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Und sie bewegt sich doch (noch) nicht!

Präsentation des Kirchenvolksbegehrens am 23. November 1995: (v.l.) Franz Thaler, Sr. A. Neunhäuserer, Robert Hochgruber, Dekan G. Peer, Georg Oberrauch und G. Windisch.

Vor 25 Jahre startete das Kirchenvolksbegehren in Südtirol. Was ist aus den Vorschlägen und Forderungen  geworden? Ein Beitrag des ehemaligen Vorsitzenden der Initiativgruppe Robert Hochgruber.

Es war einmal im nicht allzu fernen Jahr 1995 da glaubten eine kleine Schar von engagierten Gläubigen, die Leitung der Katholischen Kirche durch eine Unterschriftenaktion zu Reformen bewegen zu können.

Es begann in Österreich. Der Wiener Kardinal Groer, dessen Ernennung sehr umstritten war, wurde des sexuellen Missbrauchs an einem seiner Heimschüler bezichtigt und stritt alles ab. Das brachte das Fass zum Überlaufen und war der Anlass für das Kirchenvolksbegehren. Im Frühjahr 1995 bildete sich in Innsbruck die Plattform Wir sind Kirche. Sie bestand aus engagierten Gläubigen, die aus Liebe zur Kirche, wie sie es formulierten, Reformforderungen aufstellten, um geleitet vom Evangelium die Glaubwürdigkeit der Kirche wiederherzustellen.

Eine Erneuerung im Geiste Jesu sollte durch die Umsetzung folgender fünf Forderungen geschehen:

  • Aufbau einer geschwisterlichen Kirche durch echte Mitentscheidung der Laien in den Räten, Mitsprache bei der Wahl der Bischöfe,
  • volle Gleichberechtigung von Frauen in allen kirchlichen Gremien sowie in Bezug auf Diakonats- und Priesterweihe,
  • Freistellung des Pflichtzölibates für Priester,
  • positive Bewertung der Sexualität, keine Verurteilung in der Frage der Homosexualität
  • Verkündigung des Glaubens als Frohbotschaft, mehr Verständnis für wiederverheiratete Geschiedene, verheiratete Priester ohne Amt und soziale Randgruppen.

Die Aktion wurde mit mehr als 500.000 Unterschriften ein großer Erfolg. Die Leitung der Kath. Kirche in Österreich war herausgefordert. Überall im deutschen Sprachraum fand das Kirchenvolksbegehren Beachtung, denn die Reformanliegen gingen weit über Österreich hinaus. So entstand auch in Südtirol und Deutschland Interesse. Im Herbst 1995 fand das Kirchenvolksbegehren mit denselben Reformanliegen in Deutschland statt, mit 1,8 Millionen Unterschriften wiederum ein großer Erfolg. In Südtirol entschied sich eine private Gruppe, das Kirchenvolksbegehren durchzuführen. Ohne Organisation und Geld, ohne Logistik und Hilfe von kirchlichen Verbänden, nur getragen von der Überzeugung, dass Reformen in der Kirche nötig und dringend seien und die Kirchenleitungen auf den verschiedenen Ebenen die Meinung der Gläubigen erfahren sollten, begann das waghalsige Unternehmen. Unterstützung erfuhr die Initiativgruppe für eine lebendigere Kirche / Per una Chiesa più umana / Pur na dlijia plü via, die sich als Trägerorganisation gebildet hatte, nur von einigen Medien, wie der ff, Südtirol Profil und vom RAI Südtirol sowie Bezirkszeitungen.

Unterschriftensammlung in Brixen 1995

Bischof Wilhelm Egger versuchte zunächst, die Unterschriftensammlung zu verhindern. Dann ließ er durch seinen Generalvikar erklären, dass das Kirchenvolksbegehren verboten sei. Das stellte sich als Bumerang heraus, denn so manche Gläubige unterschrieben jetzt erst recht. Einige Religionslehrer*innen und Priester wagten aber nicht, sich offen zu ihrer Meinung zu bekennen. Im Vorfeld des Kirchenvolksbegehrens, das vom 26.11. bis 17.12.1995 stattfand, gab es eine Reihe von Podiumsdiskussionen mit Gegnern und Befürwortern in allen größeren Städten sowie hitzige Auseinandersetzungen in den Leserbriefspalten der Zeitungen, im Radio und Fernsehen. Aufbruchstimmung war zu spüren. Viele Menschen schätzten es sehr, durch eine Unterschrift ihre Stimme für eine Erneuerung der Kirche abgeben zu können. Andere drückten deutlich ihr Missfallen und ihre Ablehnung aus. Sie hatten Angst um den rechten Glauben und um die Kirche als Institution. Die Initiativgruppe hatte sich zum Ziel gesetzt, wenigstens 10.000 Unterschriften zu sammeln. Am Ende unterschrieben 18.284 Personen das Kirchenvolksbegehren, ein großartiger Erfolg, ein Wehen des Geistes Gottes!

Internationales Treffen in Rom, 2001

Die Promotorinnen und Promotoren sahen sich in ihrem Engagement für eine zeit- und evangeliumsgemäße Kirche bestärkt und arbeiteten trotz Ablehnung durch die Diözesanleitung weiter. In zahlreichen Presseaussendungen meldete man sich kritisch und konstruktiv zum Kirchengeschehen zu Wort. Die Zeitschrift Impulse für eine Kirche in Freiheit und Vielfalt wurde halbjährlich herausgegeben. Sogenannte Herdenbriefe zu den fünf Forderungen wurden geschrieben, spirituelle Ausflüge gemacht. Große Persönlichkeiten wie E. Drewermann, Bischof J. Gaillot, Mina Welby, Giovanni Franzoni und Eva Rossmann wurden zu Vorträgen eingeladen, eine Kirchenvolksanwaltschaft vorgeschlagen, wie auch ein Versöhnungszeichen mit den Hutterern. Das Partnerschaftsregister der Gemeinde Bozen wurde unterstützt und Solidarität mit Homosexuellen gezeigt, die Aktion Lila Stola und die Laienpredigt durchgeführt, monatlich ein Gottesdienst in Brixen selber gestaltet, im internationalen Netzwerk We are church mitgearbeitet. Im Jahre 2008 stellte die Initiativgruppe für eine lebendigere Kirche ihre Tätigkeiten ein, weil die Kirchenleitung nicht zu Reformen bereit war.

Und was ist aus dem Kirchenvolksbegehren und all den Vorschlägen geworden?

Keine der Forderungen wurde bis jetzt umgesetzt, ganz wenige Vorschläge. Es ist ein Elend mit der Kirche, formulierte es kürzlich ein Mann. Eine Frau fügte hinzu, die Kirche sei ein sich selbst abschaffendes Auslaufmodell. Sie befindet sich in einer Krise, hat Papst Franziskus vor wenigen Tagen zugegeben. Junge Menschen und Frauen kehren ihr zunehmend den Rücken. Nur zu bestimmten Feierlichkeiten, wie z.B. Taufe, Erstkommunion, Firmung, Hochzeit, Beerdigung wird ihr Dienst in Anspruch genommen. In der Corona-Krise hat die Kirchenleitung meist geschwiegen. Die noch wenigen Priester haben einen Altersdurchschnitt von 75 Jahren. Frauen werden nach wie vor aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert d.h. sie dürfen nicht Diakoninnen oder Priesterinnen werden. Die Sprache in der Kirche ist überaltert, die Verkündigung nicht zeitgerecht. Laien sollen zwar immer mehr arbeiten, mitentscheiden dürfen sie aber nicht. Gepredigt wird von Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung, die Kirche selbst wirtschaftet aber nach kapitalistischem Prinzip. Der Missbrauchsskandal ist nicht wirklich aufgearbeitet. Die Kirchenleitung grenzt homosexuell orientierte Menschen nach wie vor aus, obwohl ca. 20 % der Priester homosexuell sein dürften. Die Strukturen der Kirche sind absolutistisch, priesterzentriert, patriarchal und zentralistisch. Eine umfassende Seelsorge ist nicht mehr möglich, weil die Kirchenleitung die klerikale Macht nicht abgeben will. Der Vatikan hat die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 nach wie vor nicht unterschrieben. Das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes ist eine 150 Jahre alte Unheilsgeschichte. Eine neue Theologie ist vonnöten. Es gilt Gott neu zu denken. Die göttliche Kraft ist in den Menschen, in der Welt (Mystik). Keine Religion darf Gott verwalten.

Wird diese schonungslose Analyse den Bischof oder Papst Franziskus aufrütteln?

Ich vermute nicht. Sie scheinen zu glauben, dass es so weitergehen kann wie bisher oder dass Reformen noch nicht nötig sind oder haben keine Kraft für neue Wege oder Angst, dass konservative Kreise sich abspalten könnten. Noch kann mit Pomp und Prunk gefeiert werden. Noch wird die Kirche von der Politik hofiert. Man braucht sich gegenseitig. Noch werden die Aktivitäten der Kirche von den Gläubigen und der Politik finanziert. Noch haben nicht ausreichend Menschen die Kirche verlassen. Noch gibt es einige Frauen und Männer, die bereit zur Mitarbeit sind, obwohl viele der kritisch denkenden sich schon verabschiedet haben. Noch kann man die Pfarrstrukturen mehr oder weniger aufrechterhalten, auch wenn ein Pfarrer für 5 bis 10 Pfarreien zuständig ist. Das soziale Engagement der Kirche ist nach wie vor großartig und wichtig. Im Rahmen der Kulturgeschichte hat sie vieles geleistet. Sie birgt große Schätze an Spiritualität.

Auflösung der Initiativgruppe an 7. Juni 2008

Die Kirche lebt derzeit mehr schlecht als recht. Der Glaube, die Spiritualität, die Feiern in der Gemeinschaft sowie an den Lebenswenden, die Fragen nach dem Woher und Wohin, nach dem Sinn, dem Leid und dem Tod sind existentielle Fragen für viele Menschen. Eine diesbezügliche Begleitung dürfte zu den wesentlichsten Aufgaben der Kirche gehören. Das ist auch eine berechtigte Erwartung der mehr oder weniger Gläubigen, der Suchenden und Zweifelnden, der Agnostiker und Atheisten. Das ist ihre Aufgabe in der Gesellschaft. Dafür ist eine anerkannte Institution in dieser oder jener Ausprägung mit verschiedenen Zweigen sinnvoll und notwendig.

Ich wage zu behaupten, dass die Kirche in unserer Diözese heute besser dastehen würde, wären die Reformanliegen schrittweise umgesetzt worden. Damit wären nicht alle Probleme gelöst. Die Kirchenleitung bliebe aber handlungsfähig. Ich bin davon überzeugt, dass sich die kath. Kirche weiterentwickeln wird. Es sieht danach aus, dass zuerst die heutigen Strukturen zusammenbrechen müssen. Wir sollen diese Form von Kirche sterben lassen, sagte mir kürzlich ein Freund. Ich stimme zu. Ist diese Erinnerung an 25 Jahre Kirchenvolksbegehren vielleicht meine letzte Kirchenkritik? Eine Mitarbeit in der Kirche sowie bei spirituellen Anlässen kann ich mir aber um der Menschen und der Gemeinschaft willen trotzdem vorstellen, nicht als Lückenbüßer, sondern als freier Christ.

Wie die Kirche nach der derzeitigen Krise aussehen wird, lässt sich nur erahnen. Jetzt schon können aber dem Evangelium entsprechende zukunftsfähige Wege gewagt werden. Freie Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen, gestaltet von freien Theologinnen und Theologen, sowie spirituelle Begleitung sind sinnvoll und möglich. Dazu möchte ich alle ermutigen, denen die Verbindung zu Gott, dem Großen Ganzen, der Kraft der Liebe und dem Geist der Weisheit am Herzen liegt.

 

Statements ehemaliger Vorstandsmitglieder

 Das Kirchenvolksbegehren habe ich als lebendige gemeinschaftliche Kraft erlebt, um einen Wandel in verkrusteten Strukturen zu bewirken. Dieser Wandel hätte zu einem glaubwürdigen Zeugnis des Evangeliums geführt.

Annegret Steck, Naturns

Das Kirchenvolksbegehren war für mich eine hoffnungsvolle Zeit, weil ich damals noch geglaubt habe, die Kirchenhierarchie würde die Basis ernsthaft anhören. Sie ist letztlich ihr Auftrag und ihr Potential.

Sr. Klara Rieder, Brixen

Das Kirchenvolksbegehren war für mich Hoffnung auf baldige Veränderungen, auf mehr Menschlichkeit in der Kirche. Begeisterung war zu spüren, ein Aufbruch, Chancen taten sich auf.

Marta Mittermair, Tschötsch

Das Kirchenvolksbegehren …. Ich wünsche mir eine Kirche, die ihre zentralistischen Strukturen demokratisiert, die den Frauen auf allen Ebenen und Ämtern dieselben Chancen und Rechte zuerkennt, die den Zölibat auf Zeit ausrichtet (z.B. um die 10 Jahre), die die Einheit untereinander mit einem gewählten Rat umsetzt und jedem „Flügel“ seine Identität belässt, die die zentrale Botschaft glaubhaft vermittelt: Die LIEBE (Gott) hat sich im Menschen JESUS selbst mitgeteilt: Ohne die Liebe sind wir nichts.

Karl Trojer, Terlan

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Kommentare (5)

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  • kritiker

    Das bleibt alles Wunschdenken. Die Kirchen und alle Religionen sind vm Prinzip her hierarchisch, despotisch konzipiert und sind voll auf Unterwerfung ihrer Mitglieder aus. Forderten immer schon unbedingten Gehorsam, verteidigten immer ihre Privilegien, verbündeten sich mit alles Diktatoren und Faschisten (siehe Franco, Pinochet, Mussolini, Ustascha in Kroatien. die orthodoxe Kirche richtet es sich mit Putin) Jahrhundertelange Förderung der Sklaverei usw. Schandtaten der Kirchen füllen ganze Bibliotheken.

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