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Abgeschottet von der Außenwelt

Ein Jahr Bauzeit auf dem Becherhaus auf 3.200 Metern Höhe: Peter Trenkwalder, Chef der höchsten Baustelle Südtirols, über die Schwierigkeiten – und über einige Anekdoten.

Tageszeitung: Herr Trenkwalder, seit wann sind Sie und Ihr Team mit den Bauarbeiten am Becherhaus beschäftigt?

Peter Trenkwalder: Seit 25. August 2020. Fast ein Jahr. Wir haben den ganzen Winter durchgearbeitet. Andernfalls hätte die Hütte heuer nicht geöffnet werden können. Es waren viele Reparaturen an Wasser- und Stromleitungen zu tätigen. Man hätte den Gästen nicht zumuten können, auf einer Baustelle zu schlafen. Daher haben wir das schwierige Projekt Winter-Bau gestartet – und es ist gelungen.

Welche Bauarbeiten wurden getätigt?

Es wurde ein Zubau gebaut, eine neue Stube auf der Ostseite. Ab nun haben alle Bergsteiger, die auf der Hütte nächtigen, einen Sitzplatz. Zuvor musste in Turnussen gegessen werden, denn es gab 100 Schlafplätze und nur 50 Plätze in der Stube. Die Fassade, das Dach und die Fenster werden erneuert. Die gesamte Elektroanlage und das Wassersystem wurden ausgetauscht. Zudem wurde eine neue Terrasse gemacht, um mehr Platz zu haben. Und diese ist wirklich schön geworden: Sie wurde wieder so hergestellt, wie sie einst war. Die Kirche ist unser Heiligtum: Diese haben wir gleich zu Beginn saniert.

Vor welchen Herausforderungen stand Ihr Team?

Das Schwierigste ist, auf dieser Baustelle, auf 3.200 Metern Meereshöhe, zu leben. Wir waren komplett von der Außenwelt abgeschottet. Wir mussten uns eine Sicherheitsstrategie überlegen, im Falle, dass sich jemand verletzt hätte, was zum Glück nicht geschehen ist. Wir waren jedoch ein eingespieltes Team. Die große Kunst war, die richtigen Leute ins Team zu holen. Diese Leute müssen viel aushalten. Meistens hatten wir ja schlechtes Wetter. Die Mitarbeiter müssen die Höhe vertragen. Tägliches Waschen und Duschen steht nicht auf dem Programm. Wasser gibt es im Winter keines. Es musste Schnee zu Wasser gekocht werden. Jeden Tag musste Schnee geschöpft werden. Jeder hatte zwar seine eigene Kammer, wir schliefen jedoch alle in einem Zimmer. Aber der Wille und die Motivation passten. Deshalb hatten wir es auch bärig.

Abgeschottet von der Außenwelt: Wie groß ist die Gefahr, dass Unstimmigkeiten im Team auftreten?

Diese Gefahr besteht allerdings. Schlimm ist es zum Beispiel, wenn es zu Hause irgendwelche Probleme gibt, wenn die Partnerin nervös wird oder sie nicht will, dass ihr Mann zu lange weg ist. Das Private musste im Vorfeld abgeklärt werden. Denn wenn es in dieser Höhe schneit, kann man nicht in kurzer Zeit nach Hause kommen. Dann steckt man fest.

Die größten Probleme?

Ein großes Problem war die Logistik: Am Becherhaus gibt es keinen Platz für Materialablagerungen. Wir haben immer in Bauabschnitten gearbeitet und uns nach dem Wetter gerichtet. Ob Samstag oder Sonntag, das spielt bei solchen Aufträgen keine Rolle. Maximal kann man es zehn Tage auf einer solchen Baustelle aushalten, dann muss man ins Tal, um sich mal abzuwaschen und um drei, vier Tage Pause zu machen. Dann sind wir wieder hinauf.

Peter Trenkwalder

Wie viele Arbeiter waren durchgehend am Becherhaus?

Bis zu Weihnachten waren wir immer zu viert – das Kernteam. Dann haben wir alles für weitere Mitarbeiter vorbereitet. Ab Weihnachten waren immer 13 bis 16 Leute auf dem Becherhaus, inklusive der Koch, der uns verpflegt hat. Bei solchen Arbeiten braucht man Leute, die den Berg gewöhnt sind, sonst ist man zum Scheitern verurteilt.

Wenn es um die Sanierung von Schutzhütten geht, sind Sie meist mit von der Partie: War diese Baustelle eine der schwierigsten?

Es war eine sehr, sehr große Herausforderung: Wir wussten selbst nicht, ob das Experiment mit dem Winter-Bau klappen würde. Haben wir genug Wasser? Innen war alles gefroren. Lange Zeit hatten wir nur einen warmen Raum. Die große Frage war auch, ob und wie wir die Zeit psychisch und physisch überstehen. Aber es ist gelungen. Angst habe ich nie gehabt, mein Team auch nicht. Aber oft ging es knapp her: Es mussten Entscheidungen mit großer Tragweite gefällt werden. Gerade bei einer Schlechtwetterfront war höchste Vorsicht geboten: Denn wäre etwas passiert, wäre keine Rettung gekommen. Wir waren auf uns allein gestellt. Aber wir waren auch alle für solche Situationen ausgebildet: Der größte Teil der Mitarbeiter waren Bergretter. Und wir haben sehr große Unterstützung von der Bauleitung mit Ingenieur Hans Pardeller und vom Land – nicht nur vom Landesrat, sondern auch vom Landeshauptmann erhalten.

Inwiefern?

Wir hatten hier beispielsweise eine Fahne hängen. Diese brauchen wir, um zu wissen, wie der Hubschrauber aufgrund des Windes den Flugplatz anfliegen muss. Diese alte Südtirol-Fahne habe ich im Keller vom Becherhaus gefunden, die es jedoch nach wenigen Wochen durch den Wind zerfleddert hatte. Über die Webcam war diese Fahne zu sehen – und sofort haben sich einige Leute beschwert. Ich habe daher beim Land angerufen und wurde ans Büro des Landeshauptmannes weiterverwiesen. Ich selbst darf ja keine Fahne kaufen, es muss ja eine offizielle sein. Einen Tag später durfte ich nach Bozen fahren, um die originale Südtiroler Fahne zu holen, die bei allen Schutzhütten ausgehängt ist. Man muss sich also auch um solche Dinge kümmern (lacht). Alle Landesvertreter, allem voran das Amt für Bauerhaltung mit Daniel Bedin und Stefano Rebeschini, waren stets sehr hilfsbereit und sobald ich mich gemeldet habe, wurde sofort reagiert.

Das Material musste mit Hubschrauber angeliefert werden…

Es wurden schätzungsweise 100 Tonnen Material angeliefert, 400 bis 500 Flüge wurden getätigt. Der Flugtransport ist im Winter einfacher zu vollziehen. Es ist ruhiger und keine Gäste sind vor Ort. Es war zwar gefährlich – das darf man nicht schönreden – aber es hat perfekt geklappt, denn wir haben mit dem Heli Team von Air Service Center die besten Partner auf unserer Seite.

Welche Extremverhältnisse mussten Sie aushalten?

Im Oktober hat es mal über 1,5 Meter geschneit. Im April und Mai herrschten teilweise Temperaturen bis zu minus 28 Grad. Das war nicht mehr lustig. Denn auch in den Zimmern herrschten Grade bis zu minus 10. Dann muss man wissen, was man tut. Kein Fehler ist erlaubt: Denn alle Lebensmittel gefrieren. Eine Person musste dann den ganzen Tag über Feuer machen, um nur ein wenig Wärme zu haben.

Wie lange dauern die Arbeiten noch an?

Das Becherhaus ist schon offen. Wir hatten uns das Ziel gesetzt, bis zum 19. Juni, am Eröffnungstag, alle Arbeiten im Innenbereich abzuschließen, damit die Gäste kommen können. Das haben wir geschafft. Mein Glück war, dass uns der bisherige Hüttenwirt, Erich Pichler, bis spät in den Herbst hinein alles gelernt und gezeigt hat. Allein den Strom auf der Becherhütte einzuschalten, ist eine Kunst. Dann hat Lukas Lantschner, ehemaliger Wirt der Müllerhütte, das Becherhaus übernommen. Ohne diese beiden hätten wir es nicht geschafft. Jetzt wird noch die Außengestaltung abgeschlossen. Das Becherhaus, auch Kaiserin-Elisabeth-Haus genannt, wurde 1894 erbaut. Am 16. August, vor 127 Jahren, wurde es damals zum Geburtstag von Franz Joseph I eröffnet. Wir haben uns vorgenommen, das auch zu schaffen. Und das werden wir auch – zu Ehren von Kaiser Franz Joseph und den damaligen Erbauern, die uns als Vorbild dienen. Wir als Mannschaft – wir nennen uns das Becher-Team – sind sehr stolz, dass wir das Projekt überhaupt in Angriff nehmen durften.

Interview: Erna Egger

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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