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„Das Menschliche ist verlorengegangen“

Eigentlich ein Widerspruch: Früher organisierte die Krankenschwester Margareta (Maggy) Ploner Feste für Ausländer, jetzt kandidiert die zweifache Mutter für die Lega in Brixen. Was sie an der flüchtlingsfeindlichen Partei begeistert – und wie sie die Corona-Zeit während des Lockdowns im Krankenhaus erlebt hat.

Tageszeitung: Frau Ploner, Sie treten als deutsche Kandidatin für die Lega an. Wie sind Sie zu dieser Partei gekommen?

Margareta Ploner: Ich bin schon seit einigen Jahren Mitglied der Lega. Bereits 2018 habe ich bei den Landtagswahlen kandidiert. Ich habe mir nicht erhofft, gewählt zu werden, habe aber im Wahlkampf viele Erfahrungen gesammelt. Ich bin schon seit langem politisch interessiert. Gerade aufgrund meiner Arbeit bin ich immer wieder mit Situationen konfrontiert, die mich richtig nerven. Nur kritisieren und meckern nutzt aber nichts. Deshalb habe ich beschlossen, zu kandidieren, um im Rahmen meiner Möglichkeiten etwas zu verändern. Und Landesrat Massimo Bessone hat mich immer sehr unterstützt, wofür ich ihm sehr dankbar bin.

Warum gerade die Lega? Sie hätten ja auch für die SVP antreten können…

Für die SVP wollte ich nie kandidieren. Gerade letzthin hatte ich immer mehr das Gefühl, dass die SVP mit unserem Land Schindluder betreibt. Die Sparmaßnahmen in der Sanität ärgern mich. Besonders betroffen macht mich oft die Situation der alten Leute. Nur weil sie drei Euro monatlich zu viel Einkommen haben, sind sie nicht mehr ticketbefreit. Gerade sie haben unser Land zu dem gemacht, was es heute ist. Auch wenn ich die immer länger werdenden Wartezeiten in den Krankenhäusern sehe, ärgere ich mich. Und diesen Unmut spüre ich bei den meisten Patienten. Jetzt bin ich 51 Jahre alt und habe auch den Mut, zu meinen Ansichten zu stehen. Viele sind natürlich auch nicht meiner Meinung.

Sie waren früher eine sehr soziale Frau, haben Feste für Migranten organisiert. Jetzt fühlen Sie sich bei einer Partei beheimatet, die als ausländerfeindlich gilt. Sind Sie zur Rassistin geworden?

Nein, ganz und gar nicht. Ich bin eine überzeugte Legistin und sozial sehr engagiert.

Warum der Sinneswandel?

Es gibt keinen Sinneswandel. Ich bin seit 20 Jahren beim VKE, dem Verein für Kinderspielplätze und Erholung. Dort bemühen wir uns sehr, Kinder mit Migrationshintergrund zu integrieren. Wir bemühen uns auch, die Mütter zu involvieren, die kein Wort unserer Sprache kennen. Es geht nicht um jene Ausländer, die sich integrieren wollen. Es geht um jene, die aufgrund falscher Versprechungen mit überzogenen Erwartungen hierhergeholt wurden und die sich nicht anpassen wollen. Sie werden von unserem Sozialsystem versorgt, Vereine organisieren für sie die Termine, sie werden zu jedem Amt begleitet und ein Dolmetscher übersetzt. Ewig sind sie ticketbefreit. Und wie sieht es bei den alten Leuten aus? Sie wirken oft verloren, kennen sich nicht aus und würden Hilfe benötigen. Ihnen hilft niemand. Das tut mir im Herz weh.

Außerdem: Früher bin ich oft nach einer Sitzung vom Lido mit dem Rad den Bachdamm entlang nach Hause gefahren. Das traue ich mich heute nicht mehr. Dort treiben sich mittlerweile sehr viele Gestalten herum. Und diese Angst haben viele Frauen und Mädchen.

Sie sind Krankenschwester. Immer wieder wird angeprangert, dass die Erste Hilfe mit Ausländern voll ist und dass diesen eine Vorzugsschiene eingeräumt wird…

Diese Kritik höre ich oft von Einheimischen. Das ist aber nicht wahr. Wir versuchen, gerecht zu sein. Es gibt jedoch einen großen Unterschied: Hat ein Ausländer ein Problem, wird er immer von seiner Großfamilie oder mehreren Landsleuten begleitet. Frauen werden oft begleitet, weil sie ja kein Wort verstehen. Diese Gruppen belagern dann die Erste Hilfe. Die Ausländer haben eine niedrigere Schmerzgrenze. Weil wir ihnen keine Vorzugsschiene einräumen und sie aber „furchtbar“ leiden, kommt es zu Konflikten.

Die Wartezeiten ärgern Sie besonders…

Um diese abzubauen, müsste mehr Personal angestellt werden. Eine Auslagerung auf private Ärzte und Kliniken ist keine Lösung. Während der Covid-Zeit ist die Hoffnung aufgetaucht, dass der Personalstand aufgestockt wird. Aber dieser Traum ist nun auch schon wieder geplatzt, es wird weiter gespart. Stellen, auch in der Verwaltung, werden nicht mehr nachbesetzt. Wir stehen unter Druck: Wir müssen genau dokumentieren, wie viel Zeit wir für was und für welchen Patienten brauchen. Die Kollegen im Betrieb resignieren, sie haben das Gefühl, dass nur bei uns gespart wird. Von einer Gehaltserhöhung braucht man gar nicht zu träumen. Die Patienten schimpfen alle, sie zu besänftigen ist in den meisten Fällen nicht möglich. Die Stimmung ist ungut. Auch weil gewisse Entscheidungen nicht nachvollziehbar sind.

Ein Beispiel?

Bestimmte Termine kann man beispielsweise nur mehr online vormerken. Ich muss alte Leute, die persönlich vorstellig werden und die keinen Computer zu Hause haben, verschicken, ohne ihnen einen Termin zu machen. Diese sind oft hilflos und überfordert. Das Menschliche und Bürgernahe ist verlorengegangen.

Sie waren während des Lockdowns immer im Einsatz. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Die Krankheit hat uns wie eine Welle getroffen, von einem Tag auf den anderen. Ich arbeite in der Chirurgie-Ambulanz im Brixner Krankenhaus, war dann über Wochen auf einer der Covid-Abteilungen im Dienst. Für mich war klar, dass ich meinen Beitrag leisten will. Die ersten Wochen waren sehr anstrengend. Nach den Zwölf-Stunden-Schichten war ich k.o. Aber man gewöhnt sich an den Stress und der Personalschlüssel war in diesen Wochen etwas höher, auch weil keine Ambulanzen offen waren. So hatte man sogar manchmal Zeit, mit einigen Patienten im Flur ein Stück spazieren zu gehen. Das war oft auch schön.

Es ging das Gerücht um, dass Ärzte bereits bei der Einlieferung entschieden haben, welchen Patienten sie sterben lassen und welchen sie retten wollen…

Es sind viele wirklich schlimme Gerüchte zirkuliert. Ich habe sogar gehört, dass wir den Patienten Todescocktails verabreichen würden. Die Ärzte waren sehr gefordert. Das Wissen über diese Krankheit ist nach wie vor gering. Unsere Ärzte haben sich sehr bemüht, Informationen auch von Bergamo zu holen. Sie haben die Patienten und ihre Symptome beobachtet, Pathologien verglichen usw. Wir haben niemanden sterben lassen.

Ein großes Leid war, dass Angehörige ihre sterbenden Patienten nicht besuchen durften…

Wenn der Patient wirklich im Sterben lag, haben wir in Brixen und Sterzing einen Angehörigen zu ihm gelassen. Das haben wir auch bei der Kleidung einkalkuliert. Diese Situation war für die Betroffenen trotzdem sehr schlimm: Die Angehörigen mussten die Schutzanzüge mit Haube, Brille, Maske, Schürze und Überschuhe anziehen, sie waren verkleidet wie Astronauten. Gerade die dementen Patienten, die von uns nur die Augen wahrgenommen haben, weil wir ja in der Schutzausrüstung verpackt waren, wirkten verstört. Viele Angehörige waren jedoch selbst in Quarantäne und durften nicht kommen. Wir haben uns dann sehr um die Patienten bemüht, die es oft aber nicht mehr mitbekommen haben. Kurz vor dem Tod sind sie meist sehr schläfrig geworden.

Sie haben einen erwachsenen Sohn und einen weiteren Sohn im Volksschulalter. Wie haben Sie die Arbeitswelt mit der Familie gehändelt?

Mein großer Sohn Rene unterrichtet. Er war zu Hause und hat sich um alles gekümmert. Mein Mann musste ja auch zur Arbeit. Rene hat mit dem jüngeren Bruder die Hausaufgaben erledigt und den Haushalt gemanagt. Ich hatte somit noch Glück. Ich habe Kolleginnen, die nur die Nachtdienste gemacht haben, um untertage bei den Kindern sein zu können.

Wurden Sie aufgrund Ihrer Arbeit ausgegrenzt?

Ein bisschen schon. Aber ich hatte Verständnis dafür. Mir tat es nur für meinen kleinen Sohn leid, der natürlich keine Spielkameraden mehr hatte. Ich wollte das auch nicht verantworten, wenn ich wirklich infiziert worden wäre.

Hatten Sie große Angst, infiziert zu werden?

Vielleicht bin ich ein bisschen zu abgebrüht: Ich hatte eigentlich keine Angst. Wenn, dann wären wir schon vor dem Lockdown infiziert worden. Zwei Wochen, bevor alle Schutzmechanismen ergriffen wurden, hatten wir die Anordnung, nur die Maske aufzusetzen, wenn ein konkreter Verdacht besteht. So waren die Vorschriften. Wenn, dann hätten wir uns in dieser Zeit angesteckt. Effektiv gab es in unseren Abteilungen nur ein paar einzelne Angestellte, die infiziert wurden.

Waren wirklich die Abteilungen zu einem Zeitpunkt kurz vor dem Kollaps?

Für eine kurze Zeit schon. Doch dann trat plötzlich kurz vor Ostern sehr schnell eine Entspannung der Situation ein.

Zurück zu Ihrer Kandidatur: Welche Chancen rechnen Sie sich aus, auch gewählt zu werden?

Ich kann meine Chancen nicht einschätzen, aber ich hoffe sehr, dass ich gewählt werde.

Ihre Schwerpunkte?

Die Kinder, Frauen und besonders die Senioren. Es gibt sehr viele, die allein sind und sich bei vielen Dingen nicht mehr zurechtfinden. In der Sanität werde ich nicht viel ausrichten können. Diesbezüglich muss man realistisch bleiben.

Interview: Erna Egger

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (113)

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  • george

    Die Lega ist mit der SVP an der Regierung. Wieso ändern sie dann nicht die Situationen direkt im Regierungsgeschäft oder vor Ort?
    Meint sie wirklich mit ihrer Einstellung bei den richtigen zu kandidieren, die bisher auch keine Lösung der Beanstandungen zustande brachten und nur dasselbe betreiben wie die Regierenden und Herrschenden im Lande?

    • rumer

      Die SVP betreibt mit unserem Land Schindluder…..bravo, gut gesagt!
      Die SVP hat unsere Sanität kaputt gemacht, sie ist nicht in der Lage ein europäisches Sanitätsniveau aufrecht zu erhalten, geschweige denn, fähige Personen damit zu beauftragen.
      Unterstellt die Südtiroler Sanität der Nordtiroler Gesundheitsbehörde, damit wir wieder Anschluss an europäische Verhältnisse bekommen.

      • leser

        Rumer
        Was ist denn ein europäisches sanitätsniveau?

        • rumer

          @leser
          Österreich und Deutschland haben ein Sanitätssystem auf europäischem Niveau. Julia Unterberger hat sogar zugegeben, dass die SVP die Südtiroler Sanität ruiniert hat, indem sie in einem Interview meinte: wir sollten nicht länger so tun, als hätten wir ein gleich gutes Sanitätssystem wie Nordtirol oder Bayern…..
          Konkret siehst du das bei:
          der Anzahl der Intensivbetten pro Einwohner
          der Wartezeit für eine Visite
          dass Österreich und Deutschland einige unserer Coronakranken übernommen hat.
          usw….

          • steve

            @rumer mag sein! In Ö und D müssen sie halt Steuern und Krankenkasse zahlen bei uns genügt es Steuern zu zahlen um versichert zu sein! Alles hat seinen Preis…

          • rumer

            @steve
            ich weiß nicht wo du wohnst, aber wir im Pustertal zahlen in die Krankenkasse ein, und das nicht wenig. Im Gegenzug kriegen wir eine Chaostruppe bei den Masken, italienische Ärzte und lange Wartezeiten.

  • ostern

    6 Monate Wartezeit für eine jährliche Kontrollvisite
    für mich, der früheste Termin in einem Spital in Südtirol.
    (Hoffentlich stirb i net)!!!

  • meintag

    Ein Bekannter von Mir meinte kürzlich, dass Er sich auf seinen Arbeitsplatz angesprochen öfters schäme dass Er im Krankenhaus arbeitet. Da kann es dann passieren dass Südtiroler deutscher Muttersprache in den italienischen Parteien Mehr Inhalte finden als in SVP oder Opposition der Marktschreier einer Mair oder Knoll.

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