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Null Bock

Nur noch jeder zweite Südtiroler geht wählen. Wie der Regionalassessor für Politikmüdigkeit Franz Locher insbesondere die Jugend wieder für die Politiker begeistern will.

Von Matthias Kofler

Demokratie lebt vom Mitmachen – heißt es. In Südtirol lebt sie vor allem von der Hoffnung, dass sich irgendjemand noch zum Mitmachen überreden lässt. Denn die Wahlbeteiligung befindet sich im freien Fall. Bei den EU-Wahlen 2024 lag sie erstmals unter der symbolischen 50-Prozent-Marke – nur 49,55 Prozent der Wahlberechtigten machten ihr Kreuz. Zum Vergleich: Noch 2019 waren es 63 Prozent. Ein Absturz mit Ansage.

Dabei ist das Problem nicht neu. Schon bei der Landtagswahl 2023 lag die Beteiligung bei nur 71,5 Prozent – dem niedrigsten Wert in der Geschichte Südtirols. Bei den Gemeindewahlen 2020 gerade mal 65,4 Prozent, bei der Parlamentswahl 2022 waren es 62,23 Prozent – unter dem nationalen Schnitt. Früher galten die SüdtirolerInnen als wahre Musterbürger in Sachen Urnengang. Heute eher als still resignierende Zaungäste.

Man könnte fast meinen, Demokratie sei ein lästiger Pflichttermin geworden – irgendwo zwischen Zahnarztbesuch und Collaudo fürs Auto.

„Ein stilles, aber deutliches Signal“, nennt Gemeinden-Assessor Franz Locher den Befund. Und stellt fest: „Das demokratische Fundament gerät ins Wanken.“ Der Trend sei „nicht zu ignorieren“. Der stetige Rückgang zeuge von einer „wachsenden Distanz zwischen Bevölkerung und politischen Institutionen“.

Sätze, die nach Dringlichkeit klingen – aber in Maßnahmen übersetzt bislang nur eines bedeuten: eine Stunde länger wählen. Die Stimmabgabe ist bei den kommenden Gemeindewahlen bis 22 Uhr möglich, damit die Südtiroler auch nach ihrem verlängerten Kurzurlaub über das verlängerte 1.Mai-Wochenende noch schnell zur Urne hetzen können.

Mariachiara Franzoia (PD) zeigte sich im Regionalrat sichtlich unbeeindruckt. Sie hatte sich in ihrer mündlichen Anfrage mehr erwartet als ein bisschen verlängertes Wahllokal und viel wohlmeinende Rhetorik. Vor allem auf dem Feld der institutionellen Kommunikation müsse endlich etwas passieren, forderte sie. „Es braucht innovative Kommunikationsstrategien und den Mut, neue Plattformen zu bespielen“, sagte sie – ohne gleich TikTok zu sagen, aber genau das war gemeint. Politische Bildung 2025, nicht 1995. Und vor allem: endlich Ernsthaftigkeit im Kampf gegen die „fürchterlichen Prozentsätze“.

Franzoias Appell: Es brauche keine Millionen für fette Kampagnen – oft reiche schon ein bisschen Wille. Doch davon ist auf Regierungsseite wenig zu spüren. Locher verwies auf die hohe Zahl an KandidatInnen: Allein in Südtirol treten 260 Bürgermeisterkandidaten an, darunter 62 Frauen, sowie rund 3.900 KandidatInnen für die Gemeinderäte. Demokratie auf dem Papier funktioniert also noch. Nur die WählerInnen scheinen langsam auszusteigen.

Ausnahmen wie die Gemeinde Wengen, wo bei der letzten Wahl über 80 Prozent zur Urne gingen, bestätigen die Regel. In den meisten Gemeinden liegt die Beteiligung deutlich darunter. Locher sieht das Problem durchaus – aber die Verantwortung verteilt er auf viele Schultern: Die politischen Vertreter müssten „nicht nur nach den Ursachen forschen“, sondern auch „konkrete Maßnahmen” treffen, damit Demokratie keine Einbahnstraße wird.

Auch die Bürgermeister vor Ort seien gefordert, meint Locher. Wahlmobilisierung sei nicht nur Sache der Institutionen. Und überhaupt: „Jede Stimme, die nicht abgegeben wird, schwächt unser Mandat und unsere Demokratie.“

Laut dem Sarner Assessor gegen Politikverdrossenheit wäre eigentlich die Europäische Gemeinschaft zuständig, um Wahlwerbung zu machen. Nur: „Geld ist nicht der richtige Weg“, findet der Sarner.

Dabei mangelt es der Opposition nicht an Ideen. Man könnte etwa gezielt junge Menschen ansprechen – nicht mit Bleiwüsten, sondern mit Reels. Nicht mit Infoständen im Schulhof, sondern mit Diskussionen auf Twitch. Stattdessen sehe die Mehrheit die Demokratie zunehmend als Holschuld und erschwere das Mitmachen mit Quoten und Unterschriftensammlungen, kritisiert die Opposition. Nach dem Motto: Wer will, kann ja wählen. Wer nicht, hat halt Pech gehabt.

Der nächste Wahltag kommt am 4. Mai. Die Frage ist nur: Wer kommt mit?

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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