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„Eine Zerreißprobe“


Wie LH Arno Kompatscher das Wahlergebnis in Deutschland analysiert. Und warum er seine SVP in einer Sonderrolle sieht.

Tageszeitung: Herr LH, haben Sie Olaf Scholz schon zum Wahlsieg gratuliert?

Arno Kompatscher: Nein, ich sehe keinen substantiellen Grund dafür, auch nicht gegenüber anderen Kandidaten.

Wie fällt Ihre Analyse zum Wahlausgang aus?

Die Grünen und die FDP werden sich nun darüber unterhalten, wer neuer Kanzler werden soll. Das wird für beide Parteien eine schwierige Aufgabe. Beide müssen eine Zerreißprobe durchstehen: die FDP, weil sie mit der SPD koalieren müsste und die Grünen, weil sie mit CDU/CSU regieren müssten. Man kann sich auf eine Art Bieterwettbewerb einstellen. Nach dem Motto: Wer bietet mehr?

Was sagt Ihnen Ihr Bauchgefühl?

Ich wage keine Prognose. Die Frage ist, was nun in der CDU/CSU passiert. Wird die Union an Laschet als Kanzlerkandidaten festhalten, so wie es die Führungskräfte am Wahltag angekündigt hatben. Heute gab es teilweise bereits andere Signale. Wenn die Union ihren Vorsitzenden „verräumt“, wird sie sich mit der Oppositionsrolle zufriedengeben müssen. Es wird keinen fliegenden Wechsel ins Kanzleramt geben. Sowohl bei Laschet als auch bei Scholz gibt es Licht uns Schatten. Ich halte beide für sehr fähige Politiker. Entscheidend ist, wer es schafft, eine stabile Regierung zu bilden. Das ist auch im Interesse Südtirols.

Wäre es nicht eine Missachtung des Wählerwillens, sollte Wahlverlierer Laschet zum Kanzler gewählt werden?

Es hängt von der Betrachtung ab. Die CDU wurde stark abgewählt, ist aber prozentuell nahezu gleich stark wie die SPD. Die Personenpräferenz geht aber eindeutig in Richtung Scholz. Grüne und FDP werden in den Verhandlungen versuchen, ihre Inhalte durchzusetzen und maßgebliche Machtpositionen, etwa das Finanzministerium, zu erringen.

Die beiden Volksparteien liegen in Deutschland nur mehr bei 25 Prozent. Welche Lehren zieht die SVP daraus?

Mit unseren 43 Prozent haben wir auf europäischem Niveau ein außerordentliches Ergebnis erzielt. Die Frage ist, ob wir diese Zustimmung halten können. Die Politik hat eine weitere Differenzierung erfahren, die Parteienlandschaft ist stark zersplittert. CDU und SPD haben sich auf niedrigem Niveau angeglichen. Vergleichsweise viele Protesstimmen gingen an „andere“ Parteien, an die AfD und in überraschend geringem Ausmaß an die Linken. Die Volksparteien müssen sich fragen, wie sie es schaffen, diese Stimmen zurückzugewinnen.

Bis auf die AfD hat es keine Partei in den Bundestag geschafft, die gegen die Corona-Politik mobil macht.

Das bestäigt, dass der große Teil der Bevölkerung unseren Kurs, der sich an den wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, mitträgt, auch wenn nicht jede Einzelentscheidung bis ins Tausendstel für gut befunden wird. Diejenigen, die diesen Kurs nicht mittragen, sind zwar eine laute, aber sehr kleine Gruppe.

Interview: Matthias Kofler

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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