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Das „Overbooking“-Phänomen

(Foto: 123RF.com)

Der nationale Verband der leitenden Internisten der Krankenhäuser klagt über eine dramatische Überlastung der Bettenkapazität in ihren Abteilungen. Auch in Trentino-Südtirol beanstandet er eine überdurchschnittliche Überlastung von 67 Prozent.

von Christian FrankGroßer Ansturm und zu wenig Personal – das Leid im Pflegebereich ist bekannt. Vor allem die erbitterte Suche nach Plätzen in den Altenheimen sorgt immer wieder für Empörung. Doch auch die Krankenhäuser hadern mit ähnlichen Erschwernissen. In Italien zieht nämlich das Phänomen des sogenannten „Overbooking“, also zu Deutsch des Überbuchens, seine Kreise. Damit ist nicht etwa die Überbuchung eines Reisefliegers gemeint, sondern der Umstand, wenn die Anzahl der Patienten in den Abteilungen des Krankenhauses die Bettenkapazitäten übersteigt. Die Vereinigung der leitenden Internisten im Krankenhaus schlägt deshalb Alarm und zeichnet ein bedrückendes Bild in vielen Regionen Italiens, wovon auch Trentino-Südtirol nicht gefeit ist.

Konkreter Gegenstand der durchgeführten Studie ist die Auslastung in den Abteilungen der Inneren Medizin – jener Ort, welcher italienweit rund 50 Prozent der nicht-chirurgischen Krankenhausaufenthalte verzeichnet. Angeführt wird die darauf basierende Liste von Umbrien und Sardinien. Dort herrscht ein Prozentsatz an „Overbooking“ von hundert Prozent. Latium folgt daraufhin mit 90 Prozent und Kalabrien mit 83. Platz sieben nimmt Trentino-Südtirol mit 67 Prozent an „Overbooking“ ein. Dies liegt deutlich über dem nationalen Durchschnitt von 58 Prozent an Überlastungen. Wesentlich milder zeichnet sich die Situation in der Toskana (23 Prozent) und im Veneto (33 Prozent) ab.

Ursprung des Problems ist in allen Regionen derselbe, merkt der FADOI-Präsident Francesco Dentali an: Es gibt schlichtweg zu wenig Betten pro Kopf. Während Deutschland in den Abteilungen der Inneren Medizin acht Betten pro tausend Einwohner vorweisen kann, sind es in Italien mit insgesamt 35.000 Betten lediglich 3,1 pro tausend Einwohner. Wenn es dann zum Overbooking kommt, müssen oft provisorische Trennwände zwischen den hineingeschobenen Betten errichtet werden oder es werden gar Betten in die Gänge geschoben, heißt es von der FADOI.
„Die Situation in unseren Abteilungen wird immer kritischer. Die Bettenanzahl ist bedenklich unzureichend. Wir sind nicht einmal auf der Hälfte des deutschen Niveaus – und das bei alternder Bevölkerung“, bemängelt Dentali.

Der Grundstein für die Misere wird bereits a priori gesetzt, beanstandet der Verband. Der Inneren Medizin werde nämlich kein angemessener Rang in der Krankenhausorganisation zugesprochen. Konkret wird sie einer niederen Versorgungsintensität anstelle einer mittleren oder hohen eingeteilt. Diese Einstufung ist maßgeblich für die Zuteilung von Ausstattung und Personal. Doch nicht bloß die Rahmenbedingungen gelten als überholungsbedürftig, sondern auch die Nachpflege der Patienten. Der Verband ist nämlich der Überzeugung, dass jeder dritte Aufenthalt vermeidbar wäre. Immer häufiger handelt es sich nämlich um soziale Motive, welche die Patienten im Krankenhaus halten. Besonders bei älteren Patienten fehlt das soziale Auffangnetz, welches die Pflege nach dem Krankenhausaufenthalt möglich macht. Wenn Familie und die ohnehin mangelnden Pflegekräfte nicht zugegen sind, bleibt den Pflegebedürftigen nicht viel anderes übrig, als weiterhin im Krankenhaus zu verweilen und somit für einen chronischen Mangel an Krankenbetten zu sorgen.

Dem Gesundheitsminister Orazio Schillaci ist der Missstand bewusst. Er pocht auf die Abkehr von einer Denkweise, nach welcher die Abteilungen der Inneren Medizin als behelfsmäßiges Substitut für das mangelnde Sozialhilfesystem herhalten müssen. Unterstützung im Wohnumfeld und die Pflege zu Hause müssen ihm zufolge forciert werden, um die Last von den Krankenhäusern zu nehmen.

Derlei Bemühungen sollen derzeit laut Schillaci durch den Einsatz von PNRR-Geldern im Gange sein. Auch ein Ministerialdekret stellt er in Aussicht, welches die Standards in den Krankenhäusern neu definieren soll und damit der Inneren Medizin eine höhere Priorität zukommen lässt beziehungsweise sie einer höheren Versorgungsintensität zuteilt.
In dieser Hinsicht werden auch Hoffnungen auf die sogenannten Gemeinschaftshäuser gesetzt, welche die Gesundheitsversorgung vor Ort gewährleisten sollen. Über 72 Prozent der vom Verband befragten Internisten zeigen sich optimistisch, dass diese Initiative eine Veränderung bewirken kann. Auch in Südtirol befinden sich zurzeit elf solcher Gemeinschaftshäuser in der Entstehung und sollen bis 2026 realisiert werden.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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