!!

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